Prionen fördern Langzeit-Gedächtnis
An der Universität Zürich haben Forscher erstmals ein Prion-Gen identifiziert, das die Leistung des Langzeit-Gedächtnisses entscheidend beeinflusst.
Prionen – infektiöse Eiweiss-Teilchen – waren bisher nur als Verursacher des Rinderwahnsinns und der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit bekannt.
«Die Natur erfand dieses Gen nicht nur, um uns den Rinderwahnsinn (BSE) zu bescheren», sagt Andreas Papassotiropoulos gegenüber swissinfo. Zusammen mit Dominique de Quervain ist er für das Untersuchungs-Projekt in der Abteilung für Psychiatrische Forschung der Universität Zürich zuständig.
Ihnen sei klar gewesen, dass das Prion-Gen eine bedeutendere Rolle habe, so Papassotiropoulos weiter. «Nur kannten wir diese bisher nicht. Unsere Forschungsergebnisse demonstrieren erstmals, dass dieses Gen tatsächlich die Leistung des Langzeit-Gedächtnisses bei Menschen fördert.»
Bereits zuvor hatte Medizin-Nobelpreis-Träger Eric Kandel, ein Pionier der Gedächtnis-Forschung, einen Zusammenhang zwischen prionen-ähnlichen Strukturen und dem Langzeit-Gedächtnis von Meeres-Schnecken hergestellt. Damals war zwar bekannt, dass genetische Variationen dieser Strukturen das menschliche Kurzzeit-Gedächtnis beeinflussen, ihre Auswirkung auf das Langzeit-Gedächtnis war bisher jedoch nicht klar.
Kandels Vorarbeit demonstrierte, dass das Langzeit-Gedächtnis bei Meeres-Schnecken durch neue Proteine entsteht, die sich an den Synapsen-Verbindungen zwischen den Nervenzellen bilden.
Jetzt demonstrieren Papassotiropoulos und de Quervain in Zürich, dass derselbe Mechanismus auch im menschlichen Langzeit-Gedächtnis eine zentrale Rolle spielt.
Der erste Schritt
Ausgehend von Kandels These untersuchten Papassotiropoulos und sein Team die Funktion der drei Gedächtnis-Typen – spontane, kurzzeitige und 24-Stunden verzögerte Erinnerungen – bei 349 Testpersonen.
Dabei hätten sie festgestellt, dass Personen mit unterschiedlichen Varianten des Prion-Gens auch unterschiedliche Leistungen des Langzeit-Gedächtnisses aufwiesen, erklärt Papassotiropoulos. Es sei das erste Gen überhaupt, das mit dem menschlichen Langzeit-Gedächtnis in Verbindung gebracht werden könne.
«Das ist ein erster, aber entscheidender Schritt zum Verständnis des menschlichen Gedächtnisses und zur Behandlung von Gedächtnisstörungen. Wir wissen zwar wie das Gedächtnis von Mäusen funktioniert, nicht aber was das menschliche Gedächtnis bewegt.»
Warum sich die einen besser erinnern
Schon vor einer Weile haben Wissenschafter bewiesen, dass der kognitive Prozess – wie wir denken und Erfahrungen sammeln – von Mensch zu Mensch stark variiert. Der Prozess wird von den Genen, der Umgebung und der Nahrung beeinflusst.
Um Informationen erfolgreich vom Kurzzeit- ins Langzeit-Gedächtnis zu bringen, braucht es offenbar stabile Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Die Zürcher Forscher beweisen nun, dass dieser Prozess vom Prion-Gen unterstützt wird. Das Gen kann beim gesunden Menschen in zwei Varianten auftreten, 129Met und 129Val.
24 Stunden nachdem die 349 Testpersonen in Zürich eine Wortliste auswendig lernen mussten, erinnerten sich die Träger der 129Met-Variante an 17% mehr Informationen als die Träger der 129Val-Variante. Das Kurzzeit-Gedächtnis war nicht betroffen.
Dieses Ergebnis weist darauf hin, dass das Prion-Protein im Langzeit-Gedächtnis eine Rolle spielt. Die endgültigen Resultate der Studie werden im kommenden August im englischen Wissenschafts-Journal «Human Molecular Genetics» publiziert.
Es bleibt viel zu tun
Noch fehlten konkrete und realisierbare Resultate, geben die Wissenschafter zu bedenken. «Es handelt sich um eine Langzeit-Studie», sagt Papassotiropoulos. «Bisher wusste niemand, welche Gene an der Bildung des menschlichen Gedächtnisses beteiligt sind. Und nun müssen wir verstehen lernen, wie es funktioniert, damit wir es wieder in Ordnung bringen können, wenn es nicht mehr funktioniert.»
Augenzwinkernd fügt er an, dass sich Leute mit einem guten Gedächtnis nun nicht fürchten und das Vergessen üben müssten. «Wir haben überhaupt keine Hinweise darauf gefunden, dass Menschen mit einem guten Erinnerungsvermögen an BSE oder an der Creutzfeldt-Jakob erkranken könnten.»
In einem nächsten Schritt müssten sie nun weitere Gene identifizieren, um zu erfahren wie das Langzeit-Gedächtnis genau funktioniere, sagt er weiter. Erst wenn sie diese Gene gefunden hätten, könnten sie lokalisieren, wo genau sie wirken.
swissinfo
Forscher der Universität Zürich haben das erste Gen identifiziert, das bei der Bildung des menschlichen Langzeit-Gedächtnisses eine entscheidende Rolle spielt.
Es handelt sich dabei um ein Prionen-Protein.
Das Ergebnis basiert auf der Untersuchung des unmittelbaren, kurzzeitigen und langzeitigen Erinnerungsvermögens von Personen mit unterschiedlichen Varianten des Prion-Gens.
Eine solche Verbindung war bisher nur bei Meeresschnecken bekannt.
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