Selbstvertrauen, aber keine Überheblichkeit
In den offiziellen Reden zum Schweizer Nationalfeiertag herrschte ziemliche Einigkeit: Dem Land geht es eigentlich gut!
Appelle zu neuem Selbstvertrauen und zur Rückbesinnung auf die Tugenden der Willens-Nation prägten viele der Reden. Trotz Unsicherheit und Reformbedarf, darin waren sich viele einig, habe das Land alle Voraussetzungen, die Zukunft zu meistern.
Theater mit bissigem Humor
Im Zentrum der offiziellen Bundesfeier auf der Arteplage Biel der Expo.02 stand am Abend aber das schon im Vorfeld umstrittene Theaterstück «august02-août02-agosto02-avust022». Das fünfsprachige Stück provozierte mit (Selbst)-Ironie, wurde vom Publikum aber recht freundlich aufgenommen. Für konservative Kreise war die Provokation wohl teilweise etwas gar stark.
Verteidigungsminister Samuel Schmid hatte zuvor in seiner Ansprache zum 1. August in Biel erklärt, die Schweiz habe allen Grund zur Dankbarkeit. Zudem habe sie die besten Voraussetzungen, mit Hilfe ihrer bewährten Tugenden auch die Zukunft zu bewältigen.
Weniger Gejammer
Doch werde oftmals zuviel gejammert, «und dies ohne Grund», sagte Schmid weiter. Rund um den Erdball hielten die meisten Menschen «unser Land für einen Flecken Erde, auf dem sich gut und sicher leben lässt», so Schmid weiter.
Die Schweiz existiere nicht nur, sie lebe und müsse auch nicht neu erfunden werden. Das Land lebe seit Jahrhunderten gut in einem Spannungsfeld von Macht und Freiheit. Der Verteidigungsminister lobte in dem Zusammenhang denn auch die direkte Demokratie als besonders gute Staatsform.
Im Expo-Jahr, so Schmid, liege das Rütli nicht nur am Vierwaldstättersee sondern auch zwischen den Städten Biel, Neuenburg, Yverdon und Murten. Die Schweiz sei an ihrem 711. Geburstag «voll gschniglet».
Das Kreuz allein ist nichts
Der Verteidigungsminister, der mit seiner eigenen Fahne nach Biel gereist war, ging auch auf den Fahnenstreit an der Expo ein und sagte, die Schweizerinnen und Schweizer liebten das Symbol ihres Landes. Im Schweizer Kreuz allein könne aber noch keine Qualifikation gesehen werden.
Das Symbol, das am Donnerstag übrigens auch auf der Arteplage auf Dutzenden von Fahnen und Hunderten von T-Shirts prangte, gewinne erst an Bedeutung, wenn man darunter ein Bekenntnis sehe, sagte Schmid. Dazu gehörten das Engagement für den Frieden in der Welt, die Sicherheit, die Wahrung der Rechte der Menschen in der Schweiz sowie der Respekt vor der Schöpfung.
Gemeinsame Verantwortung
An gleicher Stelle, auf der Bieler Arteplage, sagte Expo-Präsident Franz Steinegger, sowohl der 1. August als auch die Landesausstellung demonstrierten, dass mit der Kultur des Anspruchsdenkens oder hämischer Absenz nichts hervorgebracht werden könne. Gelegentlich sei man der Gemeinschaft auch etwas schuldig und müsse gemeinsam Verantwortung tragen.
«Wir sind offensichtlich nicht Schweizerinnen und Schweizer, weil wir uns genetisch bis aufs Rütli nachweisen können, sondern weil wir zu einer Gemeinschaft gehören wollen», so der Expo-Präsident und Urner FDP-Nationalrat. Er trug übrigens ein gelbes T-Shirt – mit dem Urner Stier.
Auf den übrigen Arteplages ergriffen vor allem junge Rednerinnen und Redner das Wort. In Yverdon stand die Bergkultur im Zentrum, in Murten dominierte eine von Kindern gefertigte Schweizer Fahne das Festbild. Und in Neuenburg forderte der Genfer Schauspieler Jean-Luc Bideau eine erleichterte Einbürgerung für junge Ausländer, die in der Schweiz das Licht der Welt erblickten.
