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Wie KI die Berufswahl junger Menschen beeinflusst

Ein Maurer bei der Arbeit
Manuelle Tätigkeiten wie Maurer- oder Zimmermannarbeiten sind weniger gefährdet, durch generative künstliche Intelligenz ersetzt zu werden. Swissskills / Michael Zanghellini

Die Automatisierung von Abläufen und der Boom von Künstlicher Intelligenz verändern das Berufsleben rasant – in der Schweiz und in der ganzen Welt. Das hat einen Einfluss auf die Berufswahl junger Menschen und auf das Bildungssystem, besonders bei Berufen mit Berufslehre.

Instrumente der Künstlichen Intelligenz (KI) wie ChatGPT haben die Arbeitswelt verändert. Dank intelligenter Maschinen lassen sich menschliche Fähigkeiten imitieren.

So ist es möglich, aus einfachen Beschreibungen realistische Bilder zu erstellen, lange Texte in Sekundenschnelle zusammenzufassen oder mit wenigen Vorgaben ganze Marketingkampagnen zu entwerfen.

Gerade für die Beschäftigten in der Kreativbranche bedeutet das rasche Wachstum der generativen KI, die Inhalte wie Texte, Bilder, Musik, Audio und Video herstellen kann, häufig niedrigere Löhne oder in einigen Fällen auch den Verlust des eigenen Arbeitsplatzes.

Das hat SWI swissinfo.ch im Artikel «Wie sich KI auf den Schweizer Arbeitsmarkt auswirkt» aufgezeigt.

Für die jüngere Generation von Absolvierenden der Sekundarschule ist diese Entwicklung inzwischen von Bedeutung, wenn es um ihre Berufs- oder Ausbildungswahl geht.

Diejenigen, die sich für eine Berufsausbildung entscheiden – rund zwei Drittel aller Schweizer Schüler:innen –, suchen zunehmend nach Berufen, bei denen eine Anwendung von KI in Zukunft weniger wahrscheinlich ist.

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«Seit der Einführung von ChatGPT beobachten wir einen deutlichen Rückgang des Interesses an früher beliebten Lehrberufen, etwa in der Verwaltungsbranche. Hingegen steigt das Interesse an handwerklichen Berufen wie Maurer oder Maurerin», sagt Daniel Goller von der Universität Bern.

Er ist Hauptautor einer kürzlich durchgeführten Studie zu diesem ThemaExterner Link. Ausgewertet wurde das Suchverhalten auf einer Internet-Plattform zu Lehrberufen.

Berufe mit manuellen Tätigkeiten galten lange als besonders gefährdet, durch Maschinen ersetzt werden zu können. Generative KI kann jedoch beispielsweise keine Maurerarbeiten ausführen.

Auch Berufe, die Einfühlungsvermögen und menschliche Nähe erfordern, lassen sich kaum automatisieren und werden auch in einer Welt mit mehr KI unverzichtbar bleiben. Zu denken ist etwa an das Pflegepersonal, Therapiekräfte oder Lehrpersonen.

Eine internationale Umfrage des Beratungsunternehmens DeloitteExterner Link ergab, dass sechs von zehn jungen Menschen der Generationen Z und Millennials (geboren zwischen 1981 und 2012) von einer Umschulung ausgehen, um Fähigkeiten zu erwerben, die nicht so einfach durch Automatisierung oder KI ersetzt werden können. Sie erwarten, dass diese Berufe zunehmend gefragt sein werden.

Stellenausschreibungen für Junior-Positionen, bei denen Kenntnisse im Bereich KI, soziale Kompetenz und Managementfähigkeiten gefragt sind, sind im vergangenen Jahr weltweit um 91% gestiegen.

Dieser Trend zeigt sich gemäss dem Arbeitsmarktanalyse-Unternehmen Lightcast besonders in den Bereichen Bildung, Tourismus, IT und Finanzen.

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Ein Berufsbildungssystem wie in der Schweiz, das zu den besten der Welt gehört, muss mit dem rasanten technologischen Wandel Schritt halten, um die künftigen Arbeitnehmer:innen auf die Anforderungen eines zunehmend automatisierten Markts vorzubereiten.

Interesse an traditionellen Lehrberufen schwindet

Für Goller kommt das gewandelte Berufsinteresse der jungen Frauen und Männer gerade in der Schweiz nicht überraschend. In der Eidgenossenschaft beginnen die meisten Jungen und Mädchen nach der obligatorischen Schulzeit im Alter von 15 oder 16 Jahren eine Berufsausbildung, oft in Form einer kaufmännischen Lehre.

«Für Mädchen und Jungen im Teenageralter lohnt es sich nicht, drei Jahre ihres Lebens damit zu verbringen, einen Beruf zu erlernen, der durch KI ersetzt zu werden droht», sagt Goller.

Jugendliche können heute aus einer Palette von rund 240 unterschiedlichen Berufen auswählen. Seit ChatGPT verfügbar ist, haben Goller und seine Kollegen von der Universität Bern einen Rückgang des Interesses von Männern und Frauen an kaufmännischen Ausbildungen und Verwaltungsberufen um 18% festgestellt.

Weniger gefragt sind vor allem Berufe mit hohen kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten, die in Zukunft durch Instrumente wie ChatGPT ersetzt werden können.

Bei Berufen mit manuellen Fähigkeiten, die einst als hochgradig automatisierungsgefährdet galten, sank das Interesse hingegen nur um 3%.

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Diese Ergebnisse wurden durch die Analyse von Millionen von Suchanfragen auf Orientation.ch ermitteltExterner Link, der führenden Plattform für Lehrstellen in der Schweiz.

