«Unsere grösste Herausforderung ist es, die Nachfrage nach nachhaltigen Treibstoffen zu decken»

Neue Vorschriften zwingen die Fluggesellschaften, Erdöl allmählich durch sauberere Treibstoffe zu ersetzen. Synhelion, ein Schweizer Startup, das Sonnenlicht in Treibstoff umwandelt, nutzt die Gelegenheit, um sich in diesem aufstrebenden Markt zu positionieren.
Synhelion ist in der Schweizer Startup-Szene einzigartig: Nicht nur, weil es Pionierarbeit bei der Umwandlung von Sonnenlicht in nachhaltigen Treibstoff leistet – eine entscheidende Innovation für die Energiewende –, sondern auch, weil es bereits 70 Millionen Franken von bedeutenden strategischen Investoren erhalten hat. Im Jahr 2024 hatten nur zwei Schweizer Startups mehr Kapital gesammelt.
Zudem ist Synhelions Verwaltungsratspräsident weder ein junger, hipper Technologiefreak noch ein Finanzinvestor. Das Startup wird von Hans Hess geleitet, einem der erfahrensten Industriemanager der Schweiz.
Der an der ETH ausgebildete Maschineningenieur war in führenden Positionen bei grossen Industrieunternehmen wie Reichle & De-Massari, Burckhardt Compression und Comet Group tätig. Er war CEO von Leica Geosystems, Präsident von Swissmem, dem führenden Verband der Schweizer Technologie- und Industrieunternehmen, und Vizepräsident von economiesuisse, dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft.
SWI swissinfo.ch traf sich mit Hess zu einem Exklusivinterview am Hauptsitz von Synhelion in Zürich, um mit ihm über die Herausforderung der Kapitalbeschaffung in einer zunehmend instabilen Welt zu sprechen.

SWI swissinfo.ch: Was motiviert Sie im Alter von 70 Jahren, ein junges Technologieunternehmen wie Synhelion zu leiten?
Hans Hess: In dieser letzten Phase meiner beruflichen Laufbahn möchte ich meine Erfahrungen an die nächste Generation von Führungskräften weitergeben. Ich war schon immer begeistert von Industrie, Technologie und unternehmerischem Erfolg und freue mich auf die Zusammenarbeit mit dem jungen, dynamischen Managementteam von Synhelion.
Als Seed-Investor war ich aktiv auf der Suche nach vielversprechenden Startups im Cleantech-Sektor. Nachdem ich in Synhelion investiert und sechs Monate lang mit dessen Managementteam zusammengearbeitet hatte, luden mich die Gründer ein, Verwaltungsratspräsident zu werden, eine Rolle, die ich im Dezember 2020 übernommen habe.
Sind Sie auch an der Gewinnung von Co-Investor:innen, Kund:innen und Partnern für Synhelion beteiligt?
Als Verwaltungsratspräsident konzentriere ich mich in erster Linie auf die Strategie und die Unternehmensführung, um den richtigen Rahmen für den Erfolg zu schaffen. Ich nutze aber auch mein Netzwerk, um Co-Investoren zu gewinnen und führe regelmässig Gespräche mit hochrangigen politischen Entscheidungsträgern, Kunden und Lieferanten.
Zusammenfassend würde ich mich als aktiven, nicht operativen Verwaltungsratspräsidenten bezeichnen, der rund 40 Prozent seiner Zeit für Synhelion aufwendet.

Viele Startups entwickeln jahrelang eine Technologie, ohne zu wissen, ob sie kommerziell nutzbar ist. Wo steht Synhelion in seiner Entwicklung und wird es in der Lage sein, die Produktion zu skalieren, um finanziell nachhaltig zu werden?
Im Jahr 2024 haben wir mit der erfolgreichen Realisierung einer Demonstrations-Solar-Treibstoff-Anlage in Deutschland alle grundlegenden technologischen Herausforderungen gemeistert. Darüber hinaus hat unser Team bewiesen, dass es in der Lage ist, komplexe Projekte pünktlich, budgetgerecht und gemäss den Spezifikationen umzusetzen.
In Kürze werden wir mit dem Bau unserer ersten kleinen kommerziellen Produktionsanlage in Spanien beginnen, die 2027 mit der Produktion von Solarkraftstoff beginnen soll. Grössere Anlagen werden folgen, mit dem Ziel, bis 2030 jährlich 100’000 Tonnen nachhaltigen Treibstoff zu produzieren.

