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Schadet Übergewichts-Diskussion den Kindern?

Diese Suppe ess ich nicht - bereits Kinder sind vom Schlankheitswahn betroffen. imagepoint

Anfang Jahr hat die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz eine Kampagne gegen Übergewicht gestartet. Hauptzielgruppe sind Kinder und Jugendliche.

Doch Experten schlagen Alarm: Die aktuelle Übergewichts-Diskussion sei mitverantwortlich für die Zunahme der Zahl magersüchtiger Kinder.

«Die Schweiz wird immer dicker» und «Es braucht wenig, um viel zu verändern»: Plakate mit diesen Slogans gehören zur breit angelegten Kampagne der Gesundheitsförderung Schweiz.

Die Kampagne soll dazu beitragen, dass der Trend zu immer mehr Übergewichtigen bis 2010 gestoppt wird.

Ein Trend, der weltweit zu beobachten ist. «Die Schweiz steht zwar im europäischen Vergleich sehr gut da, doch bei genauerem Hinsehen ist die Situation auch hier alarmierend», sagt Peter Burri, Kommunikationsleiter von Gesundheitsförderung Schweiz, gegenüber swissinfo.

Besonders besorgniserregend sei der Trend bei Kindern, so Burri: In der Schweiz ist heute jedes fünfte Kind zu dick.

Der Kampf um überflüssige Pfunde wird nun auch in der Schule geführt: So hat die Gesundheitsförderung Schweiz zusammen mit dem Kanton Luzern das Programm «Rundum fit» lanciert. Rund 4600 Luzerner Schulkinder erhalten dieses Jahr Instruktionen in Sachen Bewegung und Ernährung.

Insgesamt investiert die Gesundheitsförderung Schweiz für ihre vierjährige Gewichtskampagne rund 35 Mio. Franken.

Gegen Übergewichts-Diskussion

Doch während die Gesundheitsförderung Schweiz, das Programm Suisse Balance und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Schweizer Bevölkerung für die Übergewichts-Problematik sensibilisieren wollen, raten Ärzte und Psychologen, nicht dauernd über das Thema Essen zu reden.

Mehr noch: Experten machen die aktuelle Übergewichts-Diskussion gar mitverantwortlich dafür, dass die Zahl der magersüchtigen Kinder in den letzten Jahren angestiegen ist.

«Die Anorexie-Patienten werden immer jünger», sagt Erika Toman, Präsidentin des Experten-Netzwerks Essstörungen Schweiz (ENES). Das zeigten Meldungen aus dem Zürcher Kinderspital oder dem Zürcher Stadtspital Triemli. Es gebe bereits Kindergärtler oder Schulanfänger, die über eine Diät nachdenken würden oder schon eine hinter sich hätten.

Auch Barbara Rost, leitende Ärztin an der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Universitätsklinik Basel, bestätigt, dass sich das Erkrankungsalter in den letzten Jahrzehnten tendenziell nach unten verschoben habe. Auch wenn ganz junge Kinder mit Anorexie die Ausnahme blieben.

Schlankheit wird immer früher zum Thema

«Dass sich Kinder so früh mit dem Thema beschäftigen, hängt auch damit zusammen, dass so viel informiert wird», ist Toman überzeugt. Die Vorstellung, durch vermehrte Information der Kinder ihr Essverhalten zu verbessern, habe sich nicht bewahrheitet. Die Kinder wüssten zwar mehr darüber, was «gesund» sei, doch beeinflusse dieses Wissen ihr Handeln nicht in der erwünschten Richtung.

«Nahrung ist seit früher Kindheit mit emotionalen Schemata verbunden», sagt Toman gegenüber swissinfo. Das Essverhalten könne nicht einfach kognitiv vermittelt werden.

Für Kinder und Jugendliche sei es schwierig, die Ernährungs-Infos richtig einzuordnen. So gebe es Jugendliche, die keine Butter mehr aufs Brot streichen, weil sie gehört haben, Fett sei ungesund. Oder schlankheitsfixirte Mädchen, die keine Äpfel mehr essen, weil Fruchtzucker drin ist.

«Kampagnen verunsichern»

«Informations-Kampagnen verunsichern nur», sagt Toman. Es brauche vielmehr einen handlungsorientierten Ansatz. Zum Beispiel indem man den Schulweg attraktiv mache oder Nahrung schmackhaft zubereite.

Eltern rät die Psychologin, nicht dauernd darüber zu reden, wie ungesund Schokolade ist, sondern einfach weniger Schokolade aufzutischen. Denn, so Toman: «Die Hungersättigung funktioniert eigentlich von Geburt an, genau wie das Bedürfnis nach Schlaf. Und übers Schlafen muss man auch nicht diskutieren, sondern ohne viele Worte einen Rahmen schaffen, der einen gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus ermöglicht.»

Wichtig sei, dass Eltern möglichst früh Rat und Hilfe suchten, so Rost. Denn bei akuter Anorexie im Kindesalter erfolge die Gewichtsabnahme häufig sehr rasch, was gefährliche Folgen betreffend Stoffwechsel und Kreislauf haben könne.

Übergewichtige Bevölkerung im Visier

«Diese Diskussion muss sachlich und gelassen geführt werden», sagt Burri. Die Thematik Untergewicht sei durchaus ernst zu nehmen, doch im Vergleich zum Übergewicht – mit der ein grosser Teil der Bevölkerung kämpfe – seien nur etwa 2% der Schweizer Bevölkerung davon betroffen.

Gesundheitsförderung Schweiz nehme die Kritik jedoch zur Kenntnis. Ende Oktober 2007 würden die Resultate einer Umfrage veröffentlicht, die insbesondere untersucht, ob die Kampagne einen Einfluss auf die Untergewichtigkeit hat.

swissinfo, Corinne Buchser

Unter Magersucht versteht man eine Störung des Essverhaltens, bei der eine Person ihr Körpergewicht willentlich dramatisch verringert.

Häufig geht Magersucht einher mit ausgeprägtem Leistungsdenken. Essstörungen sind Ausdruck einer gestörten Beziehung zu Familie, zu Gleichaltrigen und/oder zu sich selbst.

Rund 2% der Bevölkerung – vor allem Mädchen und junge Frauen – sind von Magersucht betroffen.

Die Tendenz in den industrialisierten Staaten ist jedoch stark steigend.

Durch eine frühzeitige Behandlung der Magersucht finden etwa 30% der Patienten wieder zum Normalgewicht, bei 25% wird die Erkrankung chronisch. 10 bis 15% sterben an den Folgen der Magersucht.

Im Jahr 2002 brachten rund 30% der Erwachsenen in der Schweiz zu viele Kilos auf die Waage.

Fast 7% davon waren adipös, das heisst stark übergewichtig.

Jedes fünfte Kind in der Schweiz ist heute zu dick.

Gemäss einer Studie des Bundesamts für Gesundheit (BAG) verursachen die Folgen von Übergewicht in der Schweiz jährlich Kosten von rund 2,7 Mrd. Franken.

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