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Nach 20 Jahren für voll genommen

Eis-Bohrungen sind die Spezialität der Schweizer Polarforscher. Keystone

Die Schweiz ist am Montag Vollmitglied der Internationalen wissenschaftlichen Kommission für Antarktisforschung (SCAR) geworden.

Damit erhalten die Schweizerische Kommission für Polarforschung und Schweizer Universitäten internationale Anerkennung für ihre Forschungs-Arbeiten in der Antarktis.

Die Schweizerische Kommission für Polarforschung (SKP) feierte jüngst mit einer Tagung in Bern ihr 20-Jahre-Jubiläum. Fast gleichzeitig wird nun die Schweiz, vertreten durch die SKP, Vollmitglied des Scientific Committee on Antarctic Research (SCAR).

«Endlich», meint der Geologe Christian Schlüchter, der die Schweiz an der SCAR-Jahrestagung in Bremerhaven vertritt. «Die Vollmitgliedschaft ist ein wichtiger Schritt und hilft ausserordentlich», ist er überzeugt. Nun könnten Schweizer Forschende auch die Projektleitung in internationalen Forschungsprojekten in der Antarktis übernehmen.

Vernetzen und informieren

Die Vollmitgliedschaft in dieser wissenschaftlichen Kommission zur Erforschung der Antarktis war eines der Ziele, welche die SKP in den letzten Jahren verfolgt hat. Daneben unterstützt sie Schweizer Forschung in den Polarregionen, vernetzt Forschende aus verschiedenen Disziplinen und informiert über Resultate.

Zudem vermittelt sie zwischen Schweizer Projekten und internationalen Unternehmungen. Die Jubiläumstagung in Bern zeigte, wie wichtig heute insbesondere die Forschung in den Polarregionen für Aussagen zur Klimaentwicklung ist.

Eis als Klimaarchiv

Ungefähr zur selben Zeit, als die SKP gegründet wurde, entwickelte sich in der Polarforschung eine neue Richtung. Zuvor war Polareis vor allem untersucht worden, um Gletscher zu verstehen, also zum Beispiel die Dichte, das Fliessverhalten oder das Alter.

Um das Alter zu bestimmen wurden Gase, die in kleinsten Bläschen im Eis eingeschlossen waren, analysiert, bis sich die Erkenntnis herauskristallisierte, dass diese Gase ja auch die frühere Atmosphäre widerspiegeln. Eis wurde für die Forscher zum Klimaarchiv.

Impulse aus Bern

Seither hat sich die Abteilung für Klima- und Umweltphysik der Universität Bern weltweit einen Namen gemacht mit der Erschliessung dieses Klimaarchivs. Dabei hat sie nicht nur Methoden verfeinert, um kleinste Mengen von eingeschlossenen Atmosphärengasen zu bestimmen, sondern auch an der Entwicklung geeigneter Bohrverfahren mitgearbeitet.

Für die letzte grosse Bohrung in der Antarktis wurde der Bohrkopf in Bern geplant und konstruiert. Diese Bohrung dauerte acht Jahre und war Teil des Europäischen Projektes für die Eisbohrung in der Antarktis (EPICA).

Noch weiter zurück

Der Eisbohrkern ist drei Kilometer lang und liefert Aufzeichnungen für die letzten 740’000 Jahre. In dieser Zeit gab es acht Eiszeiten, unterbrochen von Warmzeiten, die, jedenfalls in den letzten 400’000 Jahren, etwa gleich hohe Temperaturen aufwiesen wie in unserer Zeit.

Nie in dieser ganzen Zeit war allerdings der Gehalt an Kohlendioxid so hoch wie heute. Die Bohrung fand in einer äusserst unwirtlichen Gegend statt mit Temperaturen von unter minus vierzig Grad. Trotzdem wollen die Forschenden weitermachen und in den nächsten Jahren möglichst noch älteres Eis erbohren.

Gefährdete Kultur

«Wir müssen in die Vergangenheit schauen, um das heutige und zukünftige Klima zu verstehen», sagt der emeritierte Physikprofessor Bernhard Stauffer, der bei der Auswertung dieser Klimaarchive in Bern von Anfang an dabei war.

Die gegenwärtige Situation und die kurzfristigere Entwicklung dagegen werden unter anderem von der ETH Zürich beobachtet. Es scheint, dass die Eisbedeckung abnimmt und weniger lange andauert.

Was das für die Bevölkerung bedeutet könnte, erklärt der Ethnologe Yvon Csonka: «Die Dörfer in der Arktis liegen meistens nahe am Wasser. Wenn das Meer immer längere Zeit eisfrei ist, so sind die Ufer weniger geschützt. Viele Dörfer sind auf Sand gebaut, und der wird nun zunehmend wegerodiert, bereits müssen erste Dörfer verlegt werden.»

Interdisziplinäre Forschung

Der Neuenburger Yvon Csonka, spezialisiert auf arktische Völker, ist seit drei Jahren Professor für Sozial- und Kulturgeschichte in Grönland. Zuvor war er längere Zeit Mitglied der Schweizerischen Kommission für Polarforschung.

Obwohl die naturwissenschaftlichen Forschungsprojekte überwiegen, sind in der Kommission alle wissenschaftlichen Richtungen einbezogen. Der jetzige Präsident, Bruno Gottstein, ist Parasitologe und hat sich in den Polarregionen mit dem Fuchsbandwurm beschäftigt. Sein Vorgänger war Ökonom, und der erste Präsident, «der Übervater», wie er selber scherzt, war Jurist.

Politische Ziele

Lucius Caflisch, damals Botschafter und Berater des Schweizer Aussenministeriums, hatte vor allem ein Interesse, den Antarktisvertrag: «Es ist einzigartig, dass verschiedene Länder eine konkrete Zusammenarbeit vereinbaren, ohne zuerst die Frage der Gebietsansprüche zu entscheiden.» Alle Gebietsansprüche wurden eingefroren, die Antarktis zum gemeinsamen Erbe der Menschheit erklärt.

Die Schweiz hat mitunterzeichnet, ist aber nur einfache Vertragspartei. Die meisten der etwa 50 Unterzeichnerstaaten dagegen sind so genannte Konsultativparteien. Von diesen wird ein grösseres Engagement erwartet, zum Beispiel, dass sie eine Forschungsstation betreiben.

«Das könnte ja nun das nächste Ziel der Polarkommission sein», schlägt Lucius Caflisch vor, «dass die Schweiz auch Konsultativpartei des Antarktisvertrages wird».

swissinfo, Antoinette Schwab

Die Schweizerische Kommission für Polarforschung (SKP) besteht seit 20 Jahren.
Sie ist interdisziplinär zusammengesetzt und fördert Schweizer Forschung in den Polargebieten.

Wichtige Impulse für die Polarforschung gingen von der Schweiz aus. Zu nennen ist insbesondere die Berner Klimaforschung.

Die Schweiz wird nun Vollmitglied des Scientific Committee on Antarctic Research (SCAR). Dadurch wird für Schweizer Forschende der Zugang zu internationalen Projekten erleichtert.

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