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Warum die Schweiz im Abfallrecycling nicht Weltmeisterin ist

Aluminiumdosen und PET-Flaschen in Sammelsäcken
In der Schweiz werden 91% der Aluminiumverpackungen und 83% der PET-Flaschen rezykliert. Keystone / Salvatore Di Nolfi

Die Schweiz hat eine der höchsten Recyclingraten für Siedlungsabfälle in Europa – zumindest für Aluminium und Glas. Der meiste Kunststoff wird jedoch verbrannt. Eine neue Initiative will diese Lücke schliessen.

Haushalte und Kleingewerbe in der Schweiz produzieren jährlich rund sechs Millionen Tonnen Abfall. Das sind 671 Kilogramm Siedlungsabfälle pro Person im Jahr 2022 – eine der höchsten Quoten weltweit.

Etwas mehr als die Hälfte dieser Abfälle wird gemäss Bundesamt für Umwelt (Bafu) separat gesammelt und rezykliert. Dies ist einer der höchsten Anteile in Europa.

Der Rest der in der Schweiz anfallenden Abfälle, besonders der überwiegende Teil der Kunststoffe, landet hingegen in Kehrichtverbrennungsanlagen.

Die Kehrichtsackgebühr fördert das Recycling

Die Schweiz ist ein Pionierland im Recycling von Siedlungsabfällen. Die Einführung einer Kehrichtsackgebühr seit den 1990er-Jahren hat das Recycling in der Bevölkerung gefördert.

«Das getrennte Sammeln ist zu einer starken gesellschaftlichen Norm geworden», sagt Jasmine Voide, Leiterin Projekte Kreislaufwirtschaft beim Dachverband Swiss Recycle. Die gesammelte und getrennte Abfallmenge pro Kopf habe sich in 30 Jahren verdoppelt.

Heute werden in der Schweiz 52% der Siedlungsabfälle rezykliert und kompostiert. Spitzenreiter in Europa sind Slowenien, Deutschland und Österreich mit Quoten von über 60%. Auch Italien liegt mit einer Recyclingquote von fast 57% über dem europäischen Durchschnitt von 46%.

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In der Schweiz werden 97 von 100 Glasflaschen rezykliert

Die Recyclingquote ist noch höher, wenn die verschiedenen Materialien getrennt betrachtet werden. Papier und Karton werden in der Schweiz zu 80% wiederverwertet.

Bei PET-Getränkeflaschen aus Kunststoff sind es 83% und bei Aluverpackungen 91%. Bei Glas ist es sogar noch mehr: Von 100 verkauften Flaschen oder anderen Glasbehältern werden 97 rezykliert.

Finanziert wird das Recycling durch eine «Entsorgungsgebühr», die bereits im Kaufpreis enthalten ist. Sie beträgt zum Beispiel für eine PET-Getränkeflasche 1,8 Rappen.

So konnte ein geschlossener Kreislauf geschaffen werden, in dem die Flaschen in der Schweiz gesammelt, sortiert und rezykliert werden, sagt Voide. «Wir konnten PET- und Aludosen von Anfang an verwerten, was anderswo nicht gemacht wurde.»

In Deutschland, den Niederlanden und den skandinavischen Ländern hingegen ist das Pfandsystem weit verbreitet. Beim Kauf einer Wasserflasche oder Bierdose aus Kunststoff wird ein Aufschlag von 10 bis 25 Cents erhoben, der bei Rückgabe des leeren Behälters zurückbezahlt wird.

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Aus Abfall wird Wärme und Strom

Was ist mit der anderen Hälfte der Siedlungsabfälle, die im Kehrichtsack landen? Mehr als 20% davon könnten rezykliert werden, wie die jüngste Bafu-Studie zeigtExterner Link, die alle zehn Jahre den Inhalt von Kehrichtsäcken in der Schweiz analysiert. Das Recyclingpotenzial ist also gross.

In der Schweiz landen Siedlungsabfälle, die in Containern gesammelt werden, nie auf Deponien. Das ist seit 2000 verboten. Lebensmittelreste, Verbundstoffe, Verpackungen und andere Haushaltsabfälle werden in Kehrichtverbrennungsanlagen verbrannt.

Die bei der Verbrennung entstehende Wärme wird in Fernwärmenetze eingespeist oder zur Stromerzeugung genutzt.

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Kunststoffe grösstenteils verbrannt

Diese Zahlen geben jedoch nur einen Teil des Gesamtbilds wieder. In Wirklichkeit gibt es – besonders im Bereich Kunststoff-Recycling – noch viel Raum für Verbesserungen.

Laut Oceancare, einer internationalen Organisation mit Sitz in der Schweiz, die sich für ein globales Abkommen zur Eindämmung der Plastikverschmutzung einsetzt, gehört der Pro-Kopf-Verbrauch von Plastik in der Schweiz zu den höchsten der WeltExterner Link.

Die Schweiz rezykliert weniger als 10% der 790’000 Tonnen PlastikabfälleExterner Link, die jedes Jahr aus Haushalten, Landwirtschaft und Industrie im Inland anfallen. Mehr als 85% der Kunststoffe werden in Kehrichtverbrennungsanlagen zusammen mit Siedlungsabfällen oder in Zementfabriken verbrannt.

