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Schweizer Tüftler:innen lancieren schon nächstes Jahr die Labor-Schokolade

Ein Bio-Reaktor
Im Labor des Schweizer Startups Food Brewer wächst der Schokoriegel der Zukunft. SWI swissinfo.ch / Thomas Kern

In Labors wächst eine neue Generation von Lebensmitteln heran. Mit von der Partie ist das Zürcher Startup Food Brewer, das mit «Zell-Linien» die Kakao- und Kaffeeproduktion revolutionieren will. Nachhaltigkeit und Tradition sollen nebeneinander bestehen. Doch was sind die ethischen, kulturellen und ökologischen Herausforderungen dieser neuartigen Lebensmittel?

Wie fühlt sich Schokolade 2.0 an? Gut. Sogar erstaunlich gut. Zwischen den Zähnen bietet sie zunächst genau den richtigen Widerstand, bevor sie in viele Stücke zerbricht.

Auf der Zunge entfaltet sie dann ihre klassischen angenehmen Aromen in einer ausgewogenen Harmonie aus Süsse und Bitterkeit. Wenn sie schliesslich teilweise geschmolzen ist, hinterlässt sie im Mund eine Sinfonie von Aromen, die an ferne Orte erinnern.

Der Verzehr dieser Schokolade ist eine sinnliche Erfahrung, die uns in das Atelier eines Maître Chocolatier versetzt. Doch in Wirklichkeit befinden wir uns in einer aseptischen, sterilen und farblosen Umgebung, dem Labor des Zürcher Startups Food BrewerExterner Link.

Auf den Arbeitsflächen stehen Werkzeuge der wissenschaftlichen Forschung: Pipetten, Reagenzgläser, Zangen, Spachtel, Thermometer und Waagen. Im Labor stehen Menschen in weissen Kitteln, die auf Biologie und Zelltechnik spezialisiert sind.

Die Biotechnologin und Projektleiterin Noemi Weiss erklärt die Vorgehensweise: «Wir nehmen Zellen aus einer Kakaobohne und legen sie auf ein Nährstoffgel. Dort beginnen sie sich zu regenerieren und bilden einen Kallus, eine Art Reparaturgewebe», sagt sie.

«Nach zwei Wochen wählen wir dank einer mikroskopischen Analyse und der Hilfe künstlicher Intelligenz die richtigen Zellen aus. Diese werden dann in einen Bioreaktor mit einer Nährlösung gegeben, die reich an Zucker, Vitaminen, Mineralien und anderen Stoffen ist.»

Der Prozess dauert mehrere Wochen, in denen die Biomasse wächst, bis sie für die erste Ernte bereit ist. «Der nächste Schritt ist die Trocknung, durch die wir Kakaopulver gewinnen können», fährt Weiss fort. «Nach dem Rösten kann das Pulver zu Schokolade verarbeitet werden.»

Diese Grafik des Magazins HorizonteExterner Link erklärt den Herstellungsprozess
 
All dies klingt wie ein Kinderspiel. Doch hinter diesem Prozess stecken zwei Jahre Arbeit der Forschenden von Food Brewer mit Sitz in Horgen am Zürichsee.

Das 2021 gegründete Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, die Produktion von Kakao und Kaffee zu revolutionieren.

«Ich war sofort fasziniert von der Idee der Zellkulturen», sagt Christian Schaub, Geschäftsführer des Startups. «Diese Produktionsmethode hat das Potenzial, den Anbau von Kakao und Kaffee zu revolutionieren und ihn ökologisch nachhaltiger und fairer für die Menschheit zu machen.»

Markteintritt für 2026 geplant

Industrielle Anbaumethoden haben zu Bodenverschlechterung, Wasserverschmutzung und der Zerstörung von Ökosystemen geführt.

Darüber hinaus hat der Klimawandel mit steigenden Temperaturen und immer häufiger auftretenden extremen Wetterereignissen negative Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion.

Diese besorgniserregende Entwicklung hat in den letzten Jahren zu einem erheblichen Rückgang der Kakaobohnenernte in Westafrika geführt, dem weltweit wichtigsten Anbaugebiet. Als Folge stiegen die Schokoladepreise im Jahr 2024 drastisch an.

