Schiffe in der Wüste und andere Blüten der Migration
"The Maghreb Connection – Movements of Life across North Africa" heisst ein von der Kulturstiftung Pro Helvetia initiiertes Kunst- und Forschungsprojekt über Migration von Afrika nach Europa.
Das internationale Projekt unter der Leitung der Zürcher Kuratorin und Künstlerin Ursula Biemann wird zur Zeit in Kairo präsentiert und reist im Februar nach Genf.
Die Ansicht aus der Luft ist beinahe idyllisch: Tief unten am Fuss einer hohen Sanddüne mitten in der Sahara steht ein Zelt wie ein kleines Haus. Mit Steinen ist eine Art Vorplatz markiert und hinter dem Zelt lagert ein umgedrehtes Holzboot. Nur das Meer ist noch weit.
Die Geschichte hinter dem Foto: Weil die Küstenstreifen von der Polizei streng kontrolliert werden, verschiebt sich die Fluchtvorbereitung ins Hinterland. Boote werden in der Wüste gebaut und nachts im Schutz der Dunkelheit ans Meer getragen, sobald der Zeitpunkt der Überfahrt feststeht.
Das Bild ist eines von zehn «Sahara Panels», welche die Zürcher Künstlerin und Kuratorin Ursula Biemann auf Grund von Überwachungsfotos der marokkanischen Polizei zusammengestellt hat.
Das gross angelegte und über zwei Jahre hinweg entstandene Kunst- und Forschungsprojekt «The Maghreb Connection» folgt den Routen und Stationen der Transitmigration durch Nordafrika, fragt nach dem Funktionieren der Grenzen und dessen Auswirkungen auf die Migrationsströme.
Mobile Strukturen bei der Wanderung durch die Wüste
In der grossen Halle der Townhouse Gallery in Kairo drängen sich an der Vernissage Interessierte um die Bildschirme, wo Videofilme die Forschungsreisen dokumentieren. Besonders fesselt ein Interview mit dem einstigen Tuareg-Rebellenführer Alawa, der nun illegale Transportwege organisiert.
«Wir verfolgen in unserem Projekt einen geografischen Ansatz», erklärt Biemann. «Es geht um die Frage, wie sich Migration räumlich ausdrückt, welche Architekturen sie hervorbringt, wie Slums entstehen und welche mobilen Strukturen sich bei der Wanderung durch die Wüste zeigen.»
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Pro Helvetia
Gezeichnete Reise
In einem Nebenraum wird der Animationsfilm «From Rome to Rome» der ägyptischen Künstlerin Hala Elkoussy an die Wand projiziert. In leichten und bewegten Strichen hingezeichnet, berührt die Geschichte um den ausreisewilligen Younis, der traurig von seiner Verlobten Abschied nimmt und voller Hoffnung nach Italien aufbricht.
Elkoussys Arbeit basiert auf einer Sammlung von Zeitungsartikeln über mehr oder weniger geglückte Auswanderungsversuche und auf Interviews in einem ägyptischen Dorf, das wegen seiner vielen Italien-Auswanderer Rom genannt wird.
«Doch der eigentliche Auslöser meiner Recherche war die Ermordung der Schweizer Fotografin Veronique Audergon durch ihren ägyptischen Liebhaber im Januar 2004», erzählt Hala Elkoussy vor der Townhouse Gallery in Kairo.
Der inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilte Mörder brachte die Frau vermutlich um, weil sie sich geweigert hatte, ihn zu heiraten und nach Europa mitzunehmen. «Das hat mich erschüttert. Ich wollte der Frage nachgehen, was Menschen bereit sind zu riskieren – für den Traum eines besseren Lebens woanders», sagt Elkoussy.
Von Tür zu Tür
Eine etwas andere Migrationsgeschichte erzählt die Ägypterin Doa Aly, die sich auf die Spuren der chinesischen Hausiererinnen in Kairo gemacht hat. Mit grossen Taschen und bescheidenen Sprachkenntnissen gehen diese jeden Morgen von Tür zu Tür und preisen billige chinesische Haushaltsgeräte und Kleider an.
Die marokkanisch-französische Künstlerin Yto Barrada irritiert mit ihrer Fotoserie «Sleepers». Sie zeigt im Gras liegende Menschen, die ihr Gesicht zugedeckt haben – wie man es bei Leichen sieht -, die aber offenbar schlafen, erschöpft von langen Fussmärschen Richtung neues Leben.
Die Ausstellung zeigt auf vielfältige Weise, wie im Kontext der Migration nationale Grenzen überschritten, unterwandert und ausgehöhlt werden. Ebenso transnational sind die Arbeitsweisen der beteiligten Künstler und Forscher von Zürich bis Kairo.
Kunststudium in den USA
Ursula Biemann, die für «The Maghreb Connection» verantwortlich zeichnet, hat sich schon immer für Globalisierungs-, Migrations- und Geschlechterfragen interessiert. Nach einem Kunststudium in den USA hat sie ihr erstes wichtiges Projekt der Grenze zu Mexiko gewidmet.
Biemanns Arbeiten sind immer politisch und gesellschaftlich verankert, doch betont sie: «Ich bin keine Aktivistin, sondern operiere im symbolischen Raum. Ich will im Diskurs intervenieren, nicht in der realen Welt.»
swissinfo, Susanne Schanda, Kairo
Die Ausstellung «The Maghreb Connection» ist noch bis 13. Januar 2007 in Kairo zu sehen.
Am 23. Februar 2007 kommt sie ins Centre d’Art Contemporain nach Genf, begleitet von einem reich illustrierten, englisch-arabischen Buch und einer Konferenz zum Thema Humanitäre Politik.
Das Projekt ist eine Zusammenarbeit von Kunstschaffenden aus der Schweiz (Ursula Biemann, Charles Heller, Raphael Cuomo, Maria Iorio), aus Kairo (Hala Elkoussy, Doa Aly) und Tanger (Yto Barrada, Helena Moleno).
Beteiligt sind zudem Medien- und Design-Aktivisten aus Malaga (Observatorio Tecnologico) und der Fotograf Armin Linke aus Mailand.
Mit Diskussionsbeiträgen an den Konferenzen und im Buch vertreten sind der Soziologe Mehdi Alioua (Rabat/Toulouse), der Geograf Ali Bensaad (Marseille), der Anthropologe Michel Agier (Paris) und der Kunstkritiker Brian Holmes (Paris).
Die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia ist Hauptsponsorin des Projekts. Es wird mitfinanziert von der Heinrich-Böll-Stiftung und ist als Forschungsprojekt an der Ecole Supérieure des Beaux Arts (ESBA) in Genf und der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich (HGKZ) angedockt.
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