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Arabische Medienwelt reagiert auf Minarettverbot

Swiss embassy Reuters

Das Ja zum Minarettverbot hat in der arabischen Welt unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Vom Aufruf zu Sanktionen reicht die Spanne bis zu Selbstkritik, wie ein Blick in arabische Medien zeigt.

«Schande», «Holocaust», «Islamfeindlichkeit», «Erniedrigung»….: Seit dem Ja des Schweizer Stimmvolkes vom 29. November gehören diese Ausdrücke zum Repertoire arabischer Medien, wenn sie den Bann von Minaretten kommentieren.

Viele Kolumnisten haben sich gefragt, was die Schweizer dazu bewogen haben könnte, gegen den Bau von weiteren Minaretten zu stimmen. Thema ist auch die Frage nach den Folgen des Votums. Dieses mache aus der Schweiz ein Land, auf das mit dem Finger gezeigt werde.

«Muslime bedroht»

Die Katarer Tageszeitung Al Raya zeigte sich erstaunt über den Entscheid in einem Land, das bekannt sei für seine Meinungsfreiheit und seine demokratischen Prinzipien.

Die tunesische Tageszeitung Al Sabah konstatierte: «Die Stigmatisierung des Islam im Westen ist nicht mehr nur eine Frage der simplen medialen Provokation. Sie bedroht nun wirklich die muslimische Minderheit.»

Die in London erscheinende Al-Quods-Al-Arabi bemerkte: «Wenn sogar die reiche, gut ausgebildete und neutrale Schweiz in düstere Islamophobie abgleitet, kann man auch gewisse andere europäische Länder nicht mehr rügen, die sich zögerlich zeigen, weil sie unter der Finanz- und Beschäftigungskrise stöhnen.»

«Warum nur hassen sie uns?»

«Warum hassen sie uns, und was steckt hinter dem Minarettverbot?», fragte sich die jordanische Zeitung Al Dastour. Das Verbot zeige das Erstarken der extremen Rechten in Europa. Dieses wiederum sieht der Kommentator als Resultat einer von politischen Instanzen und westlichen Medien geführten Kampagne gegen den Islam seit den Anschlägen vom 11. September 2001.

Die Kuweiter Tageszeitung Al-Watan meinte, der Entscheid zeuge von einer «Regression der europäischen Mentalität, von einem Rückfall ins Mittelalter und dem Wunsch, Andersdenkende zu beseitigen».

Für den Kolumnisten der ägyptischen Al Ahram bringt alles, was über die schleichende Islamisierung und die Anwendung der Scharia gesagt werde, Wahnvorstellungen hervor.

Auch das algerische Blatt Al Shourouq findet keine schmeichelnden Worte. Der Artikel mit dem Titel «Vier Minarette bringen die Schweiz ins Wanken und von der Neutralität ab» schiebt die Verantwortung des Beschlusses der Regierung zu. Sie habe es zugelassen, dass diese Volksinitiative vor das Volk gekommen sei.

Immerhin spricht Al Shourouq auch die Muslime in der Schweiz nicht ganz frei vor jeglicher Verantwortung, denn sie hätten es nicht geschafft, ihre Stimme zu erheben.

«Warum sind wir verärgert?»

Scharfe Töne schlägt die palästinensische Zeitung Dounia Al Watan an. Sie empfiehlt vermögenden Arabern, ihre Guthaben aus der Schweiz abzuziehen. Auch andere riefen zu Sanktionen oder gar Boykotten gegen die Schweiz auf.

Die ägyptische Al Dastour vergleicht die Islamophobie mit dem Antisemitismus und erinnert daran, wie sich die Judenfeindlichkeit der Deutschen im Dritten Reich zunehmend ausgeweitet und schliesslich in den Holocaust geführt hatte.

Aufruf zum Dialog

Gemässigtere Worte sind auf der in London beheimateten Internetseite Ilaf zu lesen. Ist das Schweizer Minarettverbot nicht die Folge des negativen Bildes, das die Moslems in ihren Herkunftsländern den westlichen Ländern vermittelten, fragt sich der Schreibende.

Al-Itihad aus den Emiraten rät, ein demokratisches und souveränes Land nicht zu beleidigen, das frei entscheiden könne, ob und welche Massnahme es ergreife. «Kann man der Schweiz vorwerfen, dass sie sich um ihr Christentum fürchtet?», lautet die Frage.

Al-Alam aus Marokko erinnert daran, dass der Volksentscheid in der Schweiz den Dialog zwischen den Religionen keineswegs in Frage stelle. Genau dieser interreligiöse Dialog sei ein Instrument gegen die Islamophobie, betont Al-Watan.

Abdelhafidh Abdeleli, swissinfo.ch
(Übersetzung aus dem Arabischen: Ghania Adamo)

Schweizer Banken fürchten nach dem Ja zum Minarettverbot Retorsionsmassnahmen aus der arabischen Welt.

Urs Roth, Geschäftsführer der Schweizerischen Bankiervereinigung, zeigte sich letzte Woche in Brüssel besorgt.

Niemand könne die Entwicklung voraussagen, so Roth.

Im Vordergrund der Befürchtungen stehen Rückzüge von Vermögen reicher Araber von Schweizer Bankkonten.

In der Schweiz gibt es vier Minarette. Sie dürfen auch nach dem Verbot stehen bleiben.

Die Gebetstürme stehen in Genf, Winterthur, Zürich und in Wangen bei Olten.

Gemäss einer von der Ausländerkommission veröffentlichten Studie bestehen in der Schweiz rund 130 muslimische Kulturzentren und Gebetsstätten.

Die meisten dieser Stätten sind in gewöhnlichen Wohnungen oder Gebäuden untergebracht.

In der Schweiz leben rund 400’000 Moslems, sie machen ca. 4,5 Prozent der Bevölkerung in der aus.

Die Mehrheit von ihnen stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien sowie der Türkei.

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