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Ich bin zuversichtlich, dass wir skalieren können, weil wir mit erfahrenen Industriepartnern zusammenarbeiten. Das Wichtigste ist, dass es eine signifikante Marktnachfrage gibt, und wir haben bereits den grössten Teil des Produktionsvolumens unserer zukünftigen Anlage in Spanien vorverkauft.
Die grösste verbliebene Herausforderung besteht darin, die notwendigen finanziellen Mittel zu sichern.
Warum sind Sie zuversichtlich, dass es eine starke Marktnachfrage für Ihren nachhaltigen Treibstoff geben wird, insbesondere in der Luftfahrt?
Regulierungen treiben die Dekarbonisierung und die Energiewende voran, insbesondere in der Europäischen Union, aber zunehmend auch in Ländern wie Singapur, Brasilien und den USA. Beispielsweise müssen die Fluggesellschaften in der Europäischen Union bis 2030 mindestens sechs Prozent nachhaltige Kraftstoffe verwenden.
Der Luftfahrtsektor ist unser primäres Ziel, da es hier an praktikablen Alternativen zur Reduzierung der CO2-Belastung mangelt. Im Gegensatz zu Elektroautos sind Elektroflugzeuge aufgrund des Gewichts der Batterie für Langstrecken unpraktisch.
Ein weiterer wichtiger Vorteil des nachhaltigen Treibtoffs ist seine Kompatibilität mit der bestehenden Flugzeug- und Treibstoffversorgungsinfrastruktur im Gegensatz zu Elektrifizierungs- oder Wasserstofflösungen.

Junge Unternehmen brauchen oft länger als erwartet, um Produkte auf den Markt zu bringen. Ist dies auch bei Synhelion der Fall?
Wir haben durch die Pandemie etwa ein Jahr verloren, da einige Lieferanten Lieferengpässe hatten. Derzeit liegen wir sechs Monate hinter unserem ursprünglichen Plan zurück.
Im Jahr 2022, als Synhelion das letzte Mal mit SWI sprach, plante Ihr Unternehmen, bis 2030 jährlich 875 Millionen Liter Flugtreibstoff zu produzieren – die Hälfte des jährlichen Flugtreibstoffbedarfs der Schweiz. Sind Sie auf dem besten Weg, dieses Ziel zu erreichen?
Ich möchte mich zu diesem Zeitpunkt nicht zu den Kapazitäten äussern. Aber Synhelion hält an seinen ehrgeizigen, aber realistischen Plänen zur Steigerung der Produktion fest. Wir streben eine Produktionskapazität von 100’000 Tonnen (oder 125 Millionen Liter) nachhaltigem Treibstoff pro Jahr im Jahr 2030 an.
Sie haben bereits 70 Millionen Schweizer Franken von internationalen und Schweizer Investoren wie dem Schweizer Autokonzern AMAG, der SWISS, dem italienischen Öl- und Gaskonkzern Eni, dem Industrieanlagenbauer SMS Group und dem Zementhersteller CEMEX erhalten. Wie viel Geld brauchen Sie noch, um auf eigenen Beinen zu stehen?
Das kommt darauf an. Eine grosse Anlage, die 100’000 Tonnen nachhaltigen Treibstoff pro Jahr produzieren kann, braucht eine Investition von 1,5 Milliarden Franken. Im Idealfall würde ein grosses Öl- und Gasunternehmen unsere Technologie lizenzieren und eine solche Anlage finanzieren, sodass Synhelion sich nicht mit Vermögenswerten belasten müsste.
Wahrscheinlich werden wir jedoch weiterhin in Unternehmen co-investieren müssen, bis wir die kommerzielle Machbarkeit nachweisen und sicherstellen können, dass die grossen Öl- und Gasunternehmen mit an Bord sind.
War es angesichts des starken internationalen Fokus auf die Energiewende eine Herausforderung, Geld für Synhelion zu beschaffen?
Unsere erste Kapitalbeschaffung war relativ einfach. Seit 2023 sind die weltweiten Investitionen in Unternehmen wie das unsere jedoch deutlich zurückgegangen, was die Mittelbeschaffung erschwert.
Die Verlangsamung der Cleantech-Investitionen ist auf die weltweit gestiegenen Zinssätze sowie auf wirtschaftliche, politische und regulatorische Unsicherheiten zurückzuführen. Kapitalintensive Cleantech-Projekte haben längere Amortisationszeiten, was sie in einem solchen Umfeld zu einer grösseren Herausforderung macht.
Nachhaltige Kraftstoffe werden unter anderem dafür kritisiert, dass sie Auswirkungen auf die Landnutzung haben, dass sie dazu beitragen, eine umweltverschmutzende Industrie am Leben zu erhalten, und dass sie Subventionen anziehen könnten, die den Klimawandel an anderer Stelle abschwächen und den globalen Emissionsminderungszielen im Wege stehen. Führen Ihre technologischen Lösungen zu signifikanten CO2-Reduktionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette?
Auf jeden Fall, und das ist ein entscheidender Punkt. Unser Prozess benötigt drei wesentliche Zutaten: Solarenergie, Wasser und Kohlenstoffquellen (CO2). Für Letzteres verwenden wir Bioabfälle aus der Landwirtschaft.
Deshalb müssen unsere Anlagen in Gegenden mit viel Sonne und Wasser stehen, in der Nähe von landwirtschaftlichen Flächen, aber nicht in Konkurrenz zu ihnen.
Natürlich werden wir unseren nachhaltigen Kraftstoff von den Produktionsstätten zu den Flughäfen transportieren müssen; da der Treibstoff jedoch eine hohe Energiedichte hat, ist dies kein grosses Problem, und wir können die bestehende nachgelagerte Infrastruktur der Öl- und Gasindustrie nutzen.
Für Grossanlagen suchen wir «Grenzertragsflächen» – Gebiete, die unseren Ansprüchen entsprechen, ohne die Landwirtschaft zu verdrängen. Solche Standorte sind in Europa und erst recht in der Schweiz rar, weltweit aber sehr zahlreich und weit verbreitet.
Wir ziehen Marokko in Betracht, wo alle Faktoren zusammenpassen, um eine geschätzte CO2-Reduktion von 85% zu erreichen. Wichtig ist, dass wir diese Reduktion genau quantifizieren können, was uns von vielen Greenwashing-Initiativen unterscheidet.

