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Napoleon Bonaparte, das Interview

Es spricht Napoleon. swissinfo.ch

Eine Begegnung mit Napoleon Bonaparte ist ein seltenes Privileg. Er gewährte uns in Paris ein Exklusiv-Interview und erläuterte seine Beziehungen zur Eidgenossenschaft.

Zuerst wollen wir auf die Beziehungen vor dem Erlass der bekannten Mediationsakte eingehen.

Napoleon erscheint pünktlich zum vereinbarten Treffen. Er ist dunkel gekleidet und für sein Alter von 234 Jahren erstaunlich gut erhalten. Sein Blick ist lebhaft, und er hat ein gutes Erinnerungsvermögen.

Wir wollen mit ihm zwar über die Mediationsakte sprechen, doch zuerst möchten wir weiter zurück blicken: auf den 10. August 1792, an dem die Schweizergarde bei den Tuilerien aufgerieben wurde. Bonaparte, damals ein junger Hauptmann, war Zeuge dieser Ereignisse.

«Bei keiner meiner Schlachten hatte ich den Eindruck, so viele Leichen zu sehen, wie damals, als ich vor den unzähligen toten Schweizern stand», sagt Napleon gegenüber swissinfo. «Entweder erschien mir deren Zahl infolge der engen räumlichen Verhältnisse höher, als sie tatsächlich war, oder mein Eindruck ist darauf zurückzuführen, dass ich so etwas zum ersten Mal erlebte.»

War dies der erste Kontakt des jungen Korsen mit der Schweiz? «Ich kannte die Schweiz aus den Schriften von Rousseau und aus verschiedenen anderen Werken. Doch am 10. August hatte ich meinen ersten physischen Kontakt mit Schweizern. Und vor allem mit ihren Leichen», antwortet Bonaparte, der den legendären Mut der Söldner aus der Eidgenossenschaft nicht genug loben kann.

Ein fortschrittlicher Ansatz

In den Jahren 1796 und 1797 standen für Napoleon der Italienfeldzug und die Gründung der Cisalpinen Republik im Vordergrund. In jenen Jahren hatte er auch seinen ersten wirklichen Kontakt mit der Schweiz, in Locarno: «Ich war hingerissen von der Schönheit der Landschaft. In meinem damals äusserst bewegten Leben war dies ein Moment der Entspannung», erinnert er sich.

Seine zweite Reise in unser Land war nicht touristischer Natur. Er begab sich nach Rastatt in Baden-Würtemberg, um dort über das weitere Vorgehen nach dem Frieden von Campoformio zu verhandeln. Anschliessend reiste er durch die Eidgenossenschaft, wo er insbesondere in Basel und Lausanne mit Begeisterung empfangen wurde.

Napoleon kann sich gut erinnern: «Ich wurde wirklich sehr herzlich empfangen. Trotzdem befürchtete ich auch feindselige Reaktionen. Doch nach diesem Empfang beschloss ich, mich etwas ausgiebiger mit den Angelegenheiten der helvetischen Kantone zu befassen.»

Dies traf sich gut. Denn Bonaparte wurde kurz darauf von zwei Schweizer Persönlichkeiten kontaktiert: vom Basler Peter Ochs und vom Waadtländer Frédéric-César de La Harpe. Beide wünschten sich eine Intervention Frankreichs in der Schweiz, um das Ancien Régime zu stürzen.

Welchen Eindruck hatte Bonaparte von diesen beiden Schweizern? Betrachtete er sie als Revolutionäre mit berechtigten Anliegen oder als Vaterlandsverräter? In seiner Antwort zieht Napoleon einen Vergleich mit seiner Heimat Korsika:

«Diese Situation hatte ich auf Korsika schon einmal erlebt. Damals bekämpften sich in meiner Heimat die Anhänger Paolis und die profranzösischen Clans (Pascal Paoli war ein Anführer der korsischen Unabhängigkeitsbewegung NDLR). Das Interesse, das ich für die Anliegen von Ochs und de La Harpe aufbrachte, war im Grunde darauf zurückzuführen, dass ich Ähnlichkeiten mit den Problemen auf Korsika festgestellt hatte. Die Situation auf meiner Heimatinsel hatte übrigens auch das Interesse des berühmten Genfers Rousseau geweckt, der einen Verfassungsentwurf für Korsika unterbreitet hatte.»

