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Beginn einer Polarisierung in der Schweiz?

Postangestellte und Gewerkschafter blockierten am Donnerstag früh ein Paket-Verteilzentrum in Solothurn. Keystone

Mit den Arbeits-Konflikten bei der Post und Swissmetal verzeichnet die Schweiz zwei Proteste von unüblicher Grösse. Bewegt sich das Land in Richtung Polarisation?

Der Publizist Beat Kappeler und Unia-Kopräsident Vasco Pedrina äussern dazu gegenüber swissinfo ihre gegensätzlichen Einschätzungen.

Ursprünglich selbst Gewerkschaftssekretär, publiziert Beat Kappeler heute in der «NZZ am Sonntag» und in der Westschweizer Tageszeitung «Le Temps».

Vasco Pedrina hat diesen Herbst die Führung der fusionierten Grossgewerkschaft Unia übernommen.

Die Ansichten der beiden zu den Konflikten der Post und bei Swissmetal gehen auseinander. Und zwar recht stark.

swissinfo: Bei der Post und bei Swissmetal stellt die Belegschaft offen Entscheide des Managements in Frage. Dies ist für unser Land eine sehr ungewöhnliche Situation. Sehen Sie Ähnlichkeiten in beiden Fällen?

Beat Kappeler: Ja, in dem Sinn, dass in beiden Fällen die Gesamtarbeitsverträge gebrochen worden sind. Und in der Schweiz basiert der Arbeitsfrieden auf diesen Gesamtarbeitsverträgen (GAV).

Im Fall der Post soll die Gewerkschaft laut gewissen Verantwortlichen des Unternehmens nicht aufrichtig sein. Die Gewerkschaftsvertreter würden gegen aussen andere Positionen vertreten als jene, die den Post-Verantwortlichen vorgebracht und mit ihnen diskutiert worden seien.

Bei beiden Unternehmen lehnen sich die Mitarbeitenden gegen die Strategien der Führung auf. Das ist schon sehr ungewöhnlich.

Wenn die Gewerkschaften die Richtung der Entscheidungen beeinflussen möchten, sollten sie auch die damit einhergehende Verantwortung übernehmen.

Das aber tun sie weder gegenüber ihren Gewerkschafts-Mitgliedern noch innerhalb der betroffenen Unternehmen.

Vasco Pedrina: Ich glaube, dass beide Fälle Parallelen aufweisen. Bei beiden Konflikten geht es um eine Arbeitgeber-Politik, die sehr hart ist, und gegen die sich die Mitarbeitenden wehren.

Im Fall von Swissmetal wurde eine Restrukturierungspolitik gemacht, ohne der Belegschaft die geringste Möglichkeit zur Mitwirkung zu geben. Die Löhne sind seit vier Jahren eingefroren.

Und die Direktion hat die Arbeit flexibilisiert. Im allgemeinen haben sich die Arbeitsbedingungen verschlechtert.

Im Fall der Post steht man sogar vor dem Versuch, die sozialen Errungenschaften abzubauen. Und das mittels einer Ausgliederungspolitik, die einen 20-prozentigen Abbau der Löhne anzielt. Dass dies von einem öffentlichen Unternehmen ausgeht, ist skandalös.

swissinfo: Zeichnet sich hier eine neue, offene Protestbewegung ab, eine Verhärtung der Beziehungen zwischen den Sozialpartnern?

Beat Kappeler: Das glaube ich nicht. Ich sehen hingegen seitens der Arbeitgeberschaft eine schockierende und entwaffnende Unerfahrenheit. Das Management wagt es nicht, auf dem Terrain der öffentlichen Meinung weiter vorzudrängen.

Bei der Post beispielsweise hätte die Führung alles Interesse, die Öffentlichkeit als Zeugen miteinzubeziehen. Oder gar als Geisel, wie es die Gewerkschaft zu machen versucht.

Die Post-Führung könnte erklären, wie unverantwortlich es doch sei, die Post drei Wochen vor Weihnachten lahm zu legen. Damit würden den Kindern die Geschenke gestohlen!

Doch die Arbeitgeber in der Schweiz sind nicht mehr imstande, sich von der kämpferischen Seite zu zeigen. Ich sage damit nicht, dass sie immer recht hätten.