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Wie schützen Sie Ihre Innovationen, wenn man bedenkt, dass einige Ihrer akademischen Partner (ETHZExterner Link, EMPAExterner Link, SUPSIExterner Link, etc.) einige Ihrer Schlüsselpatente besitzen?
Der Schutz des geistigen Eigentums hat höchste Priorität, da wir beabsichtigen, unsere Technologie in Zukunft zu lizenzieren. Als ETH-Spin-off nutzen wir gewisse ETH-Patente, haben uns aber exklusive Lizenzrechte gesichert.
Zudem besitzen wir 20 Patentfamilien und verfügen über ein grosses Know-how in den Köpfen und Händen unserer 50 Mitarbeitenden. Wir sind uns bewusst, dass der Patentschutz nie narrensicher ist, deshalb sind rasche und kontinuierliche Innovationen unerlässlich.
Warum kooperieren Sie vorwiegend mit ausländischen Industriepartnern, arbeiten aber auch mit Schweizer Pilotkunden wie Pilatus, SWISS, der Vierwaldstättersee-Schifffahrt, dem Flughafen Zürich und der AMAG-Gruppe zusammen?
Wir haben von Anfang an weltweit führende Industrieunternehmen gesucht, um die Skalierung zu erleichtern. Pilotprojekte erfordern jedoch eine enge Zusammenarbeit, so dass Schweizer Unternehmen eine für den Anfang natürliche Wahl sind.
Einige Schweizer Partner wie SWISS und AMAG bieten auch Zugang zu internationalen Unternehmen wie Lufthansa oder Volkswagen.

Wer sind Ihre Hauptkonkurrenten?
Unsere grösste Sorge ist nicht der Wettbewerb, sondern die Deckung der Nachfrage. Gesetzliche Anforderungen werden eine erhebliche Lücke in der Versorgung mit nachhaltigen Kraftstoffen schaffen. Die wichtigste konkurrierende Technologie ist HEFA (Hydrotreated Esters and Fatty Acids), die Pflanzenöle, Altöle oder Fette zu nachhaltigen Kraftstoffen raffiniert.
HEFA ist kommerziell etabliert, mit Produktionsanlagen, die pro Jahr und Anlage 100’000 Tonnen produzieren. Das Ausgangsmaterial ist jedoch begrenzt, und die Produktionsobergrenze wird bald erreicht sein. Deshalb braucht es nachhaltige Treibstoffe der nächsten Generation wie unsere Solartreibstoffe.
Ihre ersten beiden Anlagen stehen in Deutschland und Spanien. Hat die EU-Förderung diese Entscheidung beeinflusst?
Nein, wir haben keine EU-Fördermittel erhalten. Wir haben Deutschland für unsere Pilotanlage gewählt, weil wir die Infrastruktur des Deutschen Zentrums für Luft- und RaumfahrtExterner Link mit starker lokaler Unterstützung nutzen konnten. Für unsere erste kommerzielle Anlage haben wir wegen der «Grenzertragsflächen» und der Sonnenbedingungen Spanien gewählt.
Wird Ihr nachhaltiger Treibstoff billiger sein als fossile Brennstoffe?
Nein, aber er wird unter den nachhaltigen Alternativen wettbewerbsfähig sein. Bei voller Produktionskapazität streben wir Produktionskosten von etwa einem Euro pro Liter an – doppelt so viel wie bei fossilen Kraftstoffen.
Aber wir müssen auf nachhaltige Treibstoffe umsteigen, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Wie bereits erwähnt, müssen ab 2030 mindestens 6 Prozent des Flugtreibstoffs in der Europäischen Union nachhaltig sein, aber dieser kleine Prozentsatz wird zu einem minimalen Anstieg der Gesamtkosten führen.

Hans Hess wurde vor dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump interviewt, der seither die Investitionen in saubere Energieprojekte gekürzt hat.
Editiert von Virginie Mangin/ac; Übertragung aus dem Englischen von Michael Heger/jg

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