Weiter erklärt Napoleon: «Die vorgebrachten Argumente hatte ich somit bereits auf Korsika einmal gehört. Ich stand den Anliegen von Ochs und de La Harpe daher wohlwollend gegenüber, doch mehr nicht. Ich hatte keine Zeit: Ich musste mich um Rastadt und vor allem um Paris kümmern. Für Frankreich zog ich bereits damals die Durchführung eines Staatsstreichs in Betracht!»

Die Schweiz wird besetzt

1798: Unter der Führung des Direktoriums annektierte Frankreich die Stadt Genf und besetzte die Eidgenossenschaft. Abgesehen vom Kanton Bern leisteten die Eidgenossen keinen nennenswerten Widerstand.

Doch Bonaparte befasste sich nur am Rande mit diesen Entwicklungen: «Während all dieser Ereignisse in der Schweiz war ich mit den Vorbereitungen für den Feldzug nach Ägypten beschäftigt. Meine Gedanken waren daher an einem anderen Ort. Was dann geschah? Das Direktorium, das knapp an finanziellen Mitteln war, praktizierte seine Interventionspolitik in verschiedenen Teilen Europas und gründete die so genannten Schwesterrepubliken.»

Anschliessend lässt der Bonaparte des Jahres 2003 kurz seinen Humor durchblicken: «Wie Sie wissen, müssen sich kleine Schwestern in einer Familie alles aufhalsen lassen. Unabhängig davon, ob es sich um die Batavische, die Cisalpine oder die Helvetische Republik handelte, ging es in erster Linie darum, diese auszubeuten. Nachdem Frankreich die in der Schweiz herrschenden Streitigkeiten geschürt hatte, marschierten die französischen Truppen in erster Linie in die Helvetische Republik ein, um an die finanziellen Mittel der Berner zu kommen.»

Mein Gesprächspartner erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass einer der französischen Gesandten in der Schweiz «Rapinat» hiess (im Französischen bedeutet «rapine» Raub, Diebstahl). «Es folgte eine von oben verordnete Neuaufteilung der Kantone, die dem Direktorium nicht zur Ehre gereichte. Doch ich trage dafür keine Verantwortung», hält Bonaparte fest.

Von der Eidgenossenschaft zur Republik

Die alte Eidgenossenschaft wurde in der Folge in die «Eine und Unteilbare Helvetische Republik» umgewandelt. Dies erfolgte vollständig nach einem französischen und damit zentralistisch ausgerichteten Modell, das mit der politischen Tradition der Eidgenossenschaft absolut unvereinbar war.

«Es ist eine typische Eigenschaft der Franzosen, dass sie der Meinung sind, französische Vorstellungen seien den in anderen Ländern bestehenden Auffassungen grundsätzlich überlegen. Deshalb führte das Direktorium gewissermassen einen Export der französischen Verfassung von 1795 in die ‹Schwesterrepubliken› durch. Wir waren so begeistert von unserer Verfassung, dass wir sie überall anwandten», merkt Bonaparte ironisch an.

Wurde nicht einige Jahre danach genau dasselbe mit dem französischen Zivilgesetzbuch gemacht? Bonaparte meint dazu: «Wir kümmerten uns nicht darum, ob die Schweiz eine zentralistische Struktur hatte oder nicht. Wir gingen vom Standpunkt aus, dass das französische Modell perfekt und die französische Revolution universell ist. Vor diesem Hintergrund wandten wir die entsprechenden Grundsätze überall an.»

