Regierung unterstützt Stammzellen-Forschung
Die Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen aus überzähligen Embryonen und der Import von Stammzellen sollen in der Schweiz erlaubt werden.
Der bundesrätliche Entwurf zum Embryonenforschungs-Gesetz verlangt aber strenge Auflagen.
Mit dem neuen Gesetz soll gemäss Bundesrat der missbräuchliche Umgang mit überzähligen menschlichen Embryonen und menschlichen embryonalen Stammzellen verhindert werden.
«Es ist das liberalste Gesetz, das wir mit der aktuellen Verfassung in Einklang bringen können», sagte Gérard Escher, Mitarbeiter des Staatssekretärs für Wissenschaft und Forschung.
Gesundheitsministerin Ruth Dreifuss betonte bei der Präsentation des Entwurfs am Mittwoch, es gebe ein gesellschaftliches Dilemma. Deshalb wolle man klare, ethische Grundsätze festsetzen.
«Wo wird die Menschenwürde verletzt?»
Überzählige Embryonen sind Embryonen, welche nach einer In-Vitro-Befruchtung nicht eingepflanzt werden (beispielsweise, wenn die Frau erkrankt). Diese überzähligen Embryonen geniessen laut Dreifuss den Schutz der Menschenwürde.
Dies sei aber kein totaler Schutz. Überzählige Embryonen hätten nicht mehr die Möglichkeit, sich zu Menschen zu entwickeln und seien allein nicht lebensfähig. «Sie sind keine Personen, aber auch keine Sachen», sagte Dreifuss. Gerade deshalb brauche es ein Gesetz.
Auch wenn Ergebnisse für die praktische Anwendung erst in einigen Jahren zu erwarten seien, lasteten doch grosse Hoffnungen auf der Forschung mit embryonalen Stammzellen.
Immer wieder ist die Rede von Therapien gegen bisher kaum behandelbare Krankheiten wie Parkinson.
Keine Verwendung für kommerzielle Zwecke
Neben der Gewinnung von Stammzellen aus überzähligen Embryonen wollen verschiedene Forscher auch gezielt Embryonen zu Forschungszwecken erzeugen («therapeutisches Klonen»). Dies ist gemäss dem Gesetzesentwurf verboten.
Die Verwendung solcher Stammzellen ist auch untersagt. Überzählige Embryonen dürfen weder ein- noch ausgeführt und höchstens bis zum 14. Tag entwickelt werden.
Kauf und Verkauf von Embryonen und Stammzellen sind verboten. Importierte Stammzellen müssen analog der Schweizer Regelung gewonnen worden sein.
Embryonen und Stammzellen dürfen nicht für kommerzielle Zwecke, sondern nur im Rahmen konkreter Forschungsprojekte verwendet werden.
Erlaubt ist die Gewinnung embryonaler Stammzellen für die zukünftige Forschung. Allerdings muss der entsprechende Bedarf im Inland nachgewiesen werden.
Wissenschaftliche Qualität und Ethik
An überzähligen Embryonen darf nur geforscht werden, wenn das betroffene Paar explizit zugestimmt hat. Die Forschung an überzähligen Embryonen und die fortpflanzungs-medizinische Behandlung des Paars müssen klar getrennt sein.
Für die Forschung an Embryonen und die Gewinnung von Stammzellen ist eine Bewilligung des Bundesamts für Gesundheit erforderlich. Forschung an vorhandenen Stammzellen braucht die Zustimmung der betreffenden Ethikkommission. Geforscht werden darf nur, wenn die Erkenntnisse nicht auf anderem Weg gewonnen werden können.
Die Forschung muss prinzipiell hochrangigen Forschungszielen dienen, die Kriterien wissenschaftlicher Qualität erfüllen und ethisch vertretbar sein. Die Forschungs-Ergebnisse müssen öffentlich zugänglich gemacht werden.
«Es ist das erste Mal, dass Politiker und Juristen sich mit Zweck und Grenzen von Forschung beschäftigen», betonte der Rechtsexperte Rainer Schweizer von der Universität St. Gallen gegenüber swissinfo. «Es geht hier nicht nur um die Risiken von Forschung – und das ist der grosse Unterschied beispielsweise zur Atom- oder Informatik-Gesetzgebung.»
Man müsse akzeptieren, so Schweizer weiter, «dass sich diese Entscheide in zwei oder drei Jahren als falsch herausstellen und sie dem neuen Kenntnisstand angepasst werden müssen».
Einigung eilt
Thomas Zeltner, Direktor des Bundesamts für Gesundheit, sagte, es sei zukünftig mit «einigen Dutzend bis hundert» überzähligen Embryonen jährlich zu rechnen. Dazu kämen noch rund 1000 aufbewahrte Embryonen.
Die Anzahl der jetzt vorhandenen Embryonen scheint aber weiterhin unklar zu sein. Während es gemäss Medienberichten deutlich weniger als 1000 sein sollen, erklärte Gérard Escher gegenüber swissinfo, er gehe von 3000 bis 5000 aus.
Klarheit tut Not – bald. Denn bis Ende 2003 müssen diese Embryonen zerstört werden, sollten sich die Verantwortlichen nicht einigen. Zudem machen die Forscher Druck für einen raschen Entscheid. Auch Bundesrätin Ruth Dreifuss hofft auf eine rasche Beratung des Gesetzes im Parlament, damit «die rechtlichen Unsicherheiten geklärt» würden.
swissinfo, Vincent Landon und Agenturen
Noch ist offen, wie die abschliessenden Regelungen nach der Parlaments-Debatte in der Schweiz aussehen werden.
Europaweit geriet Grossbritannien in die Schlagzeilen, als dort das therapeutische Klonen erlaubt wurde.
Anders sieht die Situation in Deutschland aus: Dort wird die Forschung mit embryonalen Stammzellen nur sehr eingeschränkt zugelassen.
In Italien beispielsweise gibt es gar keine Regelungen.
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