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Zivildienst aus Prinzip

Hände weg vom Gewehr - das sagen sich jedes Jahr über 1000 junge Männer, die sich für den Zivildienst entscheiden. Keystone

Jedes Jahr weigern sich über Tausend Militärdienstpflichtige, das Gewehr zu schultern und in die graugrüne Uniform zu steigen. Sie ziehen es vor, Zivildienst zu leisten.

Junge Männer, die aus Gewissensgründen keinen Militärdienst leisten, haben verschiedene Alternativen – zum Beispiel Menschen in Schwierigkeiten Hilfe leisten.

Die 17-jährige Paula* ist betrübt. Sie hat keine Lust zu sprechen, grüsst nicht. Die extrovertierte und temperamentvolle Südamerikanerin umgibt ein Hauch von Traurigkeit.

Ihre Zimmernachbarin, die mit ihr an einem kantonalen Spezialprogramm für die berufliche und soziale Integration teilgenommen hat, ist nicht ins Jugendheim «La Scala» in Bellinzona zurückgekehrt. Sie wurde in ein anderes Institut verlegt. Sie hat Tabletten geschluckt. Vielleicht um dem Leben endgültig ein Ende zu setzen. Vielleicht war es auch einfach ein Hilfeschrei.

Eintauchen in den Heimalltag

Auch die Sozialarbeiter des Programms «La Scala», die die Jungen auf dem Weg ins Berufsleben und in die Selbständigkeit begleiten, sind erschüttert. Sie zeigen grossen Einsatz und leisten Überstunden. Doch sie sind keine Psychologen, können unmöglich alle Probleme der «verhaltensauffälligen» Jugendlichen lösen.

«Wir haben von der Invalidenversicherung den Auftrag, die Jugendlichen beim Einstieg ins Berufsleben zu unterstützen. Alles können wir jedoch nicht machen, sonst brechen wir zusammen», sagt ein Angestellter gegenüber swissinfo.

Mit dieser Realität wurde auch Giona konfrontiert. Er ist für fünf Monate in den Heimalltag eingetaucht. Ein Alltag, der aus Stress, Spannungen, unvorhersehbaren Ereignissen besteht. Ein Alltag, der für Giona jedoch auch voller Bereicherung und menschlicher Begegnungen war.

Bei der Aushebung hat er den Zivildienst dem Gewehr vorgezogen. «Das Militär verstösst gegen meine Ideologien und Prinzipien.» Der Zivildienst sei nicht nur eine Lebenserfahrung gewesen, sondern habe ihm auch ermöglicht, seine Psychologie-Ausbildung mit Praxis zu ergänzen.

15’000 Soldaten ohne Uniform

Im Jahr 2006 sind 1752 Zivildienst-Gesuche eingegangen, das sind 5,5% Gesuche mehr als im Vorjahr. Wie all jene jungen Männer, die diesen Weg wählten, musste sich auch Giona an eines der Zivilidienst-Regionalzentren wenden.

«Die Zivildienstleistenden teilen eine gewisse philosophische, manchmal auch religiöse Einstellung, was den Umgang mit Konflikten betrifft», sagt Fabrizio Lanzi, Leiter des Tessiner Zivildienst-Regionalzentrums in Rivera. So würden sie sich beispielsweise weigern, eine Waffe zu tragen. «Sie haben eine pazifistische Ideologie.»

Am meisten gefragt seien Zivildiensteinsätze im sozialen Bereich, die Pflege von kranken oder behinderten Menschen, sowie im Umweltschutz.

Im Jahr 1996 trat das Zivildienstgesetz in Kraft. Seither haben rund 15’000 Personen insgesamt 2,25 Millionen Tage Zivildienst geleistet.

Von 1996 bis 2002 habe die Anzahl Zivildienstleistender gesamtschweizerisch kontinuierlich zugenommen, so Lanzi. Der darauffolgende Rückgang sei teilweise auf die Verkleinerung des Heers zurückzuführen, die von der Armeereform XXI angestrebt wird. Denn: Wer nicht militärdiensttauglich ist, kann in der Schweiz keinen Zivildienst leisten (siehe rechts).

Das Geheimnis des Avocado-Dips

In der Küche des Jugendheims herrscht Hochbetrieb. Die Einweihungsfeier des Jugendheims, das Anfang Jahr ein neues Gebäude bezogen hat, nähert sich. Bis dahin gilt es noch Pizzen, Snacks, Torten und Getränke für die Besucherinnen und Besucher vorzubereiten.

Paulas Gesicht hellt sich auf, sie strotzt wieder vor Energie. Eine Avocado in der Hand, verrät sie das Geheimnis des Guacamole, des mexikanischen Avocado-Dips: einfach Essig statt Zitronensaft verwenden. Fabienne*, das obligate Piratentuch auf dem Kopf, ist mit dem Schälen von Kartoffeln und Karotten beschäftigt. Marco* wäscht Tomaten, wobei mehr im Mund als auf dem Teller landen.

Für einen Moment sind das persönliche Leid, die Familienkonflikte und die Beziehungsprobleme vergessen. Giona: «Im Zivildienst wurde ich mit einer dramatischen Realität konfrontiert, von der ich bis zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung hatte – obwohl es sie gibt, gleich vor der Haustür.»

*Namen von der Redaktion geändert

swissinfo, Luigi Jorio, Bellinzona
(Übertragung aus dem Italienischen: Corinne Buchser)

Von 1996 bis 2006 haben über 15’000 Personen Zivildienst geleistet.
2006 gingen 1752 Zivildienst-Gesuche ein (5,5% mehr als 2005).

Wer rekrutiert wurde, aus Gewissensgründen jedoch keinen Militärdienst leisten will, kann ein Gesuch um Zulassung zum Zivildienst stellen.

Die Bundesverfassung sieht diese Möglichkeit seit 1992 vor. 1996 trat schliesslich das Zivildienstgesetz in Kraft.

Der Zivildienst dauert eineinhalb mal so lange wie der Militärdienst.

In zahlreichen europäischen Ländern wie Frankreich, Italien, Spanien, die keine allgemeine Wehrpflicht mehr kennen, kann auch freiwillig Zivildienst geleistet werden.

Das Zulassungsverfahren zum Zivildienst wird seit längerem kritisiert.

Eine parlamentarische Motion verlangt unter anderem, dass das Zulassungsverfahren den Tatbeweis berücksichtigt.

Der Bundesrat trägt dem Rechnung und schickte zur Revision des Zivildienstgesetzes Ende Juni drei Varianten in die Vernehmlassung.

Mit der Revision des Zulassungsverfahrens sind jährliche Einsparungen von rund 4 Mio. Franken zu erwarten.

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