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Südosteuropa: Gegensätze verschärfen sich

Studentinnen an der mehrsprachigen Uni Tetovo in Mazedonien, welche von der Schweiz finanziell unterstützt wird. Keystone

Südosteuropa ist heute die wichtigste Zielregion der Schweizer Ost-Zusammenarbeit. 70% der finanziellen Mittel werden dort eingesetzt.

Die Jahrestagung der DEZA und des seco in Zürich zeigte: Der Weg zum Wohlstand für alle ist noch weit.

Der Ort der Tagung, das Luxushotel Marriott mitten in der Wirtschaftsmetropole Zürich, verkörperte die Sehnsüchte der Leute in den südosteuropäischen Ländern Albanien, Bulgarien und Mazedonien gar nicht schlecht: Alle wünschen sich eine prosperiende Wirtschaft und damit Wohlstand.

Um dies zu erreichen, benötigen die Länder jedoch eine repräsentative Hotel-Reception, sprich eine starke Demokratie.

An der Jahrestagung der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco) stand die Schweizer Hilfe für Osteuropa im Mittelpunkt.

Fazit der Tagung: Die drei genannten Länder sind noch weit entfernt vom wirtschaftlichen «Marriott-Niveau».

Licht und Schatten

«Der Aufbau von starken Institutionen in Südosteuropa bedarf weiterhin der tatkräftigen Unterstützung der internationalen Gemeinschaft», sagte Erhard Busek, Sonderkoordinator des europäischen Stabilitätspaktes für Südosteuropa. Dieser fördert die regionale Zusammenarbeit und will die Balkanländer an die EU heranführen. Die Schweiz gehört dem Stabilitätspakt seit 2000 an.

An der Tagung wurde festgestellt, dass die sogenannte Transition in Südosteuropa immer noch «unvollendet» sei. Der politische Wandel habe zwar neue Freiheiten und Licht gebracht, aber auch Schatten geworfen.

Walter Fust, Direktor der DEZA, sprach von einem langwierigen Prozess. Doch würde die Schweiz nicht etwa Politik vor Ort machen, sondern Partnerschaften aufbauen. «Die Politik müssen die Leute selber machen.»

seco-Direktor Jean-Daniel Gerber rief in Erinnerung, dass die Länder in Südosteuropa nur eine Chance hätten, wenn sich die Wirtschaft entwickle. «Und die entwickelt sich», sagte Gerber. Man solle nicht vergessen, dass das Wirtschaftswachstum höher sei als in der Schweiz.

Der Blick auf Tatsachen

Die Tagung stand unter der Frage: Ist der Bürger für den Staat da, oder der Staat für den Bürger?

Die Verantwortlichen und die Hundertschaft von Experten und Aktiven wissen, dass Begriffe wie Transition, Wirtschaftswachstum und ethnische Spannungen bereits unzählige Male gefallen sind. Was aber fehlt, ist der Blick auf das tägliche Leben, auf die Situation vor Ort.

Dieser wurde in Zürich geliefert. Die DEZA beauftragte in Bulgarien, Mazedonien und Albanien je ein Filmteam und sagte diesen: «Filmt mal ein wesentliches Problem in eurem Land.»

Die rund 5-minütigen Filme öffneten dem Betrachter, der Betrachterin – im wahrsten Sinn des Wortes – die Augen.

Winner and Looser

Der bulgarische Film zeigte eine Momentanaufnahme von zwei Frauen, die im selben Wohnblock zu Hause sind. Die eine – sie ist erfolgreiche Architektin – hat ihr Appartement luxuriös ausgebaut und sagt, man müsse die Chancen der Freiheit nur nutzen.

Die andere, eine rund 40-jährige Frau, vegetiert dagegen in ihrer düsteren Wohnung dahin und fand, es sei schlimmer geworden. «Ich habe kein Geld mehr, das Familiensilber ist verkauft. Ich bin geschieden und lebe von Brot und einem Ei pro Tag.»

Ivan Krastev, Leiter des Zentrums für Liberale Strategien in Sofia, sagte zu dem Film: «Selbstredend für die Lage in Bulgarien ist die Tatsache, dass die beiden Frauen im selben Haus wohnen. Hier die Gewinnerin, da die Verliererin. Und die zahlreichen Verlierer haben total resigniert.»

Landflucht

Der Film aus Albanien konfrontiert zwei Frauen in der Hauptstadt Tirana. Eine «echte» Stadtbewohnerun und eine Migrantin vom Land, welche in einem wuchernden Vorort von Tirana lebt.

Die politisch aktive, alteingesessene Tiranerin will von den Zugewanderten nichts wissen. Die Zugewanderte hingegen findet: «Einmal wird unser Haus legalisiert und unsern Kindern wird es besser gehen». Hoffnung immerhin.

Erion Veliaj, Mitbegründer der Bürgerinitiative MJAFT (Genug!) gibt die Schuld an der Misere der fehlenden politischen Stabilität in Albanien. Deshalb seien die Besitzverhältnisse nicht geklärt. Er plädierte für eine mutige, ja freche Zivilgesellschaft als Antwort auf die Unzulänglichkeiten der Politik.

Ethnische Spannungen

Der Beitrag aus Mazedonien zeigt zwei Taxifahrer aus Skopje. Derjenige albanischer Herkunft hat ein Taxiunternehmen gegründet, das auch Mazedonier beschäftigt. Das gehe natürlich nicht ohne Probleme, sagt er.

Sein mazedonischer Kollege fürchtet sich, in ein von albanisch-stämmigen Mazedoniern bewohntes Gebiet zu fahren. «Was willst du, wenn die alle einen Revolver im Sack haben», sagt er. Er würde seine Tochter enterben, wenn sie einen Albaner heiraten würde, so ein weiteres Statement.

Emilija Simoska, Leiterin des Open Society Institutes in Skopje, erwähnte die ethnischen Spannungen in Mazedonien. Sie seien ein Grund für die hohe Arbeitslosigkeit im Land.

Simoska verwies auf die Aussage des mazedonischen Taxifahrers. Dieser sagt am Schluss des Films. «Man sollte die Wirtschaft entwickeln und nicht die Politik. Dann müssten wir nicht immer daran herumstudieren, wer Albaner ist und wer nicht.»

swissinfo, Urs Maurer, Zürich

Die Schweiz leistet in Bulgarien, Mazedonien und Albanien für rund 40 Mio. Franken öffentliche Entwicklungs-Zusammenarbeit.

Die Summe kommt rund zur Hälfte von DEZA und seco.

Der Bundesrat hat für die neuen EU-Länder einen Beitrag von 1 Mrd. Franken bewilligt, der auf 5 Jahre angelegt ist.

Die Entwicklungs-Zusammenarbeit für Südosteuropa hat drei Schwerpunkte:

Demokratisierung und Rechtsstaat;

Wirtschaftliche Entwicklung;

Infrastruktur und Umwelt.

Die Schweiz arbeitet vor allem mit Nichtregierungs-Organisationen und Schweizer Institutionen vor Ort zusammen.

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