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Öffnung des Strommarktes in zwei Schritten

Im geöffneten Strommarkt soll eine nationale Netzgesellschaft die Versorgungssicherheit gewährleisten. Keystone

Vier Jahre nach dem Volks-Nein zur Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes hat sich nach dem National- auch der Ständerat für eine gestaffelte Öffnung ausgesprochen.

Zuerst sollen die grossen Stromverbraucher ihren Stromlieferanten frei wählen können, nach fünf Jahren dann auch die Privathaushalte.

Der Ständerat (Kleine Kammer) ist am Dienstag trotz Kritik aus Wirtschaftskreisen auf das neue Stromversorgungs- und Elektrizitätsgesetz eingetreten.

Mit den beiden Gesetzen, die von der Kleinen Kammer in einer Vorlage behandelt werden, wird rund vier Jahre nach dem Scheitern des Elektrizitätsmarktgesetzes (EMG) an der Urne ein neuer Anlauf für einen «austarierten Stromkompromiss» unternommen.

Stromversorgungs- und Elektrizitätsgesetz sehen im Grundsatz vor, dass der Strommarkt vorerst für die Grossverbraucher und dann – nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren – auch für die privaten Haushalte geöffnet wird.

Versorgungssicherheit oberstes Ziel

Für die Gewährung der Versorgungssicherheit soll eine nationale Netzgesellschaft verantwortlich sein, die – im Gegensatz zum ursprünglichen Antrag des Bundesrats und zum Entscheid des Nationalrats – auch im Besitz des Übertragungsnetzes sein soll.

Mehrheitsaktionäre der Gesellschaft, bei der es sich faktisch um die bereits gegründete Swissgrid AG handeln dürfte, müssten dann direkt oder indirekt die Kantone und Gemeinden sein. Damit soll garantiert bleiben, dass die Stromübertragung in der Schweiz nicht dereinst von ausländisch dominierten Unternehmen beherrscht und der Einfluss der im Inland tätigen Stromproduzenten geschmälert würde.

Investitionen in das Übertragungsnetz könnten mit einem solchen System zudem klar zugeordnet und auch in finanzieller Hinsicht sauber geregelt werden, wie Rolf Escher (CVP) sagte.

Atombefürworter fürchtet Aus

Kritische Töne kamen im Verlauf der Eintretensdebatte vor allem von wirtschaftsnahen Ratsmitgliedern. Sie warnten wiederholt davor, mit den beiden Gesetzen zu stark auf erneuerbare Energien zu setzen und damit herkömmliche Produktionstechniken wie die Atomkraft ins Abseits zu manövrieren.

Der absehbare Versorgungsengpass in 10 bis 20 Jahren müsse dazu führen, dass die Option für den Bau neuer Atomkraftwerke bestehen bleibe, hiess es sowohl bei den Vertretern der Schweizerischen Volkspartei (SVP) wie bei den Freisinnigen (FDP).

Linke kritisiert Mutlosigkeit

Auf der linken Gegenseite hingegen bezeichnete man die im Plenum noch nicht beratenen Vorschläge der vorberatenden Kommission zur künftigen Nutzung von erneuerbaren Energien – trotz einem klaren Bekenntnis zur Wasserkraft – als «eher mutlos».

Die Sozialdemokratin Anita Fetz warnte davor, den gegenwärtigen Energiefrieden in der Schweiz nicht ohne Not in einen neuen Kriegszustand zu verwandeln.

Einigkeit

Im September des vergangenen Jahres hatte sich der Nationalrat dafür ausgesprochen, den Schweizer Strommarkt in zwei Schritten zu öffnen. An diesem Vorgehen will auch die Kleine Kammer im Grundsatz nichts ändern, wie die Vertreterinnen und Vertreter von links und rechts im Verlauf der mehrstündigen Eintretensdebatte klar machten.

Eine Zusatzbarriere auf dem Weg zur vollständigen Marktöffnung soll aber insofern eingebaut werden, als nach Abschluss der ersten Phase der Marktliberalisierung für Grosskunden nochmals Gelegenheit für ein fakultatives Referendum geboten werden soll.

Damit sollen ein staatlich verordneter «Beschaffungsstress» für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie für Haushalte vermieden und eine Öffnung des Strommarkts – nach dem Scheitern der EMG-Vorlage im September 2002 – diesmal besser abgestützt werden. Die Detailfragen zur künftigen Nutzung von erneuerbaren Energien will der Rat am Mittwoch beraten.

swissinfo und Agenturen

Die Schweiz importierte 2005 aus der EU 47’084 Mio. kWh Strom.
2005 exportierte die Schweiz in die EU 40’734 Mio. kWh Strom.
Nettoimport der Schweiz: 6350 Mio. kWh Strom.
Landesverbrauch 2005: 61’637 Mio. kWh Strom.

In der Schweiz wird rund ein Fünftel des Energiebedarfs mit Strom gedeckt. Wasserkraftwerke mit Stauseen produzieren rund 30% des inländischen Stroms, Flusskraftwerke 25% und Kernkraftwerke 40%.

Als Strom-Importeur wünscht die Schweiz ein neues bilaterales Abkommen mit der Europäischen Union (EU) im Bereich Strommarkt. Es sollte die Sicherheit der Versorgung, den Zugang zum Markt und die Förderung der erneuerbaren Energien regeln.

Die Schweiz hat mit der EU bisher 16 bilaterale Abkommen abgeschlossen, die in zwei Phasen ausgehandelt wurden. Die ersten 7 sind im Juni 2002 in Kraft getreten.

Die Schweizer Bevölkerung hat die Liberalisierung des Marktes in einer Volksabstimmung 2002 abgelehnt. Ein neues Gesetz ist in Vorbereitung. Es sieht vor, den Markt in zwei Phasen zu öffnen und soll frühestens 2008 in Kraft treten.

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