Dies hat zur Folge, dass noch mehr Kunststoffe produziert werden müssen, um den steigenden Bedarf zu decken. Was bedeutet, dass weiterhin fossile Brennstoffe gefördert werden – Kunststoffe werden aus Erdöl und Methan hergestellt – und somit mehr Emissionen entstehen. Ausserdem landet ein Teil des Plastikmülls in der Umwelt und verschmutzt Seen und Flüsse.

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«Die Schweiz ist im Kampf gegen Plastikmüll das Schlusslicht in Europa», sagt Fabienne McLellan, Direktorin von Oceancare. Laut einem Bericht des Branchenverbands Plastic Europe rezykliert die Schweiz 28% ihrer Kunststoffverpackungen.

Das ist viel weniger als in Deutschland, Spanien und Norwegen (über 40%) oder in Italien, Österreich und Grossbritannien (über 30%).

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Warum ist die Kunststoff-Recyclingquote in der Schweiz so niedrig?

Das Recycling von Kunststoffen ist nicht einfach. Es handelt sich um ein sehr vielfältiges Material – zum Beispiel Polyethylen in Lebensmittelfolien und -schalen, Polystyrol in Joghurtbechern, Polypropylen in Flaschenverschlüssen.

Zudem bestehen Alltagsgegenstände oft aus verschiedenen Kunststoffen. Chemische Zusätze oder Farbstoffe erschweren das Recycling zusätzlich.

In der Schweiz wird für Kunststoffe keine Entsorgungsgebühr erhoben, wie dies bei Glas oder PET-Flaschen der Fall ist. Diese sind zwar auch Kunststoffe, entsprechen aber internationalen Produktionsstandards, die ein Recycling ermöglichen.

Es gibt auch keine gesetzliche Verpflichtung zum Recycling von Kunststoffen und kein flächendeckendes Recyclingsystem.

Plastikverpackungen
Kunststoff gibt es in verschiedenen Formen, deshalb ist es schwierig, ihn zu rezyklieren. Keystone / Christian Beutler

Die Initiative liegt bei den Gemeinden und der Privatwirtschaft. So hat der Verband Schweizer Kunststoff-Recycler in mehreren Gemeinden Sammelstellen eingerichtet. Im Jahr 2022 sammelte er rund 9500 Tonnen Lebensmittelverpackungen, Waschmittelflaschen und andere Kunststoffabfälle. Rund die Hälfte davon wurde rezykliert.

«Kunststoff.swiss», die Interessenvertretung der Schweizer Kunststoffindustrie, sieht das Problem nicht beim Sammeln, sondern im nächsten Schritt.

Die Schweiz verfüge nicht über genügend Trenn- und Recyclingkapazitäten, um alles zu verarbeiten, was gesammelt werde, sagt Patrick Semadeni, Vizepräsident von «Kunststoff.swiss».

Heute wird ein Grossteil der in der Schweiz gesammelten Kunststoffe in Anlagen in Deutschland, Österreich und Italien verarbeitet.

Dies könnte sich jedoch bald ändern, nicht zuletzt aufgrund einer vom Parlament angenommenen MotionExterner Link, welche die Schweiz auffordert, mehr Kunststoffe zu rezyklieren.

Die Regierung wurde beauftragt, auf dem Verordnungsweg die notwendigen Massnahmen zu ergreifen, damit die verwertbaren Fraktionen der Kunststoffabfälle landesweit getrennt gesammelt werden können.

Ein nationales Sammelsystem für Kunststoffe

Der Ende 2023 gegründete Verein «RecyPac» will mit einem schweizweit einheitlichen Sammelsystem eine Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe aufbauen.

Ziel ist es, die gesamte Kette von der Produktionsfirma – die aufgerufen ist, Kunststoffverpackungen rezyklierbar zu gestalten – bis zum Recyclingunternehmen einzubeziehen. Unterstützt wird «RecyPac» von Schweizer Grossverteilern und grossen Lebensmittelherstellern wie Nestlé und Unilever.

Ziel der Initiative ist es, grosse Mengen an wiederverwertbaren Kunststoffen zu sammeln – eine Voraussetzung dafür, dass Recycling technisch und wirtschaftlich sinnvoll ist.

Kreislaufwirtschafts-Expertin Voide ist überzeugt, dass ein national harmonisiertes System und die Garantie, dass genügend Kunststoff vorhanden ist, die Industrie in der Schweiz dazu bewegen wird, in Recyclinganlagen zu investieren.

Ziel von «RecyPac» ist, die Sammelmengen zu verzehnfachen und bis 2030 eine Recyclingquote von 55% bei Kunststoffverpackungen und 70% bei Getränkekartons (Tetrapaks) zu erreichen. Die Sammlung soll noch in diesem Jahr beginnen. «In Zukunft werden wir genau wissen, was mit dem Plastik passiert», sagt Voide.

Editiert von Sabrina Weiss, Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub

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