Das Chaos

Dies ist die Chronik eines angekündigten Misserfolgs: Die Schweiz versank im Chaos. Ein Chaos, das durch kriegerische Auseinandersetzungen entstand, denn 1799 wurde die Schweiz zu einem Schlachtfeld. Die Grossmächte stritten sich um die wichtigen Verbindungswege über die Alpen, was zu den Schlachten bei Zürich und zum berühmten Rückzug des Generals Suworov über die Glarner und Bündner Pässe führte.

Es entstand auch ein politisches Chaos: Verfassung folgte auf Verfassung, und die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Anhängern der «Einen und Unteilbaren Helvetischen Republik» einerseits und den Föderalisten andererseits weiteten sich im Sommer 1802 zu einem Bürgerkrieg aus. Mit intelligentem Kalkül sah Bonaparte der Verschlechterung der Verhältnisse vorerst tatenlos zu.

Eine Anekdote am Rande: Zur Zeit der Helvetischen Republik überquerte Bonaparte im Mai 1800 anlässlich seines zweiten Italienfeldzugs die Alpen über den Grossen St. Bernhard, um ins Piemont zu gelangen.

Von dieser Passüberquerung existiert ein berühmtes Bild des Malers David. Doch die Realität sah anders aus: Kälte, steinige und holprige Wege, General Bonaparte auf dem Rücken eines Maulesels. «Selbstverständlich handelte es sich um ein Propagandabild», räumt Napoleon heute ein. «Es wäre nicht ganz einfach, die Alpen auf einem prächtigen Streitross zu überqueren, wie dies David gemalt hat.»

Dann kommt Bonaparte auf einen bemerkenswert modernen Ansatz für die Kommunikation zu sprechen: «Wenn man die Köpfe und Herzen der Menschen erobern will, muss man der Propaganda ausreichend Beachtung schenken. Als ich später von Delaroche auf einem Maulesel gemalt wurde, geriet dieses Bild sehr rasch in Vergessenheit. Doch das Bild von David ist überall bekannt. Damit sehen Sie, dass man der Legende gegenüber der Realität Priorität einräumen sollte.»

swissinfo, Bernard Léchot, Paris

(Ein Teil der Zitate Napoleons beruhen auf tatsächlichen Aussagen des Franzosen. Andere wurden von swissinfo in Zusammenarbeit mit dem Napoleonkenner Jean Tulard zusammengestellt.)

10. August 1792: Die wütende Menge stürmt die Tuilerien. Die Schweizergarde wird massakriert. Hauptmann Bonaparte ist Zeuge dieser Ereignisse.

1797: Bonaparte nimmt Graubünden das Veltlin weg, um es der neu geschaffenen Cisalpinen Republik anzugliedern.

1798: Unter der Führung des Direktoriums annektiert Frankreich die Stadt Genf und besetzt die Eidgenossenschaft. Widerstand leisten nur die Berner, die bei Neuenegg siegen. Nach den Niederlagen bei Fraubrunnen und im Grauholz bricht das Verteidigungssystem jedoch zusammen.

Im gleichen Jahr wandelt Paris die alte Eidgenossenschaft in einen zentralistischen Staat um, in die «Eine und Unteilbare Helvetische Republik».

1799: Die europäischen Armeen kämpfen um die wichtigen Verbindungswege über die Alpen. Die Österreicher siegen bei Zürich, vier Monate später geht der Franzose Masséna siegreich aus einer Schlacht hervor. Der russische General Suworov flieht über die Glarner und Bündner Pässe.

Mai 1800: Anlässlich seines zweiten Italienfeldzugs überquert Bonaparte die Alpen über den Grossen St. Bernhard, um ins Piemont zu gelangen.

August 1802: Die Spannungen zwischen den Anhängern der Helvetischen Republik und den Föderalisten weiten sich zu einem Bürgerkrieg aus.

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