Welterbe als fragile Tourismusmagneten
Fünf Orte in der Schweiz stehen auf der UNESCO-Welterbe-Liste. Sie profitieren wegen dieses Gütesiegels vom Tourismus.
Doch die Anerkennung als Welt-Kulturerbe birgt auch Schattenseiten. Es besteht die Gefahr der Übernutzung fragiler Denkmäler.
«Die Anerkennung als Weltkulturerbe war für uns absolut entscheidend», frohlockt Franco Ruinelli, Direktor von Bellinzona Tourismus. Seit 2000 darf sich die Tessiner Kantonshauptstadt beziehungsweise ihre drei mittelalterlichen Burgen mit dem Label «UNESCO World Heritage» schmücken.
Der Besucherstrom ist prompt angeschwollen. Selbst an den Autobahnausfahrten prangen inzwischen Schilder, die auf diese Besonderheit Bellinzonas hinweisen.
Ähnlich euphorisch wie aus dem Tessin tönt es aus allen Schweizer Orten, die als Welterbe anerkannt sind. Es handelt sich um die Berner Altstadt, den St.Galler Stiftsbezirk und das kleine Kloster Müstair in Graubünden hinter dem Ofenpass, die alle bereits vor 20 Jahren in die Liste aufgenommen wurden.
Das Gebiet Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn fand im Jahr 2001als erstes Weltnaturerbe der Schweiz die Anerkennung des UNESCO-Komitees.
UNESCO-Label wertet auf
Die reine Aufnahme auf die Liste hat jedoch noch keine Auswirkungen. «Am Anfang war das Label kaum bekannt», erinnert sich Raimond Gertschen, Direktor von Bern Tourismus. Erst in den letzten Jahren habe das Siegel eine Aufwertung erfahren.
Dies bestätigt der Kunsthistoriker Jürg Goll, der das Klostermuseum von Müstair im Nebenjob leitet. Müstair profitiere insbesondere von einem wachsenden Interesse der Italiener.
Bern nutzt seinerseits das Label Welterbe sehr bewusst. «Die Stadt mit dem vielbesuchten Bärengraben rückt dank der Auszeichnung der UNESCO als Welterbe in eine Reihe mit Rom, den ägyptischen Pyramiden oder dem Taj Mahal», heisst es auf der Homepage von Bern Tourismus.
St. Gallen ist da zurückhaltender. Auf der Homepage des Verkehrsvereins ist vom UNESCO-Label nichts zu sehen. Man habe die Entwicklung in den letzten 20 Jahren etwas verschlafen, räumte der Direktor von St.Gallen – Bodensee Tourismus, Alberto Vonaesch, kürzlich in der NZZ ein. In diesem Sommer soll das Welterbe an der Autobahn erstmals signalisiert werden.
Touristisches Potenzial
Das touristische Potenzial der Welterbestätten ist erkannt. Deshalb haben sich die fünf Schweizer Stätten in einer losen Arbeitsgemeinschaft verbunden, die von Raimond Gertschen koordiniert wird.
«Wir sind der Auffassung, dass man die Welterbe national mehr stossen sollte», sagt der Berner Tourismusdirektor mit Blick auf die intensiven Marketing-Anstrengungen der Welterbe-Stätten im Nachbarland Deutschland.
Bereits träumt er von einem «Themenweg Welterbe Schweiz», auch wenn er bedauert, dass die französische Schweiz noch über kein eigene Stätte verfügt. Die Welterbestätten können Reisenden seiner Meinung nach Orientierung geben.
Schweiz Tourismus (ST) ist gleicher Ansicht. «Die Entdeckung interessanter Kulturstätten ist heute enorm wichtig», betont Eva Brechtbühl, Mitglied der ST-Geschäftsleitung. Sie macht zudem auf den enormen Werbeeffekt durch die Medienberichterstattung aufmerksam.
