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«Saubere Energie ist teuer, dreckige ist billig»

Stehen im Stau: Global Leaders auf der "Promenade" in Davos. swissinfo.ch

Klimawandel, steigender Energieverbrauch und CO2-Emmissionen sind vieldiskutierte Brennpunkte am Weltwirtschaftsforum in Davos.

Am öffentlichen Open Forum diskutierten Teilnehmer die Frage, wer sich denn überhaupt um einen nachhaltigen Energieverbrauch kümmere.

«Promenade», so heisst die schneebedeckte Einkaufsstrasse im Kurort. Spazieren ist kein Vergnügen. Luxuslimousinen und geländegängige Premium-Fahrzeuge drehen Runden, stauen sich, bringen die Global Leaders vom Hotel an eine wenige hundert Meter entfernte Party oder an ein Forum. Die Fahrer drücken aufs Gaspedal, die traktionsstarken Boliden rauschen davon.

«Am WEF reden dieses Jahr alle vom Klimawandel. Es gibt CEO, die klagen, sie könnten nicht mehr schlafen, so stark beschäftige sie das Thema. Doch hier sitzen sie in einer grossen Limousine», frotzelt Fatih Birol, der Chefökonom der internationalen Energieagentur.

Der Kanadier David Runnalls, CEO des internationalen Instituts für nachhaltige Entwicklung, doppelt nach: «Am schnellsten ist man hier zu Fuss. Das ist der Beweis, dass Energiesparen etwas bringt.» – Applaus.

Die langfristigen Klimaprognosen sind düster. Ein im Februar erscheinender und auszugsweise vorab veröffentlichter Bericht der UNO warnt vor Dürreperioden, schweren Regenfällen, einem steigenden Meeresspiegel und dem Schmelzen des arktischen Eises.

«Der CO2-Ausstoss muss um 70% gesenkt werden und nicht lediglich um 5%. Dieses Ziel müssen wir sofort angehen», fordert Runnalls. «Aber die USA haben nicht einmal das Kyoto-Protokoll unterzeichnet. Kanada hat unterschrieben, setzt es jedoch nicht um.»

Sanktionen oder Innovationen?

Auch die Schweiz sei weit davon entfernt, die Kyoto-Ziele zu erreichen, bedauert Franziska Teuscher. Die grüne Schweizer Parlamentarierin plädiert für die Zeit nach 2012 – nach Ablauf des Kyoto-Protokolls – für eine internationale Klimabehörde mit Sanktionsmöglichkeiten.

«Es braucht einen neuen internationalen Mechanismus. Da müssen aber auch die USA, Russland, Indien und China mitmachen. Das wird nicht so einfach sein», stellt Runnalls fest.

«40% der CO2-Emmisssionen stammen von der Kohle. Da haben viele Länder noch immense Reserven. Deshalb setze ich auf technologische Erneuerung, Innovation. Effizienz, nicht auf Strafen.»

Fatih Birol erinnert daran, dass 1,6 Mrd. Menschen auf der südlichen Halbkugel immer noch keine Stromversorgung haben. «Ohne Strom kann man auch keine Medikamente im Kühlschrank lagern. Das ist in diesen heissen Ländern ein Teufelskreis.»

Grundsätzlich gelte die Devise, «saubere Energie ist teuer, dreckige ist billig» stellt Birol fest und lässt keinen Zweifel, dass der weltweite Energieverbrauch in Schwellenländern wie China in den kommenden Jahren exponential ansteigen wird.

Mehr Tempo bei der Umsetzung

Energie effizienter nutzen und den Verbrauch eindämmen, Öl und Gas durch erneuerbare Energien ersetzen und Kernkraft. Das seien die Stichworte. Auch grosse Industrien beschäftgten sich mit der Aufgabe und inzwischen seien sich sogar die konservativsten Politiker bewusst, dass die Energie- und Klimafrage ein Problem sei. «Die sollen jetzt nicht nur schwafeln, sondern auch liefern.»

Mehr Tempo bei der politischen Umsetzung der Energiewende, das fordert Franziska Teuscher auch für die Schweiz. «Wäre der Preis des Erdöls genauso angestiegen, wie der Brotpreis, würde ein Liter Benzin jetzt fünf Franken kosten.» Erneuerbare Energien seien immer noch zu teuer. Deshalb brauche es Anreizstrategien. «Dazu gehört auch eine höhere CO2-Abgabe.»

Damit würde sich die Schweiz von dem restlichen Europa abkoppeln, kontert Emanuel Höhener. «In der Schweiz ist die Preiselastizität zudem sehr hoch.» Der Vertreter der Elektrizitäts-Wirtschaft erinnert an das vorläufig gescheiterte Geothermie-Heizkraftwerk-Projekt in Basel und will «dort zupacken, wo die Technologie da ist, statt auf Innovationen zu setzen.»

Vision oder Illusion?

Die Elektrizitäts-Wirtschaft will dem prognostizierten Energieengpass mit neuen Kernkraftwerken begegnen. Die Politik ist daran, die Weichen zu stellen. Der Energieminister setzt auf Gaskraftwerke, erneuerbare Energien und hält die Option Kernkraft offen. Grüne und Linke streben die «2000 Watt-Gesellschaft» an.

Das heisst: Vollversorgung mit erneuerbaren Energien und Reduktion des Energieverbrauchs von derzeit 6000 Watt pro Kopf und Jahr auf 2000 Watt. «Es ist eine Vision, aber sie ist ohne Einbussen im Lebensstandart machbar», glaubt Teuscher.

«Das führt zu einer völlig anderen, dirigistischen Gesellschaft, zu einem Zurückschrauben. Die Vision bewegt sich für mich sehr stark im Bereich der Illusionen», so Höhener.

swissinfo, Andreas Keiser in Davos

Das Open Forum in Davos ist eine gemeinsame Veranstaltung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes und des World Economic Forums (WEF).

Das Forum findet 2007 zum 5. Mal statt und besteht aus sieben Podiums-Diskussionen zu Themen wie Entwicklungshilfe, Managerlöhne, mulikulturelle Gesellschaft, Religionen.

Im Gegensatz zum von Polizei- und Armeekräften hermetisch abgeschirmten WEF ist das Open Forum öffentlich.

Das WEF reagierte im Jahr 2002 mit dem Open Forum auf die Demonstrationen von Globalisierungs-Kritikern und Nichtregierungs-Organisationen (NGO) und deren Vorwurf, es sei das «Hochamt des Kapitalismus».

Die Idee des Open Forums ist es, auch Stimmen der Globalisierungs-Kritiker ins WEF einzubinden.

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