Vor 10 Jahren: Das Ende des «Needle Park»
Am 5. Februar 1992 hat Zürich die offene Drogenszene am Platzspitz aufgelöst.
Drogen-Hilfsorganisationen und Kulturschaffende haben am Montag der Schliessung des Zürcher Platzspitzes vor 10 Jahren gedacht. Sie erinnerten daran, dass das Drogenproblem trotz grosser Fortschritte bei der Drogenhilfe weiterbestehe.
Die heute vornehme, nach historischem Vorbild rekonstruierte Gartenanlage hinter dem Landesmuseum war vor zehn Jahren schmutziges Symbol des Schweizer Drogenelends. Die «offene Wunde Zürichs» war als «Needle Park» international in den Schlagzeilen.
Konzentriertes Elend
Im Jahr vor der Schliessung starben im Park zwischen Limmat und Sihl 21 Menschen am Konsum harter Drogen. 3600 Mal wurden 1991 im Platzspitz Drogenabhängige reanimiert, insgesamt fünf Millionen Fixerspritzen verteilt.
Das offene Zürcher Drogenelend mit bis zu 3000 Süchtigen aus der ganzen Schweiz war schon in den späten 80-er Jahren untragbar. Erst der (juristische) Schliessungs-Entscheid des Stadthalters als Aufsichtsbehörde erzwang aber schliesslich die Auflösung der Szene.
«Historische Wegmarke»
Die übereilte Schliessung geriet zum Flop – wurde aber zur «historischen Wegmarke», wie der damals als Polizeivorstand federführende Stadtrat Robert Neukomm heute festhält. Dass kurze Zeit nach der grossangelegten Polizeiaktion bis 1995 eine ähnlich grosse und noch brutalere offene Szene auf dem Lettenareal entstand, habe zum «Paradigmawechsel» in der Drogenpolitik geführt.
Ähnlich sieht dies heute der bereits damals verantwortliche kantonale Drogendelegierte Attilio Stoppa: Die Schweiz habe in den Jahren nach der Platzspitz-Schliessung realisiert, dass die überbordende offene Szene kein rein zürcherisches, sondern ein nationales Problem darstellte.
Zwang an den Runden Tisch
Am «Runden Tisch» sei nach der Hauruck-Schliessung des Platzspitzes mit Bund und Kantonen der Weg frei gemacht worden für eine neue Drogenpolitik. Erst dies habe ermöglicht, dass die Letten-Schliessung vom 14. Februar 1995 definitiv zum Verschwinden offener Drogenszenen in der Schweiz führte.
Die erschreckenden Fakten – im Jahr vor der Letten-Schliessung zählte die grösste Schweizer Stadt 90 Drogentote (2001 38) – machten laut Stoppa die drogenpolitischen Konzepte der Fachleute politisch mehrheitsfähig. An die Stelle der Bekämpfung von Feindbildern seien pragmatische Lösungen getreten.
Neue Gesetze angestossen
Stichworte der neuen Strategie waren Fixerräume, Heroinabgabe, Dezentralisierung der Drogenhilfe und die Vier-Säulen-Politik des Bundesrates. Sie anerkannte neu ausdrücklich die «Überlebenshilfe und Schadensverminderung», womit der Rahmen für Massnahmen wie die Heroinabgabe gesetzt war.
Konkret setzte sich drei Monate nach der Platzspitz-Schliessung die Stadt Zürich beim Bund mit der Forderung nach kontrollierter Heroinabgabe erstmals durch – ein Kleinversuch mit 50 Abhängigen (heute insgesamt 1200 Heroin-Abgabeplätze) konnte starten.
Gleichzeitig entstanden im Zug der Platzspitz-Räumung – ein paar Jahre nach Bern und Basel – auch in Zürich Konsumräume für Heroin. Und Gemeinden und Kantone mussten sich nach langen Widerständen auf wachsenden Druck aus Zürich hin selber um «ihre» abgewanderten Abhängigen kümmern. Mit der laufenden Revision des Betäubungsmittel-Gesetzes wird diese Politik zurzeit gesetzlich definitiv verankert.
Grosse Fortschritte
Für Daniel Meili von der Arbeitsgemeinschaft für risikoarmen Umgang mit Drogen haben die letzten zehn Jahre grosse Fortschritte gebracht. «Es ist wirklich viel besser», erklärt Meili gegenüber swissinfo. «Wir haben zahlreiche Fixer-Räume, wir haben ein grosses Methadon-Programm und wir können sogar kontrolliert Heroin abgeben.»
Als die Heroinabgabe 1994 eingeführt wurde, war sie sehr umstritten, erinnert sich Meili. Doch nachdem Studien gezeigt hatten, dass sich dank dieser Massnahme der Gesundheitszustand und die Stabilität der Süchtigen verbessert haben, zogen andere Regionen in der Schweiz nach.
Suchtproblem geblieben – besser im Griff
Zürich ist nach übereinstimmender Aussage von Fachleuten bis heute der grösste Handelsplatz harter Drogen geblieben und hat weiterhin die grösste «verdeckte» Szene. Die zahlreichen Hilfsstrukturen wurden denn auch kaum reduziert, und 350 Abhängige beziehen heute in Zürich das Heroin vom Staat.
Weitgehend verschwunden ist aber laut Erich Schönauer, beim Gesundheits-Departement für die niederschwellige Drogenhilfe zuständig, das Drogenelend. Ueli Locher bestätigt dies. Er war 1992 Drogenbeauftragter der Stadt Zürich und heute als Vizedirektor des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) nach wie vor mit Drogenfragen betraut.
Die Zahl der Drogenabhängigen ist zwar nicht kleiner geworden. Wie Anfang der 90-er Jahre geht man für die Schweiz von rund 30’000 Drogenabhängigen aus. Dank den neuen Ansätze seien aber heute mehr als doppelt so viele Süchtige (rund 20’000) integriert in Therapien oder Angebote wie Methadonabgabe oder Heroinprogramme.
swissinfo und Agenturen
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