Schweizerisch-russischer Jubiläums-Strauss
190 Jahre gemeinsame Beziehungen: Die Schweiz und Russland feiern mit einem "Jahr der Jubiläen", das von Präsenz Schweiz koordiniert wird.
Nach dem Kalten Krieg wird der russische Markt für die Schweizer Wirtschaft immer wichtiger, so ein Russland-Kenner.
Vor 190 Jahren ernannte die Schweiz erstmals einen Konsul für St. Petersburg, die Hauptstadt des russischen Zarenreiches. 100 Jahre sind es her, seit die Schweiz dort ihre erste Botschaft eröffnete. Vor 60 Jahren schliesslich beendeten die beiden Länder eine 28-jährige Eiszeit mit der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen.
Die beiden Länder begehen diese Jubiläen mit einem bunten Strauss von Aktivitäten und Anlässen in den Bereichen Kunst und Kultur, Wissenschaft und Ausbildung, Wirtschaft und Politik sowie Lifestyle und Tourismus.
«Ziel ist es, die Menschen aus der Schweiz und aus Russland zusammen zu bringen,» sagte Botschafter Johannes Matyassi, Leiter von Präsenz Schweiz.
Netzwerke pflegen
Die Promotions-Agentur für die Schweiz im Ausland ist federführend bei der Koordination der Aktivitäten. Mit im Patronatskomitee sitzt auch Dimitry Cherkashin, der russische Botschafter in Bern.
«Das Jubiläumsjahr bietet die ideale Plattform, auf der sich die Schweiz in Russland präsentieren, wichtige Zielgruppen ansprechen und ihre Netzwerke pflegen kann», so Matyassi.
Im Vordergrund stehen auch Interessen der Schweizer Wirtschaft, vermehrt am wachsenden Markt Russlands teilzuhaben.
Neue Spannungsfelder
«Die Schweiz hat lange gebraucht um zu begreifen, dass der Kalte Krieg beendet ist», sagt Ernst Mühlemann, Vizepräsident des Kooperations-Rates Schweiz/Russland und ehemaliger Nationalrat. Die Berichterstattung in den schweizerischen Medien über Russland sei immer noch sehr negativ, so Mühlemann zu swissinfo.
Das gelte aber nicht nur für die Schweiz, sondern im Speziellen auch für die EU, «die im Verbund mit der NATO nach Osten vorgerückt ist». Laut Mühlemann wird die Situation immer gefährlicher. «Speziell durch die aggressive Aussenpolitik der USA entstehen an der Schengen-Ostgrenze neue Spannungsfelder.»
Schweizer Neutralität hoch geschätzt
«Die Neutralität der Schweiz wird in Russland hoch respektiert.» Der erste Tschetschenien-Krieg sei weitgehend dank der Politik der Guten Dienste der Schweiz beendet worden.
Mühlemann erwähnt in diesem Zusammenhang Botschafter Tim Guldimann, der in Grosny war, sowie Aussenminister Flavio Cotti, der damals die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) präsidierte.
«Und auch im zweiten Tschetschenien-Krieg wäre die Schweiz um Hilfe gebeten worden, aber man hat hier bei uns keine aktive Aussenpolitik betrieben.»
Psychologische Spannungsfelder abbauen
Laut Mühlemann hat man in Russland den Eindruck, die Schweiz beurteile das Land zu kritisch. In der Presse gebe es oft Negativ-Schlagzeilen in Sachen Menschenrechte (Tschetschenien), Beschneidung der Meinungsfreiheit und Repression des Staates.
«Kommt dazu, dass die Schweizer Justiz nicht immer glanzvoll gefochten hat, zum Beispiel das Hin und Her mit dem Ex-Atomminister Adamow oder die Beschlagnahmung der russischen Bilder aus der Sammlung Gianadda in Martigny durch die Walliser Justizbehörden.»
So entstünden gewisse Schwierigkeiten. «Um diese psychologischen Spannungsfelder abzubauen, haben wir den Kooperationsrat Schweiz/Russland gegründet», so sein Vizepräsident.
Schwieriger Übergang zur Marktwirtschaft
Mühlemann weist auf die Schwierigkeiten des Übergangs von einer zentral geleiteten Planwirtschaft zu einer freien Marktwirtschaft hin. «Es ist nicht einfach, einen Wirtschaftsfunktionär geistig umzupolen und zum Unternehmer zu machen.»
Mittlerweile seien aber gewisse Fortschritte erzielt worden. «Ich war beim Gewerbeverband in Moskau, der hat mir mindestens einen so guten Eindruck gemacht wie die Gewerbeverbände in der Schweiz.»
Ein kommender Markt
Die freie Marktwirtschaft werde sich weiterentwickeln, auch wenn natürlich klar sei, «dass der finanzielle Aufschwung Russlands primär den Rohstoffen, vor allem Erdöl und Erdgas, zu verdanken ist».
Die Schweizer Exporte nach Russland haben sich von 1999 bis 2005 auf rund 1,5 Mrd. Franken verdreifacht. Dazu Mühlemann: «Russland ist zweifellos ein gutes Land für Investitionen aus der Schweiz.»
swissinfo, Jean-Michel Berthoud
Im 18. Jahrhundert waren Schweizer Gelehrte bei aufgeschlossenen russischen Adligen sehr gefragt.
Im 19. Jahrhundert war Russland für Schweizer Industrielle, Techniker und Landwirtschafts-Spezialisten ein beliebtes Auswanderungsziel.
Manche russische Künstler und Politiker, von Tolstoy und Dostojewski bis Bakunin, Lenin und Solschenizyn lebten in der Schweiz.
Nach der Revolution 1917/1918 wurden die diplomatischen Kontakte abgebrochen, ebenso der Handel. Diese entwickelten sich erst wieder nach dem Zweiten Weltkrieg.
Zwischen 1999 und 2005 haben sich die Schweizer Exporte nach Russland fast verdreifacht – auf rund 1,5 Mrd. Franken.
Vor 190 Jahren eröffnete die Schweiz in St. Petersburg ihr erstes Konsulat.
Vor 100 Jahren eröffnete die Schweiz dort ihre erste offizielle Botschaft.
Vor 60 Jahren nahmen die beiden Länder nach 28-jährigem Unterbruch wieder diplomatische Beziehungen auf.
Im Jubiläumsjahr gibt es in beiden Ländern 60 Projekte und über 100 Anlässe.
Die Koordination liegt bei Präsenz Schweiz, der Promotions-Agentur für die Schweiz im Ausland.
Ende 2005 lebten 576 Schweizer Staatsangehörige in Russland.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch