Schon wieder schlechte Noten für Schweizer Schüler
Erneut schneiden Schweizer Schülerinnen und Schüler in einem internationalen Vergleich schlecht ab. In einer Studie zum politischen Wissen von Jugendlichen aus 28 Ländern ist die Schweiz nur auf Rang 19.
Zutage kommt auch eine negative Haltung gegenüber Ausländern.
Nach dem Schock der PISA-Studie, wonach Jugendliche in der Schweiz im internationalen Vergleich nur über durchschnittliche Fähigkeiten beim Lesen verfügen, nun auch das noch: Die Schweizer 15-Jährigen liegen im Bereich «politisches Wissen und Verstehen» im Vergleich mit 28 Ländern gerade mal auf Platz 19 und damit im unteren Durchschnitt.
«Jugend ohne Politik»: So heisst der Schweizer Teil der internationalen Bildungsstudie «Citizenship and Education in 28 Countries», an der sich rund 94’000 Schüler und Schülerinnen im Alter von 14 bis 15 Jahren aus 28 demokratischen Ländern beteiligt haben.
Spitzenreiter der internationalen Studie ist Polen, gefolgt von Finnland, das schon bei der PISA-Studie in der Spitzengruppe war, Zypern und Griechenland.
Fehlende Strukturen für politische Bildung
Über die Gründe des schlechten Abschneidens der Schweiz gibt die Studie keine Auskunft. Doch für Fritz Oser, Professor für Pädagogik an der Universität Freiburg und wissenschaftlicher Leiter der Studie in der Schweiz, steht fest, dass in den Schweizer Schulen eine klare Struktur für Geschichtsunterricht und politische Bildung fehlt.
«In diesen Bereichen arbeiten die Schulen in der Schweiz so, dass dieses politische Wissen unregelmässig, ja rein zufällig zustande kommt, ohne dass man ein Gefäss dafür hat, wo dieses Wissen erworben werden kann», sagt Oser gegenüber swissinfo.
Die Schuld für das erneute schlechte Abschneiden der Schweiz in der jüngsten Bildungsstudie sei allerdings nicht einfach bei der Schule zu suchen, ist Heinz Rhyn von der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) überzeugt.
«Das Thema politische Bildung wird zwar sicher auch schulisch vermittelt, aber da sind noch andere gesellschaftliche Kreise mit einbezogen», so Rhyn zu swissinfo.
Demokratie nichts Selbstverständliches
Man könne auch sagen, je höher das Vertrauen in die staatlichen Institutionen (Regierung, Justiz, Polizei) sei, desto weniger politisches Engagement gäbe es. Das sei zwar nicht erforscht, doch im Fall der Schweizer Schüler treffe dies zu, sagt Fritz Oser. Tatsächlich liegt die Schweiz im Bereich «Vertrauen in staatliche Institutionen» in der Studie auf Rang drei. Für Oser letzten Endes auch ein Ausdruck einer «gesättigten Gesellschaft».
Die Schule müsste junge Menschen zu einem politischen Verständnis für Abläufe, Machtstrukturen, Verantwortung und Beteiligung an der Demokratie erziehen. «Sie müssten lernen, dass Demokratie nichts Selbstverständliches ist», so Oser. Er verlangt einen verbindlichen Unterricht in Sachen Demokratie-Verständnis.
Für Heinz Rhyn von der EDK ist klar, dass im Bereich Schule tatsächlich noch Verbesserungen gemacht werden könnten. «Das Fach politische Bildung ist in einigen Kantonen zwar sehr gut dotiert, in anderen aber sicher weniger. Da besteht ein Nachholbedarf.»
Das Zusammenleben in der Schule müsse entsprechend ausgestaltet werden, damit demokratische Strukturen konkret erlebt werden könnten, sagt Rhyn. Die EDK gebe aber keine Empfehlungen an die Lehrkräfte, wie das nach der PISA-Studie geschehen sei. Die EDK habe in ihrem Bericht «Politische Bildung in der Schweiz» im Jahr 2000 bereits Massnahmen vorgeschlagen, und die Kantone seien schon aktiv geworden.
Emotional mobilisierbar, politisch nicht
An den grossen Kundgebungen gegen den Irak-Krieg haben in der Schweiz auffallend viele Schülerinnen und Schüler teilgenommen. Professor Oser sieht da keinen Widerspruch zur Studie. Das Engagement gegen den Krieg ist für ihn eher eine emotionale Reaktion auf eine Ungerechtigkeit. Das sei löblich, habe mit politischer Bildung aber wenig zu tun.
Wie schlecht es um die politische Bildung der Schweizer Jugendlichen steht, beweist laut Oser die Tatsache, dass diese beim Thema Ausländerrechte den zweitletzten Rang (vor Deutschland) von 28 Ländern belegen. «Das heisst, dass ein grösserer Teil unserer Jugendlichen als anderswo – nämlich rund ein Fünftel – eine negative Einstellung zu den Rechten von Migranten hat.»
Immerhin zeigt die Studie auch, dass Schweizer Jugendliche überdurchschnittlich stark für die Rechte der Frauen einstehen.
Regionale Unterschiede
Die Schweizer Auswertung der Studie bringt überraschenderweise Unterschiede zwischen den Sprachregionen zutage. Während die Schweizer Schüler in ihrem politischen Wissen und Verstehen gesamthaft unter dem Durchschnitt liegen, schneiden die Tessiner Jugendlichen gut ab. Und die Romands sind immer noch besser als die Deutschschweizer.
«Ich weiss wirklich nicht, warum das so ist», sagt Oser. Er könne da nur Hypothesen aufstellen. Möglicherweise hätten Tessiner als Minderheit in der Schweiz ein ausgeprägteres Zusammengehörigkeits-Gefühl und zeigten dadurch mehr Engagement, mehr Teilnahme an der Politik.
Dafür liegen die Romands in Sachen positiver Einstellung gegenüber Ausländern an der Spitze, Tessiner und Deutschschweizer etwa auf gleicher Höhe. Dasselbe trifft für die Deutschschweizer zu im Bereich positive Einstellung zu den Rechten der Frauen. Dafür liegen dort die Tessiner weit hinten.
swissinfo, Jean-Michel Berthoud
Ca. 94’000 Schüler (14 bis 15-jährig) aus 28 Ländern befragt
Schweiz: 3104 Schüler (Durchschnittsalter 15) aus 8. und 9. Klasse in 157 Schulen, repräsentativ über alle Schultypen und die drei Sprachregionen verteilt
38 Fragen zum Wissen und Verstehen von Politik in einer Demokratie
Die Schweizer Schülerinnen und Schüler landen im internationalen Leistungsvergleich zum politischen Wissen gerade noch knapp im unteren Durchschnitt: auf Platz 19. Polen, Finnland, Zypern und Griechenland belegen die ersten Ränge.
Die Tessiner Jugendlichen indessen erreichen beim politischen Wissen bedeutend höhere Werte. Im Gesamtklassement kämen sie auf Rang 6. Auch die Romands sind deutlich besser als die Deutschschweizer.
Die Schweizer Schüler haben ein ausserordentlich hohes Vertrauen in die staatlichen Institutionen (Regierung, Justiz, Polizei). Hier sind sie auf Platz 3. Gleichzeitig ist ihre emotionale Bindung an die Schweiz aber gering (viertletzter Platz).
Überraschend zwei weitere «Radikalpositionen» der Schweizer Jugendlichen: Während sie überdurchschnittlich stark für die Rechte der Frauen einstehen, landen sie, wenn es um die Rechte der Ausländer in der Schweiz geht, auf dem zweitletzten Platz (vor Deutschland).
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