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Europa rückt militärisch näher zusammen. Die Schweiz macht mit – ein bisschen

Leute fotografieren einen F-35-Jet
Neugierige fotografieren einen F-35-Jet bei einer Vorführung in der Schweiz. www.dietz.ch

Die Schweizer Regierung hat die Teilnahme an militärischen Projekten der EU beschlossen. Was bedeutet das für die Neutralität des Landes? Eine Auslegeordnung.

Eine europäische Armee wird es so schnell nicht geben. Aber die militärische Zusammenarbeit hat auf dem alten Kontinent zugenommen – vorangetrieben durch das Verhalten der USA und Russlands.

Unter der Administration Obama wollten sich die USA vermehrt dem Pazifikraum zuwenden. Und der folgende Präsident Trump hat die Integrität des wichtigsten Verbündeten zeitweise massiv untergraben.

Als Reaktion darauf hat man in vielen europäischen Hauptstädten zu diskutieren begonnen, wie Europa seine Sicherheit selbst gewährleisten könnte. Die russische Grossinvasion in die Ukraine hat die Debatte deutlich beschleunigt – und den Worten Taten folgen lassen.

Wie wird sich die neutrale Schweiz dabei positionieren? Ein BeschlussExterner Link des Bundesrats Ende August hat in der Schweiz für hitzige Diskussionen gesorgt.

Worum geht es?

Der Bundesrat hat beschlossen, dass die Schweiz an zwei Projekten der Pesco (Permanent Structured Cooperation) teilnehmen soll, dem militärischen Arm der EU.

  • Das Projekt “Military Mobility” hat zum Ziel, die Mobilität von militärischen Einheiten auf europäischem Territorium administrativ zu erleichtern, weshalb es auch als “Schengen der Streitkräfte” bezeichnet wird. Ob und wie Streitkräfte durch die Schweiz fahren, muss weiterhin von der Regierung im Einzelfall bewilligt werden. Kriegsführende Parteien dürfen indes auch künftig nicht Schweizer Territorium durchqueren – das Neutralitätsrecht verbietet dies.
  • Mit dem Projekt “Cyber Ranges Federation” kann die Schweizer Armee mit anderen Streitkräften die Cyberabwehr trainieren. Es geht um die Entwicklung und Erprobung von Technologien und die Ausbildung von Personal.

Definitiv ist die Teilnahme der Schweiz noch nicht, da sie noch von den beteiligten Staaten und der EU offiziell genehmigt werden muss.

Innenpolitisch hat der Beschluss aber bereits für Kritik gesorgt: Die wählerstärkste Partei der Schweiz, die rechtskonservative SVP, die einen isolationistischen Kurs fährt und jede Annäherung an die EU und Nato ablehnt, moniert, dass damit die “Neutralität zerstört” werde.

Ausser Malta nehmen an Pesco alle EU-Mitgliedstaaten teil, regelmässig eingeladen werden die USA, Kanada, Norwegen – und neuerdings die Ukraine, die sich auch für eine Teilnahme am Cyber-Projekt interessiert. Für die politische Rechte ist dies deshalb ein Bruch mit der Neutralität.

Das Verteidigungsdepartement lässt jedoch verlauten, dass die Schweiz nicht an Übungen mit “kriegsführenden Staaten” teilnehmen wird, was sie mit einer zusätzlichen Vereinbarung untermauert hat. Jegliche Zusammenarbeit erfolge mit “im Einklang mit den Neutralitätspflichten der Schweiz”.

Mehr zur Schweizer Neutralität finden Sie hier:

Der Hintergrund von Pesco

Im Jahr 2017 haben ein Grossteil der EU-Mitgliedstaaten die Pesco gegründet. Ihr Ziel ist es, die Fähigkeiten der nationalen Streitkräfte zu erhöhen und die Interoperabilität, also die Angleichung von Systemen und Organisationen, zu stärken.

Als Fernziel dürfte die VisionExterner Link einer europäischen Armee dienen. Unmittelbar ging es jedoch um eine teilweise Emanzipierung von den USA: Der damals regierende Präsident Trump liess erhebliche Zweifel an der amerikanischen Bereitschaft zum militärischen Beistand aufkommen.

Die USA reagierten verstimmt auf die Gründung von Pesco, weil sie einen Bedeutungsverlust der Nato sowie eine Abnahme von Rüstungskäufen durch europäische Staaten befürchteten. In der Amtszeit von Joe Biden hat sich das Verhältnis normalisiert, der Krieg in der Ukraine hat Europa und die USA wieder einander angenähert.

Wie arbeiten die Schweiz, die EU und die Nato militärisch zusammen?

Der neuste Beschluss hat begrenzte Auswirkungen. Die Schweiz nimmt damit lediglich an zwei der zurzeit über 60 laufenden Projekte teil. Die Pesco wird die Nato auf absehbare Zeit nicht ersetzen, und das Bündnis bleibt auch für die Schweiz die wichtigste militärische Partnerin, mit der sie im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden (PfP) kooperiert.

Neutrale Staaten suchen die Nähe der Nato:

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Symbolisch ist der Schritt jedoch durchaus bedeutend. Er reiht sich ein in die Versuche der Regierung, den europäischen Partnern die militärische Wichtigkeit der Schweiz aufzuzeigen. Das Ausfuhrverbot schweizerischer Rüstungsgüter in die Ukraine sorgte für grossen Unmut, der Schweiz wurde Opportunismus vorgeworfen. Die Schweizer Rüstungsindustrie soll deswegen Einbussen verzeichnenExterner Link.

Im Frühling hat der Bundesrat zudem den BeitrittExterner Link zur European Sky Shield Initiative beschlossen, die von Deutschland ausging und die europäische Luftverteidigung stärken soll. Ein gutes Dutzend Staaten wollen die Beschaffungen koordinieren und ihre Interoperabilität verbessern.

Gegen innen werden diese Schritte als ein Zeichen gegenüber isolationistischen Tendenzen gesehen. Aus dem Umkreis der SVP wurde die so genannte “Neutralitätsinitiative”Externer Link lanciert, die jegliche Sicherheitskooperation verunmöglichen will. Die Regierung spricht sich deutlich gegen die Annahme der Volksinitiative aus.

Wie geht es weiter?

Neben den Rechten kritisieren auch gewisse linke Kreise den Beschluss, insbesondere weil die Regierung beim Entscheid das Parlament nicht genügend einbezogen habe. Allerdings hat der Bundesrat die Kompetenz, solche Entscheide selbstständig zu fällen, da die Verteidigungspolitik in seinen Zuständigkeiten fällt.

Die militärische Annäherung an die westlichen Staaten – und damit auch zur Nato – ist jedoch bereits seit der russischen Invasion in die Ukraine hochgefahren worden. In der Regierung und im Parlament gibt es eine solide Mehrheit dafür.

Die Schweiz und die Nato – Mitgliedschaft nein, aber Nähe darf sein:

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Aussenpolitisch ist das eine Reaktion auf die beschädigte Sicherheitsarchitektur in Europa, die seit dem russischen Grossangriff auf die Ukraine vorliegt und eine zumindest regionale Blockbildung zur Folge hat.

Innenpolitisch ist die neue militärische Kooperationsbereitschaft Ausdruck einer politischen Auseinandersetzung um die Neutralität des Landes, in der das isolationistische Lager bisher das Nachsehen hat – die politischen Kräfteverhältnisse in dieser Frage und die geopolitische Konstellation legen nahe, dass diese Politik in den nächsten Jahren fortgesetzt wird.

Editiert von Marc Leutenegger

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