Schweiz mit Rassismus-Vorwürfen konfrontiert
Die Schweiz sollte dringend über ihre fremdenfeindlichen Strömungen diskutieren und etwas dagegen tun. Zu diesem Schluss kommt der UNO-Sonderberichterstatter gegen Rassismus.
Bevor er nächste Woche seinen Schlussbericht dem UNO-Menschenrechts-Rat unterbreiten wird, hat sich swissinfo mit Doudou Diène unterhalten.
Vor rund einem halben Jahr hatte der UNO-Sonderberichterstatter gegen Rassismus einen Vorbericht über Fremdenfeindlichkeit in der Schweiz veröffentlicht. Dabei kam es zu heftigen bis feindseligen Reaktionen.
Am kommenden Dienstag präsentiert Doudou Diène seinen Schlussbericht vor dem UNO-Menschenrechts-Rat. Darauf wird der Bundesrat, die Schweizer Regierung, eine erste Antwort geben.
swissinfo: Ihr Bericht zeichnet ein beunruhigendes Bild der Schweiz auf. Gibt es in dem Land mehr Rassismus und Fremdenfeindlichkeit als in den europäischen Nachbarländern?
Doudou Diène: Grundsätzlich vermeide ich solche Vergleiche, denn jedes Land hat seine eigene Demografie, Kultur und Politik. Ich habe aber gewisse gemeinsame Tendenzen entdeckt wie zum Beispiel Spannungen zwischen der traditionellen nationalen Identität und der neuen multikulturellen Dynamik, entstanden durch die aussereuropäische Immigration.
Es gibt aber auch tiefere kulturelle Widerstände gegen die neuen Immigranten. So gibt es gegenüber der schwarzafrikanischen Gemeinschaft viel mehr rassistische Handlungen und Verhaltensweisen als gegenüber der südosteuropäischen Gemeinschaft.
swissinfo: Die Schweiz ist doch sehr stolz auf ihren Multikulturalismus. Ist das nur ein neuer Mythos, der nun zerbröckelt?
D.D.: Der Multikulturalismus der Schweiz ist kein Mythos. Wie im Bericht erwähnt, ist er ein Trumpf der Schweizer Gesellschaft bei den neuen Identitäts-Herausforderung, die sich aus der jüngsten Einwanderungswelle von meist Nicht-Europäern und Muslimen ergeben.
Doch wird der Widerstand, der sich aus dieser Entwicklung ergibt, politisch instrumentalisiert.
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EKR
swissinfo: Ihr Bericht unterstreicht ausserdem, dass die Einwanderung hauptsächlich unter dem wirtschaftlichen Aspekt behandelt wird. Doch hat unser Land ja auch eine humanitäre Tradition, Flüchtlinge aufzunehmen.
D.D.: Sicher ist diese Tradition ein Teil der Schweizer Kultur und Geschichte. Doch hat sich die Identität der Schweiz auch als eine Art Ghetto herausgebildet.
Die Neutralität, wie sie in der Schweiz immer ins Zentrum ihrer Politik gerückt worden ist, wird von gewissen Kreisen und Leuten in ethnischer und rassischer Weise interpretiert.
Aus dieser Sicht heraus kritisiere ich, wie in der Schweiz Einwanderungs- und Asyl-Fragen angegangen werden: Nicht mehr auf der Basis von internationalen Instrumenten und Verträgen, wie sie von der Schweiz unterzeichnet worden sind, sondern unter dem Blickwinkel von Identitäts-Überlegungen und Sicherheits-Aspekten.
Diese Sichtweise führt zu einer Kriminalisierung von Einwanderern und Asyl-Suchenden.
swissinfo: Die Verfechter einer strengeren Ausländer-Gesetzgebung verteidigen ihr Vorgehen mit dem Argument, dass der Kampf gegen die ausländischen Kriminellen die Integration der Ausländer allgemein erleichtert. Was halten Sie davon?
D.D.: Dieses Argument ist falsch. Denn es beruht auf dem irreführenden politischen Bild, das ein allgemein kriminelles Image des Ausländers in den Vordergrund stellt. Er wird als Bedrohung und Risiko wahrgenommen.
Den Umstand, dass man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten soll, habe ich innerhalb dieser Argumentationweise kaum je gehört oder gelesen.
Innerhalb des politischen Machtgebildes der Schweiz zeigen sich unterschiedliche Analysen und Standpunkte. Das belegen auch Institutionen wie die Fachstelle für Rassismusbekämpfung im Departement des Inneren, die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus und die Ausländerkommission.
Während meinen Treffen mit den verschiedenen Bundesräten bemerkte ich unterschiedliche Vorgehensweisen bei diesen Fragen. Das scheint mir ein positives Zeichen zu sein.
Interview swissinfo, Frédéric Burnand, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud, Alexander Künzle)
Der UNO-Sonderberichterstatter bemerkt, dass die Schweizer Behörden die Existenz von mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verbundenen Problemen anerkennen.
Doch glauben sie, dass diese Probleme (…) nur ein «zweitrangiges Phänomen» darstellen.
Der Bericht hält fest, dass diese Einschätzung innerhalb der Departemente (Ministerien) unterschiedlich ausfällt. Unterschiede in der Einordnung gebe es auch je nach hierarchischer Position der befragten Person.
Jene Leute, die der gesellschaftlichen Wirklichkeit näher stehen, geben offener zu, dass Rassismus, rassische Diskriminierung und Ausländerfeindlichkeit bestehen.
Dieses Eingeständnis nimmt jedoch ab, umso höher sich die befragte Person in der Hierarchie befindet.
Die Angehörigen ausländischer Gemeinschaften und «nationaler Minderheiten», die der Sonderberichterstatter getroffen hat, berichten oft sehr emotionell über Alltags-Rassismus und Diskriminierungen.
Sie sprechen von einem diffusen Ambiente der Ausländerfeindlichkeit, einem Gefühl des Allein gelassen seins und der Furcht vor gewissen Institutionen, vor allem vor der Polizei.
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