Zum Abschluss des Abends wurden grosse Feuerwerke gezündet. Die Feiern auf den Arteplages dauerten bis in die frühen Morgenstunden.
Villigers positive Wirklichkeit
Der Schweizer Bundespräsident Kaspar Villiger richtete sich via Radio und Fernsehen sowie an der Bundesfeier in Zürich an das Volk.
Villiger stellte nach den Katastrophen und Krisen und dem Vertrauensverlust der Entscheidungsträger in den vergangenen Monaten die positive Wirklichkeit der Schweiz ins Zentrum seiner 1. August-Ansprache. Er rief dazu auf, täglich neu für den Wohlstand zu kämpfen – mit gesundem Selbstvertrauen, aber ohne Überheblichkeit.
Der Schweiz gehe es gut, sagte auch Villiger. Zwar seien viele Menschen verunsichert, Grund zu Pessimismus bestehe aber trotzdem nicht. «Die Schweiz hat alles, was es zu einer erfolgreichen Bewältigung der Zukunft braucht», sagte Villiger.
Rückbesinnung und Rechtsradikale auf dem Rütli
Der christlichdemokratische Schwyzer Ständerat Bruno Frick rief in seiner Rede auf dem Rütli zur Rückbesinnung auf zeitlose Werte wie Moral, Anstand, Respekt und Toleranz auf. Denn der Lack sei ab, sagte Frick, der auch Fehlverhalten von Managern und Medien kritisierte.
Auch in diesem Jahr marschierten Rechtsradikale zur Bundesfeier auf das Rütli, die «Wiege» der Schweiz. Rund 300 waren es, drei Mal mehr als vor einem Jahr.
Ein grosses Aufgebot kontrollierte die Rechtsradikalen, die sich an der historischen Stätte versammelt hatten. Zu Zwischenfällen kam es, anders als etwa vor zwei Jahren nicht. Fahnen mit faschistischen Emblemen wie Hakenkreuze wurden keine sicher gestellt.
Lafontaine für Euro statt Franken
In Samnaun im Kanton Graubünden forderte der ehemalige deutsche Finanzminister und frühere SPD-Chef Oskar Lafontaine die Schweiz an ihrem Nationalfeiertag auf, der Euro-Zone beizutreten und sich verstärkt in die europäische Politik einzumischen.
Seiner Auffassung nach wäre es ein Vorteil für die Schweiz, der Euro-Zone beizutreten, sagte der deutsche 1. August-Gastredner in der Zollfrei-Gemeinde Samnaun. Wäre die Schweiz Mitglied der Euro-Zone, gäbe es für die Wirtschaft laut Lafontaine kein Problem mit dem starken Franken.
Auch ohne Borers ein Fest in Berlin
Traditionellerweise feierten auch Schweizer und Schweizerinnen im Ausland ihren Nationalfeiertag. Besonders spektakulär war das Fest einmal mehr in Berlin, wo die Schweizer Botschaft auch nach dem Abgang von Botschafter Thomas Borer (und dessen Gattin Shawn Borer-Fielding) zum 1. August lud.
Hauptattraktion des Strassenfestes war ein drei Meter hohes Matterhorn aus Eis und die «Raclette-Strasse», wie Botschafter Werner Baumann sagte. Gast-Kanton am «Schweiztag» war dieses Jahr das Wallis.
Der «Schweiztag», der sich in Berlin inzwischen zum festen gesellschaftlichen Sommer-Ereignis gemausert hat, war vor zwei Jahren vom Ehepaar Borer eingeführt worden. Dieses fehlte heuer aber ebenso wie die grosse Prominenz. Und so gab es auf dem Empfang am Abend auch keine Blitzlicht-Gewitter und weniger Glamour.
Die deutsche Nachrichtenagentur dpa schrieb denn auch: «Ansonsten gab sich die Schweiz wie vor der Ära Borer-Fielding. Der Kanton Wallis pries seine Berge und die Buffets boten viel Käse und Schokolade.»
swissinfo und Agenturen
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch