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Sechs Tage gerechte Welt

Die von der Globalisierung Bewegten verstehen sich nicht als Anti-Bewegte. swissinfo.ch

Am Weltsozial-Forum in Porto Alegre wurden die Konturen einer gerechteren Welt sichtbar. Die Schweizer Delegation ist von der Qualität des Treffens beeindruckt.

Das Weltsozial-Forum endet wie es angefangen hat: mit einer farbenfrohen und lautstarken Demonstration von Vielfalt, Hoffnung und Zuversicht. Dahinter liegen vier Tage und vier Nächte Diskussionen, Debatten und Begegnungen, die anderswo so nicht möglich sind.

Die Schweizer Delegation – vier Nationalräte, Vertreter von Gewerkschaften und Hilfswerken sowie eine Repräsentantin der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) – ist beeindruckt von der hohen Qualität der Diskussionen und der Energie, die am Forum spürbar geworden ist.

Dora Rapold von der DEZA will deshalb vorschlagen, dass nächstes Jahr wieder jemand aus ihrem Amt am Forum teil nimmt. Die Kontakte, die sie hier habe knüpfen können, seien wichtig für die Arbeit der DEZA. “Für mich war in Porto Alegre neu und unerwartet, dass die Bewegungen versuchen zu sagen, wofür sie sind: für Gerechtigkeit, für nachhaltige Entwicklung und für Demokratie.”

Es sei deutlich geworden, dass dies keine Anti-Bewegung sei. “Viele Forderungen, die hier vorgebracht werden, entsprechen den Schlussfolgerungen der UNO-Konferenzen.”

Raum schaffen

Eine andere Entwicklung ist nur möglich, wenn auch der Spielraum für Alternativen vorhanden ist. Für die globalisierungskritische Bewegung geht es deshalb zunächst darum, Steine aus dem Weg zu räumen. “Im Süden ist nichts möglich ohne eine Streichung der Schulden”, sagt Susan George von der globalisierungskritischen Organisation ATTAC. Die Verschuldung sei eines der Haupthindernisse für eine gerechtere Welt.

Weitere Forderungen sind eine grundlegende Reform der WTO sowie der beiden Finanzinstitutionen IWF und Weltbank. Denn auch wenn ein Land schuldenfrei ist, so ist sein Handlungsspielraum durch die internationalen Handelsabkommen massiv eingeschränkt. Mit der WTO hätten die USA und die EU ihre Interessen einseitig durchgesetzt und als rechtsverbindliches und mit Sanktionen ausgestattetes System den anderen Ländern aufgezwungen, lautet die Kritik.

Die WTO soll deshalb in die UNO eingebunden und ihre Kompetenzen reduziert werden. Denn im Rahmen der UNO können die Entwicklungsländer ihre Agenda besser durchsetzen. Damit nationale Wirtschaften nicht zum Spielball von Finanzspekulanten werden, sollen die Finanzmärkte kontrolliert und Steuern auf Finanz-Transaktionen erhoben werden.

Die Gelder, die durch diese Tobin-Steuer zusammenkommen, sollen für die Entwicklung der armen Länder eingesetzt werden. “Vor wenigen Jahren war diese Idee noch tabu”, sagt Susan George. Mittlerweile hätten aber bereits die Parlamente Frankreichs und Kanadas Unterstützung für diese Art von Steuer signalisiert.

Damit diese Gelder aber auch wirklich der Bevölkerung zu Gute kommen, müsse die Zivilgesellschaft bei deren Verwendung mit einbezogen werden. Die Demokratisierung der Nationalstaaten ist denn auch eine zentrale Forderung der globalisierungskritischen Bewegung.

Global oder regional

Wie stark die globalen Regeln sein sollen, und ob zentrale Institutionen wie IWF und Weltbank überhaupt sinnvoll sind, ist allerdings Gegenstand der Diskussion. Walden Bello von Focus on the Global South ist für ein pluralistisches System regionaler Abkommen. Eine demokratisierte EU ist für Bello ein mögliches Modell für einen regionalen Zusammenschluss.

Ganz ohne globale Regeln geht es allerdings auch in einem pluralistischen System nicht: “Natürlich braucht es globale Regeln”, so Bello, “aber sie müssen breit und flexibel sein, dürfen keinen Zwangscharakter haben und sollen auf moralischen Grundsätzen beruhen.”

Widersprechen lernen

Die internen Gegensätze der globalisierungskritischen Bewegung wurden am Forum nur am Rande angesprochen. Dass die Übereinstimmungen mehr betont werden als die Differenzen, sei typisch für eine Bewegung in dieser Phase, meint der Finne Teivo Teivainen vom Network Institut for Global Democratization. “Um aber weiterzukommen, müssen wir lernen, einander zu widersprechen.”

Gleichzeitig muss die globalisierungskritische Bewegung aber offen bleiben. Denn nur so lassen sich grosse Allianzen bilden. Der Preis dafür ist aber, dass nicht alle offenen Fragen geklärt werden können.

Susan George ist sich jedoch sicher, dass die Übereinstimmung viel grösser ist als die Differenz. Es gehe nun darum, starke nationale Allianzen zu bilden und Druck zu machen. “Die Veränderung geschieht nicht spontan. Kein Leiden – und ist es noch so gross – veranlasst die Mächtigen zur Streichung der Schulden.”

Ort der Konvergenz

Offen muss auch das Forum bleiben. Es sei kein Ort, wo Entscheide gefällt werden, sondern ein Ort der Konvergenz, sagt Peter Niggli von der Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke. Man müsse aufpassen, dass aus dem Forum keine Organisation gemacht werde, sonst habe es keine Zukunft.

Das Motto des Forums “Eine andere Welt ist möglich” hat weltweit Tausende von Menschen mobilisiert und die unterschiedlichsten sozialen Bewegung einander näher gebracht. Das Forum war eine grossartige Demonstration gegen Resignation und Hoffnungslosigkeit. Die Reise nach Porto Alegre hat sich gelohnt.

Hansjörg Bolliger, Sonderkorrespondent Porto Alegre

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