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Reiche und Unternehmen tragen Hauptlast des Staates

Pascal Gentinetta: Nicht Solidarität in Frage stellen, sondern Fakten auf den Tisch legen. Keystone

Die Schweiz wird von Minderheiten finanziert: Gemäss einer Studie von economiesuisse steuern reiche Private und Unternehmen rund 60% der Staatsausgaben bei.

Die übrigen 80% der Bevölkerung zahlten etwas mehr als einen Drittel, heisst es in der Studie des Schweizer Wirtschafts-Dachverbandes.

Das solidarische Steuersystem in der Schweiz funktioniert: Gemäss einer Studie des Wirtschaftsdachverbands economiesuisse finanzieren Unternehmen und Reiche den Staat zu rund 60 Prozent.

Eine kleine Minderheit bezahle damit den Staat, erklärte Pascal Gentinetta, designierter Direktor von economiesuisse. Dies zeige die Studie “Wer finanziert den Staat in der Schweiz?” auf, die der Dachverband am Montag vorstellte.

Die Untersuchung, die sich auf Steuern und Sozialbeiträge stützt, wolle möglichst viele Fakten auf den Tisch legen. “Sie soll einen Grundstein legen für eine Versachlichung der politischen Umverteilungsdiskussion”, sagte Gerold Bührer, Präsident von economiesuisse.

Solidarität spielt

Aufgrund der vorliegenden Zahlen schloss Bührer: “Unser Steuersystem ist ausgeprägt solidarisch.” Von einer Entsolidarisierung könne keine Rede sein.

Es zeige sich zudem, dass ein konkurrenzfähiges, attraktives Steuersystem allen zugute komme, also der Wirtschaft und der Bevölkerung.

Bührer selbst ist der Überzeugung, dass es “keine Alternative zu einer an der internationalen Wettbewerbsfähigkeit orientierten Steuerpolitik gibt”.

Unternehmen leisten grössten Beitrag

Gerade Unternehmen leisteten als Arbeitgeber den grössten Beitrag zur Finanzierung der staatlichen Sozialversicherungen. Damit leisteten sie hohe Solidaritätsbeiträge.

“Die Schweiz ist bezüglich der Soziallastquote in einen kritischen Bereich vorgestossen”, sagte Thomas Daum, Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. Zusätzliche Soziallasten würden dem Standort Schweiz schaden.

Die Unternehmen seien nicht nur als Steuerzahler wichtig, sondern auch als Anbieter von Arbeitsplätzen. “Denn letztlich sind es die Arbeitsplätze und die darauf erzielten Lohneinkommen, welche dem grössten Teil unserer Bevölkerung ihre soziale Sicherheit schaffen”, erklärte Daum.

Reiche zahlen ordentlich

Auch die besser Situierten zahlen gemäss Gentinetta ordentlich Steuern: So finanzierten 20% der Reichen rund 35% der Staatseinnahmen. Die übrigen 80% der Bevölkerung lieferten etwas mehr als einen Drittel. Hier werde vor allem der Mittelstand stark belastet.

Der Rest werde vom Ausland und durch Neuverschuldung zulasten der künftigen Generation finanziert, präzisierte Gentinetta. Es müsse jedoch berücksichtigt werden, dass auch das Einkommen nicht ausgeglichen verteilt sei. So gehe es nicht darum, die Solidarität in Frage zu stellen, sondern Fakten vorzulegen.

SGB: “Fragwürdige Interpretation”

Zahlen korrekt, aber fragwürdige Interpretation, lautet die Reaktion des Schweizerischen Gewerkschaftbundes (SGB) auf die Studie.

“Die Zahlen besagen, dass der Reichtum in der Schweiz sehr ungleich verteilt ist”, sagte SGB- Zentralsekretär Pietro Cavadini gegenüber swissinfo.

Die ungleiche Reichtumsverteilung werde durch das progressive Steuersystem etwas korrigiert. “Wenn der Dachverband von einem solidarischen Steuersystem spricht, aber gleichzeitig die Flat Tax propagiert, ist das unglaubwürdig”, so Cavadini. Denn eine Kopfsteuer hebe die umverteilende Wirkung der Steuerprogression auf.

Unrealistisches Bild

Auch Gebhard Kirchgässner, Professor für Steuerrecht an der Universität St. Gallen, meldet Vorbehalte an. “Die Studie sagt nicht so viel aus, wie sie vorgibt, denn die Berechnungen sind problematisch”, sagt er gegenüber swissinfo.

Weil bei den Aufwendungen der Haushalte weder Kapitalgewinnsteuern noch Sparkapitalien berücksichtigt worden seien, resultiere ein verzerrtes Bild darüber, wie viel Mehrwertsteuern die Reichen bezahlten.

“Zudem wird die Steuerlast der Reichen in Beziehung zu deren Einkommen überschätzt, wenn die Kapitalgewinne nicht mit eingerechnet werden”, so Kirchgässner.

swissinfo und Agenturen

Der Wirtschafts-Dachverband economiesuisse entstand 2000 aus dem Schweizerischen Handels- und Industrieverein (Vorort) und der Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft. Der Arbeitgeberverband ging eigene Wege.

economiesuisse spielt in der Schweizer Wirtschaftspolitik eine wichtige Rolle.

Der Verband kämpft aber mit Problemen: Branchenverbände traten aus oder drohten damit. Zudem muss das Jahresbudget von 15 Mio. Franken (2006) bis 2008 um 20% gesenkt werden.

economiesuisse vereint 100 Branchenverbände, 20 kantonale Handelskammern sowie einige Einzelfirmen.
Der Dachverband vertritt 30’000 Unternehmen. Diese beschäftigen mehr als 1,5 Mio. Angestellte.
economiesuisse beschäftigt 55 Personen in Genf, Bern, Lugano, Brüssel und am Hauptsitz in Zürich.

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