UNO-Standort Genf aufwerten
Seit einem Jahr ist die Schweiz Mitglied der Vereinten Nationen. Ob der UNO-Standort Genf bereits davon profitieren konnte, wird unterschiedlich beurteilt.
Das Klima zugunsten der Schweiz hat sich in Genf laut Christian Faessler, UNO-Botschafter der Schweizer Mission in der Rhonestadt, verbessert.
«Wir werden ernster genommen und können besser mitentscheiden – gerade bei Fragen, die den Genfer UNO-Standort betreffen», lautet Faesslers Bilanz nach einem Jahr Schweizer UNO-Mitgliedschaft.
Seine Freude ist verständlich. Vor dem UNO-Beitritt ging das internationale Genf schwere Zeiten durch: Es musste die Kontrolle über die chemischen Waffen ziehen lassen, verpasste es, die Folgekonferenzen der Rio-Umweltkonferenz anzusiedeln, und hätte um ein Haar den WTO-Sitz verloren.
Heute seien indes die Weichen gestellt, sagt Faessler: «Genf ist das internationale humanitäre Zentrum. Bundesrätin Micheline Calmy-Rey hat seine Förderung zu einer der Hauptachsen der Schweizer Aussenpolitik erklärt.»
Als Stärken der UNO-Stadt Genf wie auch der Schweiz nennt er das Verständnis für kulturelle Unterschiede, die Betonung des internationalen Rechts sowie die Fähigkeit, das Nord-Süd-Wohlstandsgefälle ohne politische Vorurteile anzugehen.
Brückenfunktion Nord-Süd
Als Meilenstein für Genf gilt das UNO-Gipfeltreffen über die Informationsgesellschaft im Dezember, das die digitale Kluft zwischen dem Norden und dem Süden überwinden helfen soll.
Der europäische UNO-Hauptsitz sollte sich nach Ansicht des für die Weltkonferenz zuständigen UNO-Sonderbotschafters Guy-Olivier Segond, ehemals Genfer Staatsrat, generell für die Überwindung des Gefälles zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern einsetzen. So wie sich Genf früher für die Vermittlung zwischen Ost und West eingesetzt habe. Ansonsten drohe die Stadt ihren Standortvorteil zu verlieren.
Kompetenzzentrum für internationale Ethik
Ein entwicklungspolitisch starkes Genf wünscht sich auch Christoph Stückelberger, Zentralsekretär des Hilfswerks Brot für alle. Die hier behandelten Themen seien für regierungs-unabhängige Organisationen (NGO) zentral: Humanitäres, Entwicklungspolitik, Welthandel, Migration, Menschen- und Arbeitnehmerrechte.
Genf könnte sich künftig als «Kompetenzzentrum für internationale Ethik» etablieren, skizziert Stückelberger. Er räumt allerdings ein, dass Schweizer NGO ihre Lobbymöglichkeit bei der UNO in Genf noch zu wenig nutzten.
Wirtschaftliche Bedeutung
Für Rudolf Walser, Geschäftsleitungsmitglied des Wirtschaftsverbandes economiesuisse, ist es noch zu früh, die Aufwertung der UNO-Stadt Genf zu beurteilen. Neue wichtige Konferenzen habe man nicht gewinnen können. Dennoch eröffne die UNO-Mitgliedschaft der Schweiz die Möglichkeit, sich stärker für den Standort Genf einzusetzen.
Mit seinen rund 33’000 internationalen Funktionären und Hunderten von Regierungs- und Nichtregierungs-Organisationen hat Genf über die Romandie hinaus grosse wirtschaftliche Bedeutung. Dennoch gelte das internationale Genf bei vielen in der Deutschschweiz als «Spielzeug der Welschen», bedauert UNO-Botschafter Faessler.
«Unsere Diplomaten und Politiker sollten noch mehr als bisher erklären, welch wichtige Arbeit in Genf geleistet wird.» Den Handlungsbedarf habe der Bundesrat erkannt und arbeite an einem Gesamtkonzept für die UNO-Stadt.
«Bundesbern» stärkt Genf
Bis dieses vorliegt, setzt nicht nur Aussenministerin Calmy-Rey auf das internationale Genf. Verteidigungsminister Samuel Schmid fördert die Realisierung des «Maison de la paix»: Das Haus des Friedens soll bis 2008 in UNO-Nähe stehen und drei im Rahmen der «Nato-Partnerschaft für Frieden» gegründete Zentren für Konfliktprävention unter ein Dach bringen.
Innenminister Pascal Couchepin will Genf zu einer Ausbildungsstätte für Diplomaten und internationale Funktionäre ausbauen, zumal bereits die Hochschule für internationale Studien (HEI) und das Institut für Entwicklungsstudien (IUED) in diese Richtung arbeiten.»
Helen Brügger und Boris Bögli, InfoSüd
1986: Das Schweizer Stimmvolk verwirft den UNO-Beitritt mit grosser Mehrheit (75%). Auch alle Kantone sagen Nein.
1998: Neue Beitritts-Initiative lanciert.
2002: 3. März: Volk und Stände sagen (knapp) Ja zum UNO-Beitritt.
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