Trotz allem effiziente Politiker
Die Bevölkerungs-Mehrheit zweifelt an der Integrität der Politiker. Trotzdem glaubt sie, dass die Politik Probleme lösen kann, zeigt eine am Donnerstag veröffentlichte Univox-Studie.
Der Anteil der Überzeugten, dass der Bund die Probleme des Landes in den Griff bekommmt, ist in den letzten 8 Jahren von 54 auf 76% gestiegen.
Die Mehrheit der Befragten ist der Ansicht, Politikerinnen und Politiker hätten keine Prinzipien und sorgten sich kaum um die Anliegen der Bürger. Vielmehr verfolgten sie eigene Interessen und buhlten um die Stimmen der Wähler.
Diese Meinung führt allerdings nicht zu Zweifeln an der Leistungsfähigkeit des politischen Systems in der Schweiz. Mehr als drei Viertel der Befragten äussern sich zuversichtlich, dass der Bund die Probleme in den Griff bekommt.
Kontrolle durch Volksentscheide
Für diesen scheinbaren Widerspruch liefert die Studie eine Erklärung: Das schweizerische Politiksystem zwingt die Politiker dazu, die Wünsche des Volkes zu berücksichtigen. Der Grund dafür sind die Kontrollmechanismen wie direktdemokratische Volksentscheide.
Das Vertrauen der Bevölkerungsmehrheit in die Fähigkeit des Staates, Probleme zu lösen, spiegelt sich in einer generellen Zufriedenheit mit der Regierungstätigkeit. So sind 42% der Befragten zufrieden, lediglich 16% sind es nicht.
Skeptische SVP-Anhänger trotz Blocher
Das Vertrauen in den Bundesrat ist aber nicht überall gleich gross. Fast zwei Drittel der Anhänger der Schweizerischen Volkspartei (SVP) sind der Ansicht, die Landesregierung kenne die Sorgen und Wünsche des Volkes nicht. Bei den anderen Bundesratsparteien verhält es sich genau umgekehrt.
Dass der Bundesrat trotz Christoph Blocher wenig Vertrauen bei den SVP-Anhängern geniesst, erklärt die Studie mit dem jahrelang von der SVP geschürten Misstrauen gegen die «classe politique».
Die Univox-Studie der Universität Zürich basiert auf einer im Februar 2006 durchgeführten repräsentativen Befragung von 710 Personen, davon 75% aus der Deutschschweiz.
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Direkte Demokratie
Neue Sicht des «politischen Zynismus»
Der Befund aus der Umfrage deute zudem darauf hin, dass man den Begriff des «politischen Zynismus» allenfalls neu definieren müsse, schreibt das gfs-Institut.
Denn eine Mehrheit der Schweizer offenbare eine Haltung, die man aus einem gewissen Blickwinkel als zynisch umschreiben könnte. Bei näherem Hinsehen könnte sie aber auch als kritisch, hinterfragend, gar realistisch gedeutet werden.
Dies betreffe vor allem die Motive der Politiker: Eine Mehrheit der Befragten findet, es sei sehr naiv zu glauben, Politiker handelten prinzipientreu und an Idealen orientiert. Auch wird bezweifelt, dass sie ehrlich um die Bürger (und damit um ihre Wähler und Wählerinnen) besorgt seien.
«Politik-Verdrossene» beteiligen sich dennoch
Laut Umfrage gibt es durchaus die von der Politik «Verdrossenen», die der Urne bei allen Gelegenheiten fern bleiben. Diese Gruppe ist allerdings zahlenmässig nicht sonderlich stark.
Viele haben jegliche Hoffnungen, die sie in die Politik setzten, fallen gelassen. Laut Umfrage glauben sie selbst nicht mehr an die Wirksamkeit ihrer eigenen politischen Stimme. Dennoch beteiligen sie sich an Wahlen und Abstimmungen – wenn auch nur höchst selektiv.
Eine minimale Teilhabe am politischen Entscheidprozess gilt also für eine deutliche Mehrheit der Schweizer Bevölkerung als gesichert. Wenngleich diese Teilhabe zuweilen nur von einem Pflichtgefühl motiviert wird und die Form eines Rituals hat.
swissinfo und Agenturen
Für diese Univox-Umfrage hat das Zürcher gfs-Institut 710 Personen befragt.
Drei Viertel in der Deutsch- und ein Viertel in der Westschweiz.
Die Umfrage fand im vergangenen Februar in 70 Gemeinden statt.
Jedes Interview dauerte 45 Minuten.
Univox ist eine Langzeitbeobachtung der Schweizer Gesellschaft. Die Studien beschränken sich allerdings auf die deutsch- und die französischsprachige Schweiz.
Realisiert wird sie vom Forschungsinstitut gfs-zürich in Zusammenarbeit mit rund 20 spezialisierten, zumeist universitären Instituten.
Von 1986 bis 1999 wurde Univox jährlich erhoben, seit dem Jahr 2000 zweijährlich.
Die Grundlage der vorliegenden Studie bildet eine durch das gfs-Forschungsinstitut Zürich zusammen mit fünf weiteren Kooperationspartnern im Frühjahr 2006 durchgeführte Befragung.
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