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Think Tanks drängen in die Politik

Kontroverses Podium mit Adalbert Durrer, Doris Fiala, Barbara Polla, Rudolf Strahm und Robert Nef (v.l.n.r.). swissinfo.ch

Think Tanks, so genannte Denkfabriken, wollen die vom Tagesgeschäft überforderten Politiker bei der langfristigen Lösung von Regierungs-Problemen unterstützen.

Das Swiss Policy Net lud deshalb zur 1. Ideenmesse für Think Tanks ein.

Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik sind gezwungen, immer grössere Anteile ihrer Ressourcen ins Tagesgeschäft zu investieren. Auf der Strecke bleibt deshalb häufig die Beschäftigung mit der mittleren und weiteren Zukunft, die für das Überleben eines Betriebs oder Staates mindestens so wichtig sind wie die Tagesaktualität.

Mögliche Auswirkungen: Reformstaus und fehlende Zukunftsperspektiven. Um diese Lücken zu füllen, bieten Think Tanks ihre Dienste an.

Liberale Prägung

Die Think Tank-Bewegung ist liberal ausgerichtet. Erstellt werden Prognosen und Empfehlungen unter liberalen Gesichtspunkten. So sind auch Avenir Suisse oder das Liberale Institut einem liberalen, marktwirtschaftlichen Gedankengut verpflichtet.

Think Tanks sind im Allgemeinen private Stiftungen und parteipolitisch unabhängig. Sie verstehen sich als Ideenagenturen, die interdisziplinär Wissen aufbereiten und dieses in einen weltanschaulich-ordnungspolitischen, meist liberalen Rahmen stellen.

Vertreter von Think Tanks beteuern, sich bei ihrer Arbeit nicht von ihren Geldgebern beeinflussen zu lassen. «Wir sind keine Lakaien des Grosskapitals und auch kein Sprachrohr der Wirtschaft», erklärt Stefan Flückiger von Avenir Suisse.

Die Datenlieferanten

Für ihre Analysen brauchen die Think Tanks immense Mengen von breit abgestützten Daten. Meist verfügen sie nicht selbst über die Kapazitäten, die entsprechenden Datenbestände anzulegen oder zu pflegen. Deshalb nehmen sie die Dienste unabhängiger Zulieferer in Anspruch. Positiver Nebeneffekt: Mit den externen Datenlieferanten können sie auch ihre Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit herausstreichen.

Die Rolle der Datenlieferanten übernehmen das Bundesamt für Statistik oder spezialisierte Firmen wie das gfs-Institut, bekannt durch seine Wahl- und Abstimmungs-Prognosen, oder das BAK Basel Economics, dessen Konjunkturprognosen allgemein anerkannt sind.

Ideenmesse

Kürzlich hat das «Netzwerk für liberale Politik» in der Schweiz interessierte Organisationen und Einzelpersonen zur «1. Ideenmesse» eingeladen.

Tagungsort war der Zürcher Technopark. Er vereinigt Jungunternehmungen, Unternehmen und Forschungsgruppen verschiedenster Disziplinen und Branchen unter einem Dach. Neben der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) und den Fachhochschulen von Winterthur und Zürich sind rund 190 Unternehmen, Organisationen und Projekte tätig.

Von der besonderen, interdisziplinären Atmosphäre, verbunden mit der Aura von Innovation und Aufbruchstimmung des Technoparks, wollten auch die Veranstalter der Ideenbörse profitieren.

Breite Themenpalette

Mit verschiedenen Workshops, Foren und Podiumsdiskussionen wollten die Veranstalter den gegenseitigen Ideenaustausch fördern und die gegenseitige Vernetzung begünstigen.

Die Foren setzten sich nach verschiedenen Schwerpunkten zusammen. Referiert und diskutiert wurde unter anderem über Themen wie «Aktuelle Formen der Politikberatung», «Politische Landschaften und Wertewandel», «Think Tanks zwischen Politik und Wirtschaft» oder «Bildung und Medien als Schlüsselbereiche».

