Novartis verliert Musterprozess in der EU
Wenn Pharmafirmen ihre Medikamente zuerst in der Schweiz bewilligen lassen, kann dies den Patentschutz in der Europäischen Union (EU) verkürzen.
Dies ist die Folge eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).
Der Pharmakonzern Novartis hat am Donnerstag einen Musterprozess gegen die EU-Kommission vor dem EuGH in Luxemburg verloren. Strittig war die Dauer des Patentschutzes für zwei Novartis-Medikamente in der EU.
Die Dauer des Patentschutzes ist für Unternehmen ein sehr wichtiger Faktor. Solange Patente geschützt sind, resultieren daraus höhere Einnahmen. Erlischt dagegen ein Patent, fallen die Erträge geringer aus.
Liechtenstein gab Ausschlag
Im Rechtsstreit mit der EU-Kommission wurde Novartis die «Sandwich-Position» Liechtensteins zum Verhängnis. Das Fürstentum übernimmt einerseits Medikamentenzulassungen der Schweiz automatisch. Es ist andererseits aber auch Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), der auch noch die ganze EU, Norwegen und Island umfasst, nicht aber die Schweiz.
Für die EU-Kommission beginnt der Patenschutz im EWR ab dem Moment zu laufen, in dem ein Medikament in Liechtenstein zugelassen ist, was der EuGH nun bestätigte. Faktisch also dann, wenn die Schweizer Arzneimittelbehörde Swissmedic ein Medikament für die Schweiz und Liechtenstein bewilligt.
Konsequenzen noch unklar
Novartis bedauerte in einer ersten Reaktion, dass sich der Zulassungsentscheid des Nicht-EWR-Mitglieds Schweiz auf die Dauer des Patenschutzes im EWR auswirkt.
Die Frage, ob Novartis nun als Folge des Urteils die Medikamente in Zukunft zuerst in der EU und erst danach in der Schweiz zur Zulassung einreiche, konnte eine Sprecherin der Firma nicht beantworten.
Testmarkt Schweiz in Frage gestellt?
Das EuGH-Urteil könnte die bisherige Rolle der Schweiz als Testmarkt für die Pharmaindustrie in Frage stellen. Laut Heinz Hertig vom Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) wurden bisher rund ein Drittel der Medikamente, die in der EU zentral zugelassen sind, bereits vorher in der Schweiz bewilligt.
Dies könnte sich nun ändern, weil Pharmakonzerne kaum riskieren wollen, dass ihr Patentschutz im europäischen Markt wegen einer frühen Zulassung in der Schweiz verkürzt wird.
Neu mit einjähriger «Verspätung»
Um dies zu verhindern, ändern die Schweiz und Liechtenstein nun ihren Vertrag über die Medikamentenzulassung, wie das seco mitteilt. Ab 1. Juni anerkennt Liechtenstein Schweizer Zulassungen für Medikamente mit neuen Wirkstoffen nicht mehr sofort, sondern erst ein Jahr nach der Schweiz.
Dieselbe Verzögerung gilt für Pflanzenschutzmittel. Damit beginnt auch der Patentschutz im EWR erst ein Jahr nach der Zulassung in der Schweiz zu laufen.
«Wir begrüssen den Lösungsansatz des seco», erklärte Thomas Cueni, der Generalsekretär des Branchenverbandes Interpharma, auf Anfrage. Er erwartet, dass viele Pharmafirmen weiterhin ihre Zulassung zuerst in der Schweiz einreichen.
«Schweizer Patienten erhalten so weiterhin früh Zugang zu neuen Medikamenten», so Cueni weiter. Nicht so die Patienten im Fürstentum Liechtenstein: Sie müssen wegen der Lage des Fürstentums zwischen der Schweiz und dem EWR in Zukunft ein Jahr auf neue Medikamente warten.
swissinfo, Simon Thönen in Brüssel
EuGH-Entscheid: Lassen Pharmafirmen ihre Medikamente zuerst auf dem «Testmarkt» Schweiz bewilligen, kann dies den Patentschutz in der Europäischen Union (EU) verkürzen.
Daraus können grosse Einnahmenausfälle für die Unternehmen resultieren.
Der entscheidende Passus: EWR-Mitglied Liechtenstein übernimmt automatisch die Medikamentenzulassungen der Schweiz.
Für die EU-Kommission beginnt der Patenschutz im EWR (zu dem auch die EU gehört) ab dem Moment zu laufen, in dem ein Medikament in Liechtenstein zugelassen ist.
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