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Die Schule in der Kritik der öffentlichen Meinung

Schulzeugnis: Noten oder andere Leistungsbewertungs-Methoden? Keystone

Zeugnisnoten oder keine? Wie viele Fremdsprachen in der Primarschule? Welche Lehrpläne? Die Schule ist im Umbruch, was nicht alle schätzen.

In den Kantonen Waadt und Luzern gibt es im neuen Schuljahr Neuigkeiten.

In den Schweizer Schulen wehte in den letzten Jahren ein neuer Reform-Wind. Aber statt einer Auffrischung der Schulstuben hinterliessen die Reformen oft eine veränderte Landschaft hinter sich, die Lehrkräfte, Eltern und Schüler eher verunsicherten.

Einige Reformen wurden als notwendige Anpassungen an ein verändertes Umfeld begrüsst, anderen begegnete die Bevölkerung mit Feindseligkeit.

In Zürich zum Beispiel wurde ein Reformpaket für die öffentliche Schule vom Souverän an der Urne abgelehnt. Schlecht kam vor allem der Vorschlag an, eine Basisgrundstufe zu schaffen, in der Kindergarten und die ersten Primarschuljahre zusammengeführt werden sollten.

PISA-Studie und Misstrauen gegenüber der Schule

Vielleicht gerade weil die Schule als Schmiede der künftigen Gesellschaft gilt, gibt es so viele unterschiedliche Meinungen dazu. Die einen finden die Schule verstaubt, noch der meist stabilen Wirtschaftslage und dem eher gemächlichen Tempo des letzten Jahrhunderts angepasst.

Andere werfen der Schule vor, zu sehr auf angelerntes Wissen fixiert, zu kopflastig zu sein. Die Erkenntnisse Pestalozzis, wonach man nicht nur mit dem Intellekt, sondern auch mit dem Herzen und den Händen lernt, seien vergessen worden.

Und dann gibt es noch jene, die es als eine Energie-Verschwendung ansehen, wenn jeder Schüler nach individuellem Mass unterrichtet wird.

Dann kam die Ohrfeige der PISA-Studie, wonach die Jungen in der Schweiz nach Abschluss der obligatorischen Schuljahre Texte schlecht lesen und interpretieren können. Alles die Schuld der Schule? Die Öffentlichkeit interpretiert es scheinbar so. Jedenfalls schicken immer mehr Eltern ihre Kinder in Privatschulen – sofern sie das nötige Geld dazu haben.

Gabriela Fuchs, Sprecherin der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), warnt allerdings vor Verallgemeinerungen. «Manchmal ist die Wahrnehmung der öffentlichen Meinung ein bisschen gestört. Die PISA-Studie ist da ein typisches Beispiel. Geredet wird nur von den schlechten Resultaten im Bereich Lesen. Dabei gehen die guten Ergebnisse in Mathematik unter.»

«Ferner ist es unangebracht, allein auf die PISA-Studie gestützte allgemeine Schlussfolgerungen über das Schweizer Schulsystem zu ziehen», so Fuchs gegenüber swissinfo.

Die Waadtländer und die Zeugnisnoten

Im Kanton Waadt scheint das Misstrauen gegenüber der Schule weniger gross als andernorts zu sein. Nur ein Punkt ist im Westschweizer Kanton umstritten: die Zeugnisnoten.

Nach diversen grossen Reformen befindet sich das Programm «Waadtländer Schule in Bewegung» (EVM) heute in der Konsolidierungsphase. Allerdings hängt ein Damoklesschwert darüber: die Volksinitiative «Noten für eine transparentere Schule».

Den Initianten passt es nicht, dass mit den Reformen die Zeugnisnoten abgeschafft und ersetzt werden durch andere Bewertungs-Methoden – Selbstbewertung der Schülerinnen und Schüler, gemeinsame Bewertung der Leistungen (Lehrer und Schüler) oder der Bewertung der Klasse als Ganzes.

Gemäss einer Umfrage vom Westschweizer Radio DRS möchten 85% der Waadtländer Bevölkerung für ihre Kinder wieder Noten im Zeugnis haben.

Die Eltern von heute seien halt die Schüler von gestern, sagte die Freiburger Erziehungsdirektorin Isabelle Chassot. «Sie waren an Noten gewöhnt, die ihnen klar sagten, wo es Probleme gibt. Auf der anderen Seite sagen Noten nicht viel über zusätzliche Kompetenzen der Schüler aus. Ich frage mich, ob man nicht ein Mischsystem aus Noten und anderen Bewertungs-Methoden anwenden sollte.»

Die Luzerner und die Diplomarbeit

Im Kanton Luzern hat der Wechsel von Noten zu anderen Bewertungs-Methoden weniger zu reden gegeben als im Kanton Waadt. Dort sieht der Lehrplan im letzten, neunten