Die Spannweite der ideologischen Ausrichtung der Thinktanks reichte von der von 14 grossen, international tätigen Schweizer Firmen gegründeten Avenir Suisse bis zur Liberalen Aktion, dem früheren «Redressement National». Dass diese früher ausschliesslich ideologisch-rechtsbürgerlich ausgerichtete Gruppierung auch als Think Tank definiert wird, war für einige Messeteilnehmer doch recht fragwürdig.

Heisse Podiumsdiskussion

Eine bunt zusammen gewürfelte Expertengruppe diskutierte schliesslich auf einem Podium über «Think Tanks – Mode oder Notwendigkeit».

An der Diskussion beteiligten sich Avenir Suisse-Direktor Thomas Held, Robert Nef, der Leiter des Liberales Institutes, Barbara Polla, Adalbert Durrer, Doris Fiala sowie der Sozialdemokrat Rudolf Strahm, der frischgebackene Preisüberwacher.

Adalbert Durrer, Head Group Public Policy der UBS, hatte keine Angst, dass die Politik durch die liberalen Think Tanks übermässig beeinflusst werde: «In der Schweiz entscheiden der Bundesrat, das Parlament und das Volk.»

Die Zürcher FDP-Kantonal-Präsidentin Doris Fiala meinte, als Parlaments-Mitglied sei man Generalist. So müsse man sich auch extern informieren. Deshalb seien Politiker auf die Arbeit von Think Tanks angewiesen.

Links-Rechts-Gegensätze vermindern

Die alt-Nationalrätin, Ärztin und Unternehmerin Barbara Polla zeigte sich überzeugt davon, dass es auch «linke Thinker» gebe. Sie machte den Vorschlag, das Links-Rechts-Denken aufzugeben. «Linke und liberale Denker sollten gemeinsam arbeiten, um die Probleme unserer Zeit zu lösen.»

In der Tat sind linke Think Tanks selten. Kürzlich hat sich das «Denknetz» situiert, der erste linke Think Tank der Schweiz. Für Rudolph Strahm sind Organisationen wie Greenpeace oder der WWF auch Think Tanks, die für die Linke wichtige Grundlagenarbeit leisten.

Die sogenannten NGOs hätten auch international eine wichtige Funktion in der Politik eingenommen: «Amnesty International hat im Bezug auf die Menschenrechte mehr Normen gesetzt als die UNO-Menschenrechts-Kommission», so Strahm.

Schweizer Think Tanks in den USA

Noch viel mehr als in der Schweiz haben Think Tanks Einsitz und auch Einfluss im politischen Leben der USA. Dort gibt es eine schier unüberschaubare Zahl von sich gegenseitig konkurrierenden Think Tanks. Diese befinden sich untereinander in einem scharfen Wettbewerb.

Und da will auch die Schweiz nicht zurückstehen. Mit den Worten: «Die USA sollten die Erwartungen der Europäer kennen», begründet alt Staatssekretär Edouard Brunner, Präsident der Swiss foundation for world affairs (SFWA), die Aktivitäten seines Think Tanks in Washington.

Die SFWA ist eine Stiftung. Sie arbeitet mit dem Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) zusammen. Finanziert wird sie unter anderem vom Bund, Genfer Bankiers, der Credit Suisse und der Publigroup.

In den USA sind noch weitere Schweizer Think Tanks tätig, so die Parlamentarier-Vereinigung Schweiz-USA und die American Swiss Foundation.

Einig waren sich aber praktisch alle Teilnehmer der Ideenbörse: Think Tanks werden in der Schweiz nie dieselbe Bedeutung wie in den USA erlangen; dazu sei das Land zu klein.

swissinfo, Etienne Strebel

Thing Tanks sind Ideenagenturen. Sie stellen ihre interdisziplinär aufbereiteten Produkte der Politik und der Wirtschaft sowie einer interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung.

Die Think Tank-Idee gründet auf dem Liberalismus. Sie stammt aus dem angelsächsischen Raum. Seit den 1970er Jahren breitet sie sich über die ganze Welt aus.

Politiker des linken Spektrums haben erkannt, dass Think Tanks auch für sie zunehmend wichtiger werden. Vor kurzem wurde ein linkes Denknetz gegründet.

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