Ein Mann und eine Frau
Christian Schaub, Geschäftsführer, und Mathilde Dupin, Finanzchefin von Food Brewer mit Sitz in Horgen. SWI swissinfo.ch / Thomas Kern

Umgekehrt hat diese Entwicklung das Interesse an Food Brewer gesteigert. «Viele Produzierende haben sich in letzter Zeit an uns gewandt», sagt Schaub. «Sie sind an unserer Technologie interessiert, die den Vorteil hat, dass sie nicht von Witterungsbedingungen oder dem Auftreten von Schädlingen abhängt, was die Qualität und Quantität der Ernte beeinträchtigen kann.»

Food Brewer begann mit ersten Versuchen im Jahr 2022 und einigen wenigen Mitarbeitenden. Nach nur zwei Jahren beschäftigt das Startup rund 20 Mitarbeiter:innen aus der ganzen Welt.

Im Februar 2024 sammelte es in einer ersten Finanzierungsrunde über fünf Millionen Schweizer Franken ein. Zu den Partnern gehört auch die Max Felchlin AGExterner Link, eine der führenden Schokolademanufakturen der Schweiz. Diese sieht laut Food Brewer in dieser Technologie eine Chance zur Diversifizierung und Stabilisierung der Versorgungssicherheit.


«Bis 2026 wollen wir gemeinsam mit unseren Partnern zellbasierte Schokolade auf den Markt bringen», sagt Food-Brewer-Mitbegründer Schaub. «In der ersten Hälfte des nächsten Jahres werden wir unser Dossier bei der US Food and Drug Administration einreichen. Die Zulassung wird für 2026 erwartet.»

Im Moment erklingen im Lager von Food Brewer in Horgen nur die Stimmen der Besucher:innen, aber in naher Zukunft sollen hier Dutzende von Edelstahltanks stehen.

Sie ähneln denjenigen, die für die Bierherstellung verwendet werden. Das Ziel ist es, bis 2035 Zehntausende von Tonnen Kakao pro Jahr zu produzieren.

«Lokal produzierter Null-Kilometer-Kakao könnte 20 Prozent des Bedarfs eines grossen Schokoladeherstellers wie Ferrero decken», sagt Schaub. «Unser Kakaopulver wird nicht länger ein Nischenprodukt sein, sondern eine Schlüsselkomponente für die Lebensmittelindustrie.»

Viele Hürden auf dem Weg zu Tech-Lebensmitteln

Der Kakaoanbau steht unter Druck. Der traditionelle Anbau, der sich auf Länder wie Ghana, die Elfenbeinküste und Ecuador konzentriert, leidet unter der intensiven Landnutzung, durch die Belastung mit Pestiziden und Schwermetallen, den Verlust der Artenvielfalt und den Klimawandel.

«Bis 2050 wird die Weltbevölkerung auf zehn Milliarden Menschen anwachsen», sagt Tilo HühnExterner Link, Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte WissenschaftenExterner Link (ZHAW). Er hat gemeinsam mit Regine Eibl und Dieter Eibl die Laborschokolade erfunden.

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«Die Produktion von Lebensmitteln in der heutigen Form wird nicht nachhaltig sein. Die zelluläre Produktion bietet einen alternativen Weg», ist Hühn überzeugt.

Der Experte weist auch auf die ökologischen Vorteile dieser Technologie hin: «Die Renaturierung von Böden, die Regeneration von Ökosystemen und die Schaffung von Raum für die biologische Vielfalt sind am wichtigsten.»

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Hühn ist als Bauernkind mitten in der Natur aufgewachsen. Er ist gleichwohl begeistert von der «silbernen Revolution» und verweist auf die Edelstahltanks, die in den Food-Labors verwendet werden.

«Neue Technologien wie die Metasynthese, bei der Mikroben CO₂ in Proteine umwandeln, könnten einen Durchbruch bei der Bewältigung der globalen Herausforderungen der Nahrungsmittelindustrie bedeuten, besonders in Wüsten- oder Stadtregionen, wo die traditionelle Produktion schwierig ist.»

Trotz ihres revolutionären Potenzials müssen diese innovativen Lösungen zahlreiche Hürden überwinden, bevor sie auf globaler Ebene Realität werden. Eine der grössten Herausforderungen ist das Zulassungsverfahren für diese Art neuartiger Lebensmittel (Novel FoodExterner Link), das sowohl in den USA als auch in Europa sehr lange dauert.

«Es besteht auch die Gefahr, dass die Lebensmittelproduktion in den Händen einiger weniger Grossunternehmen landet, was die globalen Ungleichheiten verschärft und neue Formen der Ernährungsunsicherheit schafft, speziell in weniger entwickelten Regionen», gibt Hühn zu bedenken.

