Neues Projekt stärkt behinderte Menschen
Dank einem Pilotprojekt werden Behinderte zu Unternehmern. Sie können nötige Hilfeleistungen mit einem bestimmten Budget selber einkaufen.
Das Projekt, das im Januar startete, erlaubt 400 Menschen, zu Hause zu wohnen und selber zu entscheiden, wer sie zu welchem Lohn betreut.
Dem Programm stehen 43 Mio. Franken von der staatlichen Invaliden-Versicherung IV zur Verfügung.
Hauptziel ist es, schwer behinderten Menschen in Sachen Betreuung mehr Selbstbestimmung zu geben. Ein weiteres Ziel ist es, Behinderte aus Heimen zu nehmen und damit die Kostenspirale für professionelle Hilfe zu bremsen.
Die IV übernimmt gegenwärtig 40% der Kosten bei einem Heimaufenthalt. 2004 waren dies 1,2 Mrd. Franken. Kantone, Patienten, Gemeinden und Krankenkassen übernehmen die restlichen 60%.
Das neue Modell würde Familienangehörige entschädigen, die sich an der Betreuung behinderter Verwandter beteiligen.
Unüblich
Wie Katharina Kanka, Präsidentin der zuständigen Stiftung, gegenüber swissinfo sagte, ist das Konzept der Betreuung in den eigenen vier Wänden in der Schweiz im europäischen Vergleich noch wenig verbreitet.
Das qualitativ gut funktionierende System der institutionellen Betreuung in der Schweiz habe dazu beigetragen, dass das Modell nicht verwurzelt ist, sagte sie.
«Für die Integration der Behinderten in die Gesellschaft ist kein Geld vorhanden. Es wurde eine schöne Insel geschaffen, die keinen Raum lässt für Menschen, die selbstständig wohnen möchten», so Kanka.
Eine weitere Barriere komme von den professionellen Betreuern, für die ihr Dienstleistungs-Angebot ein grosses Geschäft sei, sagt sie.
Kinder
Die 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer stammen aus verschiedenen Altersgruppen und haben unterschiedliche Behinderungen.
Dank dem Projekt können einige der teilnehmenden Kinder ein normales Leben ausserhalb von Institutionen führen.
«Einige besuchen Sonderschulen, möchten aber reguläre Klassen mit spezieller Betreuung besuchen. Jene, die am Projekt mitmachen, wohnen zu Hause und können ein normales Familienleben führen.»
Erwachsene haben vielleicht über Jahre im Heim gewohnt und möchten unabhängig werden, so Kanka. Andere sind abhängig von Familienmitgliedern, die neben ihrer Arbeit unentgeltlich bei der Betreuung mithelfen.
Das Programm setzt keine Bedingungen bei der Auswahl der Betreuer. Die Höhe des Lohns für die Betreuung ist ebenfalls nicht vorgeschrieben Auch müssen diese Personen nicht im Gesundheitssektor ausgebildet sein..
Individuelles Assistenzbudget
Das so genannte Assistenzbudget, das die Teilnehmer zur Verfügung haben, sestzt sich aus einer so genannten Hilflosenentschädigung sowie einem individuellen Betrag zusammen – je nach Behinderungsgrad der Betroffenen.
Die Organisatoren rechnen mit einem ungefähren Stundenlohn von 30 Franken, was pro Kopf rund 50’000 Franken pro Jahr ausmacht.
Die Jahreskosten in einem Heim belaufen sich im Durchschnitt auf rund 110’000 Franken oder 300 Franken pro Tag.
Ist das Projekt einmal im Gang, dürfte es Einsparungen von insgesamt 30 Millionen Franken bringen.
Eine Einsparung, die der IV äusserst gelegen käme, befindet sie sich doch in einer prekären finanziellen Lage: Ende 2004 belief sich ihr Schuldenberg auf über 6 Mrd. Franken. Und eine Entspannung ist nicht in Sicht. Im ersten Semester 2005 erreichte die Invaliden-Versicherung ein neues Rekord-Hoch von 1,2 Mrd. Franken.
Nicht alle können profitieren
Das Pilotprojekt richtet sich nur an Bezüger einer Hilflosenentschädigung, Behinderte also, die auf Betreuung angewiesen sind.
Kanka hofft, dass dieses Projekt behinderte Menschen ermutigen wird, ihre Rechte einzufordern, sich auch gegenseitig zu unterstützen und zu vernetzen.
swissinfo, Fayal Mirza
(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)
Wer am Pilotprojekt mitmachen will, muss Bezüger einer Hilflosen-Entschädigung der IV sein.
Die Höhe des Betrags sind abhängig vom Grad der Behinderung. Auch spielt es eine Rolle, ob die behinderte Person in einem Heim oder zu Hause wohnt.
Minderjährige, die eine spezielle Betreuung brauchen, können einen zusätzlichen Betrag bekommen.
Rund 100 Personen könnten dank des Projektes das Heim verlassen oder zu Hause wohnen bleiben.
Dies würde Einsparungen in der Höhe von 30 Mio. Fr. bringen.
Von den 33’000 in der Schweiz, die eine Hilflosen-Entschädigung erhalten, sind 6000 Kinder.
50% davon leben in speziellen Institutionen.
25% gelten als schwer behindert.
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