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Umstrittene Frischhaltefolie für Gletscher

Eine künstliche weisse Decke soll die natürliche vor UV-Strahlen schützen. Keystone

Der Gurschengletscher im Urnerland ist in ein 2500 Quadratmeter grosses Vlies eingepackt worden. Es soll verhindern, dass er weiter abschmilzt.

Umweltverbände kritisierten diese Art von Gletscherschutz als reine Symptombekämpfung.

Die Andermatt Gotthard Sportbahnen deckten am Dienstagmorgen einen Teil des Gletschers mit der High-Tech-Folie ab, um die Schnee- und Eisschmelze in diesem Bereich weit gehend einzudämmen. Geschützt sind nun die Abfahrtsrampe sowie der Fels und Firn beim Abgang Nord des Gletschers.

In den letzten 15 Jahren habe sich der Gletscher um 20 Meter abgesenkt, begründeten die Sportbahnen ihre Massnahme. Ohne Kunstbauten sei es zu Beginn der Skisaison nicht mehr möglich, die Pisten auf dem Gletscher zu erreichen.

Grosser Aufwand zum Saisonauftakt

Bislang hatten sich die Sportbahnen mit einer eigens aufgebauten Rampe beholfen. Der Aufwand, um die Abfahrtspiste für den Saisonauftakt herzurichten, sei jedoch zu gross gewesen. Eine künstliche Beschneiung stünde auch nicht zur Diskussion, weil Wasser und Strom fehlten, erklärten die Sportbahnen weiter. Sie hoffen nun, mit dem Vlies einen Ausweg gefunden zu haben.

Sportbahnen-Direktor Peter Heinzer sagte auf Anfrage, Ziel sei es, mit der Massnahme den Anfang Winter nötigen Aufwand auf einen Drittel oder 10’000 Franken zu reduzieren. Die Kosten für das wiederverwendbare Vlies bezifferte er auf 21’000 Franken, jene für das Abdecken auf 9000.

Es handelt sich jedoch um eine kurzfristige Massnahme, wie Urs Elmiger gegenüber swissinfo erklärte. Längerfristig müssten sie eine andere Lösung finden, sagte der Finanz-Chef der Sportbahnen weiter. «Zurzeit ist uns jedoch keine langfristige Massnahme bekannt.»

Dünne weisse Abdeckung

Das Vlies ist weiss und 3,8 Millimeter dick. Es besteht aus Polyester und Polypropylen und soll durch den Aufbau von Kältebrücken den Schmelzvorgang reduzieren.

«Das Potenzial des Materials ist beachtlich, da viele Ski-Gebiete auf Gletschern angesiedelt sind», sagte Frank Gross gegenüber swissinfo. Er leitet die Fritz Landolt AG in Näfels GL, die das Vlies produziert.

Es wird im Herbst ab- und im nächsten Frühling wieder aufgebaut. Die Gletscherabdeckung wird von der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie der ETH Zürich während drei bis vier Jahren wissenschaftlich begleitet. «Hier müssen wir insbesondere darauf achten, ob das Material die Ultraviolett-Strahlung abweist, der der Gletscher stark ausgesetzt ist», sagte Gross weiter.

Der Gurschengletscher ist der erste Schweizer Gletscher, der eingepackt wird. Die Sportbahnen erhielten dazu laut Heinzer vom Kanton Uri und der Gemeinde Andermatt die entsprechenden Bewilligungen.

In Österreich wurden bereits im letzten Jahr versuchsweise Flächen abgedeckt. Die Universität Innsbruck teilte im März mit, es seien damit erste Erfolge erzielt und an exponierten Stellen eineinhalb Meter Gletscherschnee erhalten worden.

Symptome, aber keine Ursachen bekämpft

Die Umweltorganisationen in der Schweiz können mit dieser Art von Gletscherschutz nur wenig anfangen und empfehlen griffige Klimaschutzmassnahmen. Das Beispiel zeige, wie kostspielig Symptom bekämpfende Massnahmen sein könnten, schreibt der WWF.

«Stellen Sie sich vor, wie viel Material man bräuchte, um ganze Gletscher einzupacken. Niemand könnte sich das leisten», gab Adrian Stiefel vom WWF gegenüber swissinfo zu bedenken. Die Auswirkungen des Klimawandels dürften nicht unter einer Decke versteckt werden.

Die einzige effiziente Massnahme, um den Klimaerwärmung aufzuhalten, ist laut Stiefel die drastische Reduktion von CO2-Emissionen. Ferienorte wie Andermatt sollten seiner Meinung nach als gutes Bespiel vorangehen und auf saubere Energie umstellen, sonst hätten sie bald gar keine Gletscher mehr zu schützen.

Auch Greenpeace hält fest, Frischhaltefolien, Schneekanonen und Verbauungen gegen rutschende Hänge könnten allenfalls kurzzeitig Symptome lindern.

Pro Natura ist zwar bereit, das Andermatter-Projekt im Sinne eines wissenschaftlichen Versuchs zu tolerieren. In landschaftlich besonders wertvollen Gebieten würden solche Abdeckungen aber nicht akzeptiert.

swissinfo und Agenturen

Von 90 bis jetzt ausgewerteten Gletschern registrierte man 2003-2004 bei 75 eine Reduktion.
7 haben ihre Grösse einigermassen gehalten.
8 haben leicht zugenommen.
Auf 134 Meter beläuft sich der grösste Verlust (Triftgletscher im Kanton Bern)
Mit 10 Metern hat der Morteratschgletscher im Bündnerland am meisten zugenommen.

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