Mündig, aber zu wenig unterstützt
Seit 1996 werden Schweizerinnen und Schweizer mit 18 Jahren mündig. Viele Jugendliche haben jedoch Mühe, früher Verantwortung zu übernehmen.
Beunruhigend ist die immer frühere Verschuldung von Jugendlichen: Immer mehr werden abhängig von der Sozialhilfe.
Jugendliche haben seit zehn Jahren nicht nur mehr Rechte, sie müssen auch früher Verantwortung übernehmen. Experten sind sich einig, dass sie dabei zu wenig unterstützt werden.
Julien Jaeckle, Generalsekretär der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände (SAJV), zieht eine zwiespältige Bilanz der zehn Jahre Mündigkeitsalter 18: «Jugendliche werden heute von der Gesellschaft früher als gleichberechtigt anerkannt», sagt er.
Auch könnten junge Leute früher Entscheidungen treffen, da sie besser informiert seien und sich eher eine Meinung bildeten als früher. Trotzdem sei es enttäuschend, wie wenig die Jugendlichen von der Gesellschaft unterstützt würden.
«Das Engagement als Staatsbürger muss man wie das Lesen und Schreiben lernen, wenn möglich schon in der Familie», sagt Jaeckle. Ausserschulische Aktivitäten in dieser Richtung würden jedoch nicht gefördert.
Früher verschuldet als früher
«Eine beachtliche Zahl Jugendlicher weiss nicht, wie sie mit ihren Rechten und Pflichten umgehen soll», sagt auch Matthias Drilling von der Hochschule für Pädagogik und Soziale Arbeit beider Basel. Das Mündigkeitsalter 18 übe zwar einen gewissen Druck aus, aber Begleitmassnahmen gebe es nicht.
Ein grosses Problem ist die frühere Verschuldung Jugendlicher: Kleinkredite, Leasingverträge für Autokäufe oder die Steuern machen Probleme, wie René-Pierre Epiney, Vorstandsmitglied des Schweizerischen Dachverbands Schuldenberatung, sagt.
«Die Schule bereitet junge Leute zwar auf das Stimm- und Wahlrecht vor, nicht aber auf die Steuerpflicht», ergänzt Markus Langenegger, stellvertretender Steuerverwalter des Kantons Bern. Der Kanton Bern gibt deshalb ab Januar ein Heft zum Thema heraus, das für den Schulunterricht geeignet ist. Eine elektronische Version soll folgen.
Bereits während Ausbildung volljährig
Der Genfer Soziologe Dominique Gros ist der Ansicht, die jungen Menschen seien heute eher weniger gut in die Gesellschaft integriert als vor 10 oder 15 Jahren. Körperlich und geistig seien sie früher reif. Sie würden aber später ins Erwerbs- und damit ins Erwachsenenleben eintreten.
Dies hat laut Gros gravierende Auswirkungen. «Weil die Jugendlichen während der Ausbildung volljährig werden, besitzen ihre Ausbildner nicht automatisch Autorität, sondern müssen sich diese erwerben.» Zudem wüssten die Eltern längst nicht immer über die Probleme ihrer Kinder Bescheid, auch wenn diese bei ihnen wohnten.
Immer mehr Sozialhilfebezüger
«Die Mündigkeit der Jugendlichen bleibt zudem symbolisch, solange die Gesellschaft ihnen nicht via Arbeitsstelle die finanzielle Unabhängigkeit ermöglicht», sagt Gros. In den letzten Jahren habe bei den Sozialhilfebezügern die Zahl der 18- bis 25-Jährigen stark zugenommen, ergänzt Ueli Tecklenburg, Geschäftsführer der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe.
Trotz aller Probleme lehnt es Drilling jedoch ab, das Mündigkeitsalter anzupassen. «Die Gesellschaft muss Jugendliche, die sich in Schwierigkeiten befinden, unterstützen», fordert er. Denkbar sei etwa ein Coachingsystem.
swissinfo und Sophie Alix, sda
Laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) waren 2004 4,7% der 15-24-Jährigen und 3,8% der 25-49-Jährigen arbeitslos.
Durchschnittlich 38’468 Jugendliche zwischen 15 und 24 waren 2004 in den regionalen Arbeitsvermittlungszentren registriert.
2004 waren 20% der Klienten von Schuldenberatungsstellen zwischen 20 und 30 Jahre alt.
80% kamen vor 25 Jahren in die Verschuldungsspirale.
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