Geschmack als Schlüssel zum Erfolg

Die Konsument:innen davon zu überzeugen, «im Labor gezüchtete Lebensmittel» zu kaufen, ist eine weitere Herausforderung, vielleicht sogar die wichtigste.

«Laut einer vom Gottlieb Duttweiler Institut durchgeführten Umfrage ist die Akzeptanz vieler innovativer Lebensmittel in der Schweiz sehr gering», sagt Christine Schäfer, Forscherin am Gottlieb Duttweiler InstitutExterner Link (GDI).

Die Food- und Konsumexpertin weist auf eine inhärente Einschränkung dieser Umfragen hin: «Wir bitten die Menschen, Produkte zu bewerten, die sie noch nie probiert haben, weil sie noch nicht auf dem Markt erhältlich sind.»

Laut Schäfer ist der Schlüssel zum Erfolg der Geschmack. «Die Konsument:innen müssen das Produkt als gleichwertig oder besser als das herkömmliche wahrnehmen», sagt die Forscherin.

Nur wenn das neue Lebensmittel kulinarisch überzeugen kann, kommen auch rationale Argumente wie Nachhaltigkeit ins Spiel. «Laborschokolade kann sowohl genussvoll als auch gut für die Menschen und gut den Planeten sein», hält sie fest.

Gemäss einer aktuellen GDI-StudieExterner Link reicht dies jedoch nicht aus: Das neue Produkt muss die lokale kulinarische Kultur respektieren und das richtige Gleichgewicht zwischen Tradition und Innovation finden.

Für Schokolade sollte ein solches Ziel nicht schwer zu erreichen sein, zumindest ist das der Wunsch von Food Brewer. «Wir stellen uns eine Welt vor, in der Schokolade 2.0 ein Synonym für Qualität, Nachhaltigkeit und Fortschritt ist, ganz in der Tradition der Schweizer Maître Chocolatiers», heisst es vom Startup.

Neuartige Lebensmittel (Novel food) sind Lebensmittel, die bisher in einem bestimmten Land nicht konsumiert wurden und eine amtliche Bewilligung benötigen, um als sicher für den Verzehr eingestuft zu werden. Sie lassen sich in zwei Kategorien einteilen:

Neuartige traditionelle Lebensmittel, die in der Schweiz und in der EU neu sind, aber in anderen Teilen der Welt bereits verzehrt werden (z.B. Chia-Samen). Sie profitieren von einem vereinfachten Bewilligungsverfahren, da sie in ihren Herkunftsländern seit langem konsumiert werden.

Neuartige Lebensmittel hingegen sind Produkte, die mit neuen Verfahren und Technologien entwickelt wurden, beispielsweise Proteinextrakte aus Insekten oder kultiviertes Fleisch. Diese erfordern ein komplexeres Bewilligungsverfahren, da es keine Langzeitstudien gibt, die ihre Sicherheit garantieren.

Quellen: Gutes Gewissen aus dem Labor?Externer Link Studie des Gottlieb Duttweiler InstitutsExterner Link (GDI); Novel food Europäische KommissionExterner Link; Bewilligung von neuartigen Lebensmitteln Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und VeterinärwesenExterner Link

Ethische Überlegungen

Die Produktion von Labor-Food wirft eine Reihe von ethischen Fragen zur Zukunft von Lebensmitteln auf. Was bedeutet diese Produktion für ländliche Gemeinschaften, für den traditionellen landwirtschaftlichen Anbau und für die Beziehung zwischen Mensch und Natur?

Einerseits könnte die Abkopplung von Agrarland Vorteile mit sich bringen, etwa den Druck auf die Ökosysteme verringern, was eine Renaturierung ermöglichte und besseren Schutz der Artenvielfalt mit sich brächte.

Andererseits könnte sie zur Aufgabe von Anbauflächen durch die Landwirtschaft führen, besonders in den Entwicklungsländern, wo diese die Haupteinnahmequelle darstellt.

Für eine gerechtere Zukunft wird es entscheidend sein, Vorschriften zu erlassen, die sicherstellen, dass die Vorteile der neuen Technologien geteilt werden und allen zugänglich sind.

QuelleMetasynthesis in food production: a revolutionary shift in the way we feed the world von Tilo Hühn (Engl.)

Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob

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