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Stammzellen mit Herz

Proben mit embryonalen Stammzellen, Keystone

Forscher der Universität Zürich haben zum ersten Mal menschliche Herzklappen aus Stammzellen erzeugt, die Fruchtwasser von Schwangeren entnommen wurden.

Die Neuerung könnte bei der Operation fehlerhafter Herzen eingesetzt werden. Und dazu ein ethisches Dilemma im Umgang mit Stammzellen lösen.

Die Entwicklung der Zürcher Herzspezialisten folgt auf jüngste Erfolge bei der Reproduktion von Blasen-Organ und Blutbahnen. Mit der Neuerung sollen Menschen eines Tages fähig sein, sozusagen ihre eigenen Herzklappen züchten zu können, und das, bevor sie das Licht der Welt erblicken.

Die Idee hinter den Experimenten an der Uni Zürich ist es, während der Schwangerschaft einer Frau im Labor neue Herzklappen zu züchten, welche dem Neugeborenen im Falle eines Herzfehlers nach der Geburt eingepflanzt werden können.

Rettender Faktor Zeit

“Wenn wir mit der Entnahme der Stammzellen bis zur Geburt warten müssen, dauert es sechs bis acht Wochen, bis eine Klappe transplantiert werden kann, und das ist oft zu spät”, sagt Simon Hoerstrup gegenüber swissinfo. Er leitet an der Uni Zürich die Forschungsabteilung über die Herzchirurgie.

Der Faktor Zeit ist einer der Vorteile der neuen Herstellung von Gewebe. Mit dieser hoffen die Wissenschafter, dass ihnen ein wichtiger Schritt zu individualisierten Herzklappen für Kinder und Erwachsene gelungen ist. Denn Herzklappen aus Stammzellen erwiesen sich als viel dauerhafter als künstliche oder solche, die Toten entnommen werden.

Hoerstrup weist ferner darauf hin, dass Fruchtwasser die einfachste Möglichkeit darstelle, Stammzellen zur Erzeugung von Herzklappen zu gewinnen.

Potenzial

Der Zürcher Wissenschafter stellte die Forschungsergebnisse diese Woche an einer Konferenz der Amerikanischen Herz-Gesellschaft (AHA) ein. Er wies darauf hin, dass diese neue Form der Stammzellentherapie auch bei der Wiederherstellung von Blutbahnen und beim Schliessen von Löchern in der Herzwand zum Zuge kommen könne.

Ein Prozent aller Neugeborenen – das sind mehr als eine Million Säuglinge pro Jahr – leiden an Herzproblemen. Fehler an den Herzklappen können mit Ultraschall nach der zwanzigsten Woche ausgemacht werden.

Die beste Methode sei zwar die Reparatur einer fehlerhaften Herzklappe, sagt der Forscher. Es gebe aber Fälle, in denen eine Transplantation die einzige Möglichkeit sei.

Kosten

Herkömmliche Therapien haben zudem einige Nachteile. Künstliche Herzklappen rufen gerne Blutgerinnsel hervor, weshalb Patienten für den Rest ihres Lebens Medikamente gegen die Blutgerinnung (Thrombose) einnehmen müssen.

Herzklappen von Menschen oder Tieren ihrerseits können altern, und sie müssen in einer neuerlichen Operation ersetzt werden. Dies trifft häufig bei Kindern zu, denn Herzklappen sind vom Körperwachstum ausgenommen.

Ethik

Die Schweizer Entdeckung bietet einen weiteren wichtigen Vorteil. Stammzellen, die der Fötus im Fruchtwasser produziert, sind von der Kontroverse ausgenommen, welche um die Zerstörung von embryonalen Stammzellen herrscht.

“Das ist der ethische Vorteil unserer Methode”, sagt Hoerstrup. “Wir verwenden erwachsene Stammzellen, die aus dem Neugeborenen stammen. Wir entnehmen diese dem Fruchtwasser, ohne das ungeborene Kind zu verletzen.” Somit müsse kein Embryo geopfert werden.

Stammzellen aus dem Fruchtwasser können zudem für Jahre eingefroren werden, bis sie zur Gewinnung von Ersatz-Herzklappen verwendet werden können.

“Ich würde zwar nicht empfehlen, die Proben systematisch so lange zu lagern. Frauen, die während der Schwangerschaft eine Genprobe des Fötus entnehmen lassen, sollten aber einen Teil der Probe gefroren aufbewahren lassen”, schlägt der Herzspezialist vor.

Die Forschung steckt aber trotz der Zürcher Erfolge noch in den Kinderschuhen. Experten gehen davon aus, dass es noch Jahre dauern wird, bis Patienten Herzklappen aus Stammzellen-Kulturen eingepflanzt werden können.

swissinfo und Agenturen

2004 haben zwei Drittel der Schweizer Stimmbürger Ja gesagt zu einem Gesetz, das Forschungen an überzähligen Embryos erlaubt.
Die Gewinnung von Stammzellen ist auf Embryos beschränkt, die nicht älter als eine Woche sein dürfen.
Therapeutisches Klonen und der Handel mit Stammzellen ist verboten, ebenso Forschungen an Embryos.
Jegliche Forschung muss vom Bundesamt für Gesundheit und der Ethikkommission des Bundes bewilligt werden.

Aus Stammzellen können alle Gewebe des menschlichen Körpers entstehen.

Aufgrund ihres Potenzials gehen Forscher davon aus, dass Stammzellen eines Embryos zur Heilung von degenerativen Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson verwendet werden können.

Stammzellen existieren hauptsächlich in der frühen Lebensphase: Die Zellen einer befruchteten Eizellen teilen sich, daraus entsteht der Fötus.

Stammzellen kommen auch in der Nabelschnur, im Fruchtwasser sowie in Organen von Erwachsenen vor. Ihr Potenzial ist aber im Vergleich zu embryonalen Stammzellen geringer.

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