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Noblesse oblige

Nur kurz und abweisend zeigte sich das Herzstück des neuen UNESCO-Weltnaturerbes, der Aletschgletscher, dem Betrachter. swissinfo.ch

Nun ist das Gebiet "Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn" definitiv ein Weltnaturerbe. Offizielle und Medienvertreter aus über 20 Ländern feierten die UNESCO-Urkunde.

Langer und warmer Applaus in der Sporthalle auf der Bettmeralp. Die Vertreterin der UNESCO in Paris, die Deutsche Mechthild Rössler, übergibt den Verantwortlichen – vor allem aus der Tourismusbranche – die langersehnte Urkunde.

Damit fand ein langes Tauziehen rund um den Schutz des Alpengebietes «Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn» (nicht wenige finden den Namen unaussprechlich und zu lange) ein gutes Ende.

Am Anfang des Tauziehens stand die Idee des damaligen Berner Geografie-Professors Bruno Messerli. Seit Jahrzehnten hatte er gefordert, das Gebiet rund um den längsten Gletscher der Alpen, den 23 Kilometer langen Aletschgletscher, unter Schutz zu stellen.

Die Schweiz tat es vor Jahren. Die UNESCO tut es nun auch. Dass muss so sein, denn Weltnaturerbe wird nur ein Gebiet, das schon national unter Schutz steht. Ziel erreicht: Professor Messerli war an der Feier mit dabei und mit dem Erreichten zufrieden.

Vier Kriterien

Laudo Albrecht, Leiter des «pro natura-Zentrums» Aletsch und anerkannter Kenner des Gebietes, erklärt, dass es vier Kriterien zu erfüllen gebe, um ein UNESCO-Weltnaturerbe zu werden:

«Das Gebiet muss eine ästetische Schönheit aufweisen», dann müsse es für die Erdgeschichte repräsentativ sein, so Albrecht gegenüber swissinfo. Das sei hier der Fall, weil die alpine Gebirgsbildung sichtbar sei und die Spuren der Eiszeiten auch.

«Dann müssen in einem UNESCO-Weltnaturerbe biologische und ökologische Prozesse sichtbar sein.» Beim Aletschgletscher seien das zum Beispiel der sehr alte Arvenwald und die Wiederbesiedlung einst vergletscherter Flächen.

Alle diese Kriterien erfülle «Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn». Kriterium Nummer vier, die biologische Artenvielfalt, sei zwar gegeben. Doch Tiere und Pflanzen seien nicht einzigartig. Gämsen oder Murmeltiere und Alpenrosen gebe es auch anderswo, sagt Laudo Albrecht.

Tourismus soll profitieren

Dass aber «Schweiz Tourismus» eine Riesenfete veranstaltete, zeigt, dass das UNESCO-Weltnaturerbe vor allem dem Tourismus in der Gegend dienen soll. Dass die aus über 20 Ländern eingeflogenen Journalisten und Journalistinnen ausgerechnet am Jubeltag die Berge nicht zu Gesicht bekamen (so stark regnete es – strich der Nebel umher), zeigte eindrücklich, dass der Mensch auch nur Teil der Natur ist. Doch allerlei Folklore-Darbietungen am Festabend tröstete die Angereisten darüber hinweg.

Der Hotelier und Trendsetter auf der Riederalp, Art Furrer, befürwortet, dass der Tourismus Hauptnutzer des UNESCO-Labels ist: «Es ist wichtig, dass die UNESCO nicht nur etwas für den Naturschutz tut, sondern auch für die Leute, die hier leben und arbeiten», sagt Furrer gegenüber swissinfo.

Eva Brechtbühl von der Geschäftsleitung von «Schweiz Tourismus» freut sich auch über das erste UNESCO-Weltnaturerbe in den Alpen. Man wolle nun mit dieser Marke in der Welt auftreten.

«Es werden sicher etwas mehr Leute in das Gebiet kommen und so dem Sommergeschäft den dringend notwendigen Auftrieb geben.» Massentourismus werde aber nicht aufkommen.

Dazu eigne sich die Schweiz sowieso nicht. «Deshalb bin ich überzeugt, dass vernünftige und umweltbewusste Menschen hierher kommen, welche die Natur zu schätzen und zu schützen wissen», sagt Brechtbühl.

Managementplan

Eine Aufnahme in die «World Heritage List» ist nicht gratis zu haben. Die Inhaber der Urkunde müssen gewisse Schutzbestimmungen der UNESCO erfüllen. Im Aletschgebiet wird eine Interessengemeinschaft (IG) dies tun.

Sie wird binnen drei Jahren der UNESCO einen Managementplan unterbreiten müssen, wo erklärt wird, wie sie die Richtlinien hin zum «sanften Tourismus» umsetzen will. Die UNESCO kann Nachbesserungen verlangen.

Interessen zurückschrauben

Für Laudo Albrecht ist klar, dass bei der Ausarbeitung dieses Managementplans noch einmal die verschiedenen Interessen aufeinanderprallen werden. Da sei nicht nur der Tourismus und der Naturschutz beteiligt. Auch die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft, die Jagd gehörten dazu.

Und auch die Armee: «Wissen Sie, dass die Armee immer noch mit ihren Kampfjets im Tiefflug über das Weltnaturerbe fliegt?» fragt Albrecht. Diverse Umweltkreise bemängeln zudem, dass das Heliskiing immer noch gestattet ist.

Hat die UNESCO-Frau Mechthild Rössler Kenntnis davon? «Das sollte nicht passieren», sagt sie. «Die Schweiz hat nun die Verpflichtung, dieses Objekt so zu schützen, dass weder Tierwelt noch die Pflanzenwelt noch sonst etwas geschädigt wird, aufgrund dessen das Gebiet auf die UNESCO-Liste kam.»

Urs Maurer, Bettmeralp

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