Für junge Menschen könnte es ein strategischer Schachzug sein, auf Berufe zu setzen, die weniger anfällig für die Automatisierung sind, wie etwa im Gesundheits- und Sozialwesen.

Die Nachfrage nach Fachkräften in diesen Branchen ist hoch und wird sich nach Angaben des Verbands der Schweizer Personaldienstleister SwissstaffingExterner Link in Zukunft verdoppeln.

«Eine gut durchdachte, zukunftsorientierte Berufswahl kann Lernende auf dem Arbeitsmarkt hervorragend positionieren», sagt Marius Osterfeld, Leiter für den Fachbereich Wirtschaft und Politik bei Swissstaffing.

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KI als Karrierechance

Obwohl viele junge Menschen, die in den Arbeitsmarkt eintreten, eine auf Automatisierung resistente Berufskarriere anstreben, sieht eine Mehrheit die Digitalisierung, einschliesslich der Künstlichen Intelligenz, eher als Chance denn als Bedrohung für die eigene Berufskarriere.

Nur ein Viertel der für das Nahtstellenbarometer 2024Externer Link befragten Jugendlichen glaubt, dass KI ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verringern wird. An der Umfrage waren 2000 junge Menschen und 3000 Unternehmen in der Schweiz beteiligt.

«Die Jugend sieht die Digitalisierung mit Optimismus und betrachtet KI als wichtiges Element für die Zukunft der Menschheit», sagt Martina Mousson, Politikwissenschaftlerin am Institut gfs.bern, das die Umfrage im Auftrag des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) durchgeführt hat.

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Die Umfrage zeigt aber auch, dass mehr als 40% der befragten Personen zwischen 14 und 17 Jahren befürchten, dass ihre Fähigkeiten durch die Digitalisierung irrelevant werden könnten.

Zudem zeigt sich ein ähnlicher Wandel in den Präferenzen, wie ihn auch die Universität Bern beobachtet: 2024 wird die Beliebtheit der Verwaltungslehre, die lange Zeit zu den gefragtesten Ausbildungen in der Schweiz gehörte, erstmals seit sechs Jahren deutlich sinken.

Gleichzeitig stiegen Berufe wie Coiffeuse / Coiffeur, Fachkraft im Gesundheitswesen und Dentalassistent:in in die Top Ten auf.

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Laut Mousson ist es noch zu früh, um endgültige Schlüsse aus dieser Erhebung zu ziehen: «Künstliche Intelligenz könnte diesen Rückgang beeinflusst haben. Aber diese These lässt sich bisher nicht definitiv beweisen – sie bleibt noch spekulativ.»

Auch der Kaufmännische Verband Schweiz argumentiertExterner Link, dass es noch keine ausreichenden Beweise dafür gebe, dass Instrumente wie ChatGPT die beruflichen Neigungen junger Menschen beeinflusst haben.

Offizielle Daten aus den Kantonen zeigenExterner Link, dass das Interesse an einer Berufsausbildung im kaufmännischen Bereich in den letzten 15 Jahren stabil geblieben ist.

Seit 2016 gab es einen leichten Rückgang (bis auf 0,9% pro Jahr), der auf den demografischen Wandel zurückzuführen ist. Allerdings stammt die jüngste dieser Statistiken aus dem Jahr 2022, also vor der Verbreitung der generativen KI.

Melinda Bangerter, Leiterin Ausbildung beim Kaufmännischen Verband Schweiz, ist indes überzeugt, dass Mitarbeitende in Funktionen, die technisches Verständnis und Kommunikation mit der Kundschaft erfordern, weiterhin unverzichtbar sein werden. Einige repetitive Tätigkeiten in diesem Berufsfeld – etwa in der Buchhaltung – seien hingegen automatisiert worden.

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Ein KI-resistentes System

Die Schweizer Regierung hat bereits Schritte unternommen, um die Ausbildung auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts abzustimmen. So wurde die kaufmännische Grundbildung auf Lehrbeginn 2023 reformiertExterner Link, um die digitalen Kompetenzen und den Einsatz von KI zu stärken.

Die Reform zielte auch darauf ab, so genannte weiche Kompetenzen wie Kreativität, Problemlösung und zwischenmenschliche Kommunikation besser zu integrieren.

Alle jungen Männer und Frauen in der Ausbildung müssen zwei Fremdsprachen lernen. Zudem werden die Berufsbildungsprogramme in der Regel alle fünf Jahre in Zusammenarbeit mit Berufsverbänden und Arbeitgebenden überprüft.

Dank dieser Anpassungen könnte sich das Schweizer System für Lernende als widerstandsfähiger gegenüber KI-bedingten Veränderungen erweisen als in Ländern wie Italien, Frankreich oder Spanien, wo die Jugendarbeitslosigkeit über 10% liegt und die Berufsbildungsprogramme weniger stark entwickelt sind.

Bisher ist es dem Schweizer Bildungssystem gelungen, sich an revolutionäre Technologien wie das Internet und Krisen wie die Covid-19-Pandemie anzupassen. «Selbst dann hat sich das, was junge Menschen tun und lernen wollten, nicht wesentlich verändert», sagt Mousson.

Daniel Goller von der Universität Bern ist optimistisch. Trotz der Risiken ist er zuversichtlich, dass generative KI die Jobchancen der Schweizer Jugend nicht wesentlich beeinträchtigen wird.

«Das Schweizer Berufsbildungssystem ist gut auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Unternehmen ausgerichtet», sagt er. «Das System wird in der Lage sein, die zukünftigen Herausforderungen zu meistern.»

Editiert von Sabrina Weiss und Veronica De Vore, Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob

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