Über das Weltnaturerbe Aletsch seien etliche Artikel und Berichte in der in- und ausländischen Presse erschienen. Brechtbühl wünscht sich, dass noch weitere Welterbe hinzu kommen.
Dossier San Giorgio
Am weitesten fortgeschritten ist im Moment die Prozedur für die Aufnahme des Südtessiner Fossilienbergs Monte San Giorgio als Weltnaturerbe. Gerade das Dossier San Giorgio zeigt jedoch die Probleme auf, die mit der Anerkennung als Welterbe verbunden sein können.
Die bisherigen Entwicklungspläne lassen dort bisher keine vernünftigen Lösungen erkennen, wie der zu erwartende Ansturm an Besuchern mit einer nachhaltigen und umweltverträglichen Entwicklung des Berggebiets vereinbar ist.
Dabei ist ein Gleichgewicht zwischen touristischer Nutzung und Erhaltung der Welterbestätten heute Voraussetzung für die Anerkennung. «Wir brauchen Garantien, dass die touristische Nutzung kein Faktor für die Zerstörung der Denkmäler wird», sagt Francesca Gemnetti, Präsidentin des Schweizerischen UNESCO-Komitees.
Touristischen Ansturm vermeiden…
Dass es zu Konflikten zwischen dem Ansturm an Besuchern und den Folgen ihrer Präsenz kommen kann, bezeugt Jürg Goll aus dem kleinen Müstair. «Wenn die Leute carweise anrollen wie am italienischen Feiertag Ferragosto (15. August), wird es problematisch», berichtet er. Bisher handle es sich aber um absolute Ausnahmen.
Trotzdem wird vorgesorgt. Im renovierten Museum des Klosters, das am 13.Juli eröffnet wird und durch die Kirche erreicht wird, dürfen sich gleichzeitig nur 25 Besucher aufhalten.
Wie bei keinem anderen Schweizer Welterbe wird in Müstair das Dilemma zwischen den Vor- und Nachteilen touristischer Nutzung deutlich. Denn mit dem Eintritt ins Kloster haben sich die dortigen Schwestern zu einem Leben in Klausur entschieden. Diese Suche nach Abgeschiedenheit kontrastiert klar mit dem touristischen Rummel.
Bei der UNESCO ist man sich der problematischen Wechselbeziehung bewusst, da die Aufnahme in die Welterbe-Liste immer auch die Entwicklung des Tourismus-Potentials bedeutet. Es wächst der Druck einer Überentwicklung und der mögliche Missbrauch von fragilen historischen Stätten und Zeugen alter Kultur.
…und nachhaltigen Tourismus fördern
In Tagungen und Konferenzen wird daher darauf hingearbeitet, einen kulturverträglichen und nachhaltigen Tourismus zu entwickeln. Im März fand auf der Insel Reichenau im Bodensee – selbst seit dem Jahr 2000 Welterbe – eine Tagung unter dem Titel «UNESCO-Welterbe: Lust und Last?» statt, welche die Vor- und Nachteile der touristischen Nutzung von Welterben thematisierte.
Der Tagungsort war kein Zufall. Es wurde unter anderem aufgezeigt, wie der Besucherstrom in den letzten Jahren dem Innenraum der Kirche St.Georg stark zugesetzt hat.
swissinfo, Gerhard Lob
Sollte der Monte San Giorgio ins UNESCO-Welterbe aufgenommen werden, wächst die Zahl der Schweizer Welterbe-Stätten auf sechs an.
Der Stift St. Gallen, die Altstadt von Bern und das Kloster von Müstair (GR) stehen seit 1983 auf der World Heritage List.
Bellinzona mit seinen Burganlagen folgte 2000, das Aletsch-Gebiet 2001.
Für die Weltnaturerbeliste wird es aus Schweizer Sicht noch zu einer Kandidatur der Glarner Hauptüberschiebung kommen.
Sinn der Welterbeliste ist es, künftigen Generationen die Schätze der Vergangenheit zu sichern und sich für ihren Schutz einzusetzen.
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