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Von der Vielfalt der Schöpfung zur Biodiversität

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Eine Ausstellung im Botanischen Garten in Bern über Albrecht von Haller als Pflanzenforscher bildet den ersten Höhepunkt des Jubiläumsjahrs. Vor 300 Jahren wurde der Schweizer Universalgelehrte geboren.

«Versuchts, ihr Sterbliche, macht euren Zustand besser, braucht, was die Kunst erfand und die Natur euch gab.» Albrecht von Haller (1708-1777) machte bereits in seinem berühmten Gedicht «Die Alpen» deutlich, dass ihm bei aller Bewunderung für die Vielfalt der Natur deren Nützlichkeit für den Menschen durchaus wichtig war.

Der in Bern geborene Haller war nicht nur Dichter, Mediziner und Ökonom, sondern auch ein Pflanzenforscher von europäischem Rang. Während seiner Professur in Göttingen von 1736 bis 1753 legte er dort einen botanischen Garten für Lehre und Forschung an.

Viele Jahre später legte sein Sohn den Grundstein des Botanischen Gartens der Universität Bern.

Die Ausstellung im Rahmen der Jubiläumsveranstaltungen «Haller300» gruppiert sich um 12 Pflanzen, die Haller entweder selbst entdeckte und in sein Herbarium aufnahm, wie die Anemone, oder für deren Nützlichkeit er sich interessierte, wie die Kartoffel.

1770 drohte in Europa eine grosse Hungersnot. Als Krisenbewältigung standen zwei Massnahmen im Vordergrund, einerseits eine fürsorgliche Getreidepolitik, andrerseits die Propagierung der Kartoffel als alternativer Grundstoff für Brot. Auch dafür setzte sich Albrecht von Haller ein.

Wiese mit 35 Pflanzenarten

Haller gilt als erster wissenschaftlicher Erforscher der Alpenflora. In seinem Herbarium legte er rund 10’000 Pflanzenbelege an. «Er wollte die Vielfalt der Schöpfung erkennen, daran hatte er eine sinnliche Freude», sagt Martin Stuber, Historiker und mitverantwortlich für die Ausstellung, gegenüber swissinfo.

Was früher als Vielfalt der Schöpfung gepriesen wurde, heisst heute schlicht und emotionslos Biodiversität. Wie gefährdet diese heute ist, zeigt eine Gegenüberstellung zweier Wiesenstücke im Botanischen Garten.

Eine nach Angaben von Haller rekonstruierte Wiese des 18. Jahrhunderts war zwar ertragsärmer, aber dafür viel artenreicher als heute. Sie bestand aus 35 Pflanzenarten, darunter drei Orchideen. Eine heutige Standard-Dauerwiese liefert dagegen mehr Futter, weist aber nur gerade sieben Arten auf.

Im Buch der Natur lesen

«Haller hatte den Anspruch, im Buch der Natur wie in der Bibel zu lesen, aus Achtung vor dem Schöpfer», sagt Stuber. Auf der anderen Seite sei Haller aber auch ein Protagonist der so genannten Agrarmodernisierung gewesen und habe sich dafür eingesetzt, dass für den Menschen nützliche Pflanzen gefördert und schädliche bekämpft würden, um so höhere Erträge zu erzielen.

Im 18. Jahrhundert begannen die Wissenschaften sich immer mehr in den Dienst des gesellschaftlich nützlichen Wissens zu stellen. In Europa wurden dafür so genannte Reformgesellschaften gegründet.

Hallers Ökonomische Gesellschaft Bern zählte dabei zu den Vorreitern und verfasste im Zeitraum von 1762 bis 1782 elf systematische Verzeichnisse von nützlichen Wild- und Kulturpflanzen mit rund 650 einheimischen und fremden Arten.

«Hallers Aktivität als Pflanzenforscher hat paradoxerweise auch dazu geführt, dass die Natur industrialisiert wurde», sagt der Historiker.

Noch sind nicht alle Samen aufgegangen

Martin Stuber beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit Albrecht von Haller. In einem ersten vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierten Projekt untersuchte er 17’000 Briefe vom und an den Universalgelehrten aus ganz Europa.

Die Zusammenarbeit mit dem Institut für Medizingeschichte und dem Botanischen Garten für die Ausstellung kam im Rahmen eines zweiten SNF-Projekts zustande.

Vor einem halben Jahr wurden die ersten Samen gesät, von denen einige bereits aufgegangen sind, so die Anemone. Von der Kartoffelpflanze ist im Blumentopf noch nichts zu sehen. «Das ist der Lauf der Natur. Die Ausstellung dauert sechs Monate, in dieser Zeit werden alle Pflanzen in natura zu sehen sein», verspricht die Botanikerin Sabine Tschäppeler.

swissinfo, Susanne Schanda

Die Ausstellung «Hallers (G)Arten» im Botanischen Garten der Universität dauert bis 12. Oktober 2008.
Einmal im Monat findet sonntags eine Führung zu einem spezifischen Thema statt. So etwa «Von Küchenschellen und Anemonen» oder «Der Kuss der grünen Fee. Hallers Wermut und andere Medizinalpflanzen.

Zum 300. Geburtstag des Schweizer Universalgelehrten finden zahlreiche Veranstaltungen in der Schweiz und in Deutschland statt.


«Mit Haller durch Europa»: Konzerte, Lesungen und Vorträge im Schloss Holligen, April bis Oktober 2008.

Ausstellung «Berner Schreibmöbel des 18. Jahrhunderts» im Schloss Jegenstorf, 10. bis 31. August 2008.

Ausstellung in der Paulinerkirche und Vorlesungen an der Universität Göttingen im Wintersemester 2008/2009.

Uraufführung eines Theaterprojekts von Lukas Bärfuss und Christian Probst im Stadttheater Bern, ab 16. Oktober 2008.

Haller-Spaziergänge durch die Stadt Bern.

Sonderausstellung im Historischen Museum Bern, 15. Oktober 2008 bis 29. März 2009.

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