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Spitzenforschung am Fluss

Das Areal des Paul-Scherrer-Instituts mit der runden Synchroton Lichtquelle im Vordergrund. Keystone

Das Paul-Scherrer-Institut in Villigen ist der grösste - und in seiner Art einzige - Forschungsplatz in der Schweiz.

Seinen Namen erhielt es vom Kernphysiker Paul Scherrer. Bei seinem Tod 1969 sprach Nobelpreisträger Heisenberg die Abschiedsworte.

Wer im aargauischen Brugg aus dem Zug steigt, kann auf dem Bahnhofplatz in einen Bus der öffentlichen Verkehrsbetriebe steigen, der direkt zum Paul Scherrer-Institut (PSI) fährt.

Nach etwa einer Viertelstunde Fahrt biegt der Bus, nachdem er kurz über Land fuhr, in eine isolierte, beidseits des Flusses Aare gelegene, grosse Siedlung mit unterschiedlichsten Betonbauten ein. Sofort fällt das Auge auf einen am Beginn der Anlage gelegenen riesigen kreisrunden Betonzylinder. Die Synchrotron-
Lichtquelle Schweiz. Fast scheint es, ein UFO sei hier im Paul Scherrer-Institut gelandet.

Grund dazu hätte es. Die Ausserirdischen würden einem der Hauptforschungsplätze der Schweiz einen Besuch abstatten. Einer Anlage, die stark mit der Kernforschung verbunden ist. Auch die Hauptabteilung für Sicherheit der Kernanlagen (HSK) hat ihren Sitz hier am PSI.

Forschung am Atomkern

1955 gründete der ETH-Professor Paul Scherrer das Institut für Reaktorforschung. Das Zentrum befasste sich mit Kernenergie. In unmittelbarer Nähe – auf der andern Seite der Aare – stand ein zweites Institut, dasjenige der Schweizer Nuklearforschung. Dort wurden Elementarteilchen erforscht.

Als die beiden nur durch einen Fluss getrennten Institute 1988 unter der Oberleitung der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich zusammengeschlossen wurden, erinnerte man sich an den Gründer und Physikprofessor Paul Scherrer. Seither trägt der riesige Forschungskomplex seinen Namen.

Die Erforschung der Elementarteilchenphysik und der Kernenergie ist geblieben. Doch reicht das Angebot des PSI von Astrophysik bis zu Projekten in Biologie und Medizin.

Das Institut bietet rund 1200 Mitarbeitenden Platz. Es gehört weltweit zu den führenden Forschungszentren. 700 bis 800 ausländische Forscher experimentieren zusammen mit ihren Schweizer Kolleginnen und Kollegen in den Anlagen des PSI. Es ist so zum weltweit begehrten Grosslabor für Natur- und Ingenieurwissenschaften geworden.

Therapie von Krebstumoren

Die Strahlenforschung im PSI führte beispielsweise zu einem weltweit einzigartigen Verfahren, bei dem Krebstumore gezielt bestrahlt werden können. Der Krebstumor kann mit einer höheren Dosis bestrahlt werden und trotzdem werden die gesunden Organe geschont.

Ein weiteres Beispiel ist die Synchroton-Lichtquelle. Dieses «Riesenmikroskop», mit dessen Hilfe komplexe chemische Strukturen analysiert werden, setzt – so das PSI – international einen neuen Standard.

Brennstoffzelle vor Marktreife

Im vergangenen Februar öffneten sich die Tore einer Garage in Brig im Kanton Wallis. Ein VW-Bora kam zum Vorschein. Es fiel auf, dass zahlreiche Personen, Techniker, sich um das Fahrzeug mit der Aufschrift «HY.POWER» und dem deutschen Kennzeichen WOB-CW 866 kümmerten. Als das Fahrzeug endlich wegfuhr, tat es das mit einem eigenartigen Zischen und nahm den Weg Richtung Simplonpass unter die Räder.

Als der VW – nicht ohne Zwischenfälle – endlich die Passhöhe erreichte, war das ein historischer Moment im Automobilbau. Zum erstenmal hatte ein Brennstoffzellen-Auto einen Pass überquert.

Bald drei Jahre arbeiten nun die Forscher im Paul-Scherrer-Institut an einem Automotor, der mit erneuerbarer Energie angetrieben wird und der keinerlei Schadstoffe ausstösst. Im Jahr 2010 soll der Preis je Liter Wasserstoff bei rund 2 Franken 50 liegen, sagen die verantwortlichen Tüftler im PSI.

Spitzenforschung verteidigen

Damit diese Gross-Forschungsbaustelle in Villigen weiter auf Spitzenniveau forschen und Nobelpreisträger unterstützen kann (Heinrich Rohrer, 1986), muss die drohende Abwanderung von Schweizer Forschern – vor allem in die USA – gebremst werden.

Um das Niveau halten zu können, so Ralph A, Eichler, der neue Direktor des PSI, brauche es in Zukunft beträchtliche finanzielle Mittel. Im Jahr 2001 erhielt das Paul-Scherrer-Institut gut 260 Mio. Franken für Forschung, Entwicklung, Bau und den Betrieb der Anlagen.

Wer war Paul Scherrer?

Über den 1890 in St. Gallen geborenen Schweizer Atomforscher bleibt vieles im Dunkeln. Vor allem würde der Zeitraum von 1939 bis 1945 interessieren. Scherrer hat die Korrespondenz über diese Zeit weitgehend vernichtet. Memoiren hat er keine hinterlassen. Er selber sprach kaum je über diese Zeitspanne.

Sie wäre deshalb spannend, weil Scherrer prominent in der Biografie des amerikanischen Journalisten Thomas Powers «Heisenbergs Krieg» auftaucht.
Der Schweizer Atomphysiker wird dort als Informant des Office of Strategic Service (OSS), des Vorläufers des amerikanischen Geheimdienstes CIA, genannt.

Doch bezeichnet Heisenberg-Biograf Powers den Schweizer nicht als Spion. Er sei «einfach ein Freund der Allierten» gewesen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Scherrer seinen deutschen Fachkollegen Heisenberg, der wohl aktiv am Versuch, eine deutsche Atombombe zu bauen, beteiligt war, während des Zweiten Weltkrieges mehrmals zu Vorträgen in die Schweiz einlud. Heisenberg sprach dann 1969 am Grab von Scherrer.

Auch in der Schweiz wälzte man in den 50er Jahren Pläne zum Bau einer Atombombe. Die Berner Zeitung «Der Bund» schreibt in einem langen Artikel über Paul Scherrer in der Ausgabe vom 25. August 2001:

«1920 machte die ETH Zürich den 30-jährigen Paul Scherrer zum Professor und sieben Jahre später zum Direktor des Physikalischen Institutes. Damit begann in Zürich die Ära Scherrer: Der einflussreiche Professor war eine Meister des Lobbyings. Erst weibelte er für die Grundlagenforschung in der Atomphysik und später – in den Nachkriegsjahren – auch noch für deren Anwendung, der Nutzung der Atomenergie. Selbst an den (nie verwirklichten) Plänen einer Schweizer Atombombe dachte Scherrer mit.»

swissinfo, Urs Maurer

– Das PSI hat ein ständiges Besucherzentrum

– Seit 1997 wird am PSI eine professionelle Kinderkrippe (Kiwi) angeboten.

– Der Sportclub PSA veranstaltet 2005 die Winter-Atomiade in Diesentis.

– Der Physiker Ralph Eichler ist seit dem 1. Juli 2002 Direktor am PSI.

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