Die bleichen Manager erscheinen völlig entwaffnet zu sein. Sie in diesem Zustand zu sehen, erfüllt einen beinahe mit Mitleid…

Vasco Pedrina: Bereits seit einigen Jahren zeichnet sich eine Verhärtung in den Beziehungen zwischen den Sozialpartnern ab. Darin zeigt sich der Einfluss einer doch eher brutalen wirtschaftlichen Globalisation.

Was die Schweiz betrifft, zeichnet sich in letzter Zeit eine Radikalisierung Richtung rechts ab. Sowohl im politischen als auch im wirtschaftlichen Bereich.

Diese beiden Entwicklungen münden in eine wachsende Polarisierung. Bisher zeichnete sich das eher im politischen Bereich ab. Doch jetzt beginnt man, die Auswirkungen auch im sozialen und wirtschaftlichen Bereich zu spüren.

Lange Zeit haben die Arbeitenden die soziale Rechnung bezahlt. Jetzt haben sie genug. Der Fall von Reconvilier zeigt auch, dass die Bevölkerung sich solidarisch gibt.

Dass sie jetzt Aktionen der Belegschaft oder Streiks unterstützt, die noch vor wenigen Jahren in der öffentlichen Meinung nur wenig Akzeptanz gefunden hätten.

swissinfo: Die Unia-Spitze hatte bei der Gründung der Gewerkschaft angekündigt, dass der Arbeitsfrieden kein Tabu mehr sei. Muss er denn auf jeden Fall erhalten werden?

Beat Kappeler: Die Verantwortlichen der Unia halten diesen Diskurs seit zehn Jahren. Unterstrichen wird er mit einem kleinen Streik hier, einer Arbeitsniederlegung dort. Doch oft endet alles im Nichts.

So war es bei Zyliss im vergangenen Jahr und jetzt bei Veillon. Das Unternehmen macht dicht – schlicht und einfach. Aber ohne grossen Lärm. Und der Gewerkschafter Pierre-Yves Maillard ist Regierungsrat geworden.

Das härtere Vorgehen der Gewerkschaften wird von den Medien vermehrt thematisiert. Tatsächlich sind die Resultate aber dünn.

Wenn der Widerstand gegenüber dem Management weitergeht, denke ich, werden auch die Arbeitgeber ihre Lektion lernen. Sie könnten ihrerseits härtere Saiten aufziehen, etwa indem sie Betriebe schneller schliessen, oder indem sie die Sozialpartner vor einem Entscheid nicht mehr einbeziehen.

Vasco Pedrina: Der Arbeitsfriede hängt vor allem von der Entwicklung der Arbeitgeber-Politik ab.

Auf Arbeitgeber-Seite gibt es zwei Tendenzen: Einerseits jene, die meinen, sie könnten die Probleme der Zukunft lösen mit einer Politik des Drucks auf die Saläre und die allgemeinen Arbeitsbedingungen. Mit einem Sozialdumping in grossem Ausmass also.

Andererseits gibt es jene Arbeitgeber, die diesen Weg nicht beschreiten wollen. Diese Seite ist überzeugt, dass qualitativ hochstehende Produkte und Dienstleistungen qualifizierte, motivierte und anständig behandelte Arbeitskräfte voraussetzen. Bisher war Qualität immer einer der Schlüssel zum Erfolg der Schweizer Wirtschaft.

In den kommenden Jahren wird es zwischen diesen beiden Lagern einen harten Kampf geben. Wenn die Rechte, mit der Schweizerischen Volkspartei (SVP) verbundene Seite gewinnt, müssen wir mit grossen sozialen Spannungen rechnen.

swissinfo-Interview: Armando Mombelli und Pierre-François Besson
(Übertragen aus dem Französischen: Alexander Künzle)

Im Kupfer verarbeitenden Werk von Swissmetal in Reconvilier (Berner Jura) waren die Mitarbeitenden während neun Tagen in den Ausstand getreten.

Am Donnerstag wurde der Konflikt beigelegt, nachdem die Direktion gewisse Eingeständnisse gemacht hatte.

Im Fall der Post geht es um einen länger dauernden Streit.

Die Pöstler wehren sich gegen die Pläne der Direktion, gewisse Schlüsselzweige auszulagern.

Damit werde der geltende Gesamtarbeitsvertrag unterlaufen, so die Kritik.

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