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OECD-Bericht über Gesundheitswesen als bittere Pille

Das kränkelnde Schweizer Gesundheitssystem ist in letzter Zeit in die Kritik geraten. Keystone

In einem Ländervergleich wurden im Schweizer Gesundheitssystem wesentliche Probleme diagnostiziert. Schweizer Experten reagieren gelassen.

Sie stimmen zwar darin überein, dass das Gesundheitswesen effizienter arbeiten könnte, weisen aber die Kritik zurück, dass die Leistungen im Vergleich zu den Kosten ungenügend seien.

Die Autoren der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der in Genf ansässigen Weltgesundheits-Organisation (WHO) kommen in ihrem Bericht zum Schluss, dass im Schweizer Gesundheitswesen Handlungsbedarf für Reformen bestehe.

Kritisiert werden namentlich die hohen Kosten und Medikamentenpreise, ungenügende Prävention, mangelnder Wettbewerb und das Fehlen einer kohärenten nationalen Strategie.

Xavier Comtesse von der Schweizer Denkfabrik Avenir Suisse hält diese Diagnose für zu pessimistisch. Gestiegene Nachfrage nach Leistungen und gestiegene Preise sowie die zunehmende Überalterung machten höhere Kosten unausweichlich.

«Das Gesundheitswesen wird in den nächsten 20 Jahren teurer und teurer werden, und ich behaupte, dass die Menschen damit einverstanden sind», sagte Comtesse im Gespräch mit swissinfo.

Das Schweizer Gesundheitssystem sei eines der besten der Welt und die Menschen seien bereit, dafür auch mehr zu bezahlen. «Ich habe nie eine Volksbewegung gegen das Gesundheitssystem gesehen», so der Experte.

Gesundheitspolitik

Auch Sandro Cattacin, Professor für Soziologie am Lausanner Hochschulinstitut für öffentliche Verwaltung (IDHEAP) sieht es gelassen. «Es stimmt, dass die Kosten in der Schweiz hoch sind, dafür haben wir aber ein gutes Gesundheitswesen; die Leute erhalten viel Leistung für ihr Geld.»

Bei der Effizienz sehen aber beide Mängel. Aufgrund der 26 Kantone sei das System in der Schweiz zu fragmentiert.

Auch gibt es laut Xavier Comtesse zu viele Spitäler (390) und Universitätsspitäler (Zürich, Basel, Bern, Lausanne and Genf). Eine Verschlankung müsse aber auf regionaler Ebene geschehen, da die Kantone dazu nicht in der Lage seien.

Angebote und Leistungen koordinieren

Bestrebungen dazu sind im Gang, aber nicht alle Beteiligten ziehen mit. Im Juli torpedierte Zürich eine interkantonale Übereinkunft über eine Straffung des Angebots bei der Spitzenmedizin.

Bern und Basel dagegen beschlossen im Mai eine enge Zusammenarbeit bei Herzoperationen mit dem Aufbau eines gemeinsamen Kompetenz-Zentrums. Auch bei der Neurochirurgie wollen die beiden Universitätsspitäler enger zusammenarbeiten.

Auch Genf und Lausanne wollen auf dem Gebiet der kostenintensiven Chirurgie Doppelspurigkeiten vermeiden: Herztransplantationen sind in Lausanne vorgesehen, Lebertransplantationen in Genf, erklärt Cattacin.

«Momentan ist die Lage in der Schweiz sehr schwierig: Während einige Kantone eine engere Zusammenarbeit anstreben, bleibt Zürich skeptisch», sagt Cornelia Oertle, stellvertretende Generalsekretärin der Konferenz der Kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK).

Cattacin, der an der Uni Genf Soziologie lehrt, plädiert für mehr Koordination statt mehr Wettbewerb. «Die einzige Lösung besteht momentan in der Verbesserung des Managements des Gesundheitswesens und nicht in der Senkung der Kosten.»

Medikamentenpreise

Nach wie vor ein treibender Kostenfaktor sind die Medikamentenpreise, die in der Schweiz bis 25% teurer sind als in den Nachbarländern. Tiefere Preise und der vermehrte Einsatz von Generika (günstigere Nachahmerprodukte) bergen ein Sparpotenzial von bis einer Mrd. Franken. Interpharma, der Verband der Schweizer Pharmaindustrie, bestreitet diese Zahl.

Im Februar hatten die Bundesbehörden mit der Pharmaindustrie eine Vereinbarung getroffen, wonach die Preise um mindestens 250 Mio. Franken pro Jahr sinken sollten. Das ist aber nur ein Tropfen auf den heissen Stein, verglichen mit den über fünf Mrd. Franken, welche die Schweizer jährlich für Medikamente ausgeben.

Cattacin befürwortet deshalb, dass die Regierung mehr Druck für Preissenkungen machen soll. Ebenso, dass Ärzte und Apotheken den Patienten mehr Generika abgeben sollten.

«Die Schweiz ist aber in einer schwierigen Lage, sind doch einige der grössten Pharmaunternehmen der Welt hier angesiedelt, und das bedeutet, dass sie eine sehr starke Lobby haben», so Sandro Cattacin.

swissinfo, Adam Beaumont
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Künzi)

Die Schweizer Gesundheitspolitik ist auf Bundesebene festgeschrieben, doch die 26 Kantone geniessen eine grosse Autonomie im Gesundheitswesen.

Eine Volksinitiative der Sozialdemokraten verlangte im Mai 2003 Änderungen in der obligatorischen Krankenversicherung und andere Reformen. Sie wurde vom Stimmvolk mit grossem Mehr abgelehnt.

Unter den vielen Vorschlägen war auch die Forderung, die Spitzenmedizin auf Bundes- statt auf kantonaler Ebene zu regeln.

2004 kostete das Schweizer Gesundheitssystem 51,7 Mrd. Fr.
Das entspricht 11,5% des Bruttoinland-Produkts (BIP),
Nur die USA geben mit 15% des BIP mehr für die Gesundheit aus.
2003 machten Medikamente 10,5% oder 5,2 Mrd. Fr. der Gesundheitskosten in der Schweiz aus.

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