Schweizer Aids-Experte wird «Europäer des Jahres 2007»
Der in Zimbabwe tätige Schweizer Aids-Spezialist Ruedi Lüthy wird vom Reader's Digest Verlag mit der Auszeichung "Europäer des Jahres 2007" geehrt.
Lüthy ist der erste Schweizer, der diesen Preis erhält. Er wird ihm am Donnerstag an der Universität Zürich von Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey offiziell überreicht.
Während 20 Jahren hat sich Ruedi Lüthy in der Schweiz als HIV- und Aids-Spezialist verdient gemacht. Er war in den 80er-Jahren Gründer des Zürcher Lighthouses, ein Hospiz, in dem Aids-Kranke im Endstadium bis zu ihrem Tod betreut und begleitet werden. Im Jahr 2003 wanderte Lüthy nach Zimbabwe aus, um eine Aids-Klinik aufzubauen, in der bislang mehr als 1300 Menschen mit HIV und Aids behandelt worden sind.
Der 65-jährige Zürcher Professor und Spezialist für Infektionskrankheiten ist von 20 Europäischen Reader’s Digest Herausgebern für den Preis nominiert worden.
swissinfo: Ruedi Lüthy, wie fühlt es sich an, von Reader’s Digest zum «Europäer des Jahres» gekürt zu werden?
Ruedi Lüthy: Es ist eine Ehre, aber zu Beginn habe ich nicht recht verstanden, warum ich als Schweizer, der in Zimbabwe lebt, einen europäischen Preis bekommen soll. Die Kombination ist ziemlich ungewöhnlich.
Es ist zudem eine unglaubliche Ehre, den Preis von Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey überreicht zu bekommen, namentlich weil sie auch Aussenministerin ist und eine sehr spezielle Verbindung hat mit der humanitären Arbeit unseres Teams in Harare.
swissinfo: Was hat Sie zum Entscheid motiviert, die Schweiz zu verlassen und in Zimbabwe zu arbeiten?
R.L.: Es war eine ziemlich logische Wahl, da HIV vor allem Entwicklungsländer verwüstet, namentlich im südlichen Teil Afrikas.
Obwohl seit 1996 mit den Tri-Therapien enorme Fortschritte gemacht worden sind, die Aids-Patienten annähernd eine „normale» Lebenserwartung ermöglichen, haben die Entwicklungsländer von diesen Errungenschaften nicht profitiert. Dort haben es auch die Präventionsbemühungen nicht geschafft, die Aufmerksamkeit der Regierungen zu finden und HIV und Aids hat sich explosionsartig verbreitet.
Als ich realisierte, dass wir in Europa und den USA das erreicht hatten, was nötig war, entschied ich mich, woanders hinzugehen.
swissinfo: Und warum gerade Zimbabwe?
R.L.: Das war zufällig. 2002 traf ich an einer Aids-Konferenz eine Ärztin aus Zimbabwe, die meinen Rat wollte für die Durchführung einer Studie über die Nützlichkeit von Multivitaminen und Aspirin gegen Aids.
Ich hatte den Eindruck, dass so etwas unethisch sei, aber sie sagte mir, dass in ihrem Land nichts anderes verfügbar sei. Zwei Monate später ging ich selbst hin und sah, dass die Situation noch viel schlimmer war als ich sie mir vorgestellt hatte, und dies, obwohl ich zuvor schon einige Male in Afrika gewesen war.
swissinfo: Welche Projekte unterstützt Ihre Stiftung «Swiss Aids Care International» in Zimbabwe?
R.L.: Unser Projekt in Harare ist simpel: Wir haben eine ambulante Klinik für HIV-Patienten aufgebaut, die zu arm sind, um sich medizinische Hilfe leisten zu können.
swissinfo: Was ist Ihre Sicht auf die HIV- und Aids-Pandemie aus der Perspektive eines Entwicklungslandes wie Zimbabwe?
R.L.: Es ist verheerend – eine humanitäre Katastrophe. Ich glaube nicht, dass ich Worte finde, um dies wirklich zu beschreiben.
Es gibt in Zimbabwe mehr als eine Million Waisen, die ihre Eltern durch HIV verloren haben und unter sehr schwierigen Umständen aufwachsen, ohne Schule, ohne richtige Unterkunft.
Die Situation wird noch verschlimmert durch die politische Isolierung Zimbabwes.
Im Moment ist es schwierig, viel Hoffnung zu sehen: Wirtschaftlich geht es sehr schlecht, mit einer Inflationsrate von 100% und einer Arbeitslosigkeit von 80%. Alles fällt auseinander und liegt am Boden, vor allem das Schul- und Transportwesen.
Und weil in den Nachbarländern Südafrika oder Mozambique HIV eben so stark verbreitet ist, muss man sagen, dass Aids hier eine, wenn nicht gar zwei Generationen vernichtet.
swissinfo: Trotz des düsteren Bildes, das Sie malen: Gibt es aufgrund ihrer Arbeit Hoffnungsschimmer?
R.L.: Der Erfolg von antiretroviralen Therapien ist unglaublich. Einige Leute, namentlich solche, die mit Medizin nicht vertraut sind, sprechen gar von Wunder. Für sie ist es, wie wenn sie ein zweites Leben bekommen; dies ist die Hoffnung, die uns alle antreibt. Ohne diese Lichtblicke wäre das ganze eine wirklich traumatische Erfahrung, die man nicht lange aushalten könnte.
swissinfo-interview: Simon Bradley
(Übertragung aus dem Englischen: Christian Schmid)
Professor Ruedi Lüthy wurde am 17. Februar 1941 geboren, ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.
Lüthy ist Mediziner und war Professor für Infektionskrankheiten an der Universität Zürich.
Zu Beginn der 80-er Jahre war er einer der ersten Aids-Experten in der Schweiz. 1992 gründete er das Lighthouse in Zürich, ein Hospiz mit 21 Betten für sterbende Aids-Patienten.
Lüthy gründete 2003 Swiss Aids Care International, eine Schweizer Stiftung, die eine ambulante Aids-Klinik in Harare, Zimbabwe, betreibt. Diese hat bis anhin mehr als 1300 HIV-Patienten behandelt.
Weltweit leben mehr als 38 Mio. Menschen mit HIV und Aids.
2005 starben 2,8 Millionen an Aids, die meisten davon im südlichen Afrika.
Insgesamt haben sich seit 1981 rund 65 Mio. Menschen mit dem HIV-Virus angesteckt, 25 Millionen sind daran gestorben.
UNAIDS schätzt, dass im letzten Jahr ungefähr 10 Mrd. Franken für Behandlung, Prävention und Waisen-Betreuung in den Entwicklungsländern ausgegeben wurden.
Reader’s Digest ist ein Familien-Magazin, das in 21 Sprachen erscheint und in 61 Ländern vertrieben wird.
Weltweit erreicht das Magazin eine Auflage von 21 Millionen und ist damit weltweit das meistverkaufte Monats-Magazin der Welt.
Die erste internationale Ausgabe von Reader’s Digest erschien 1938 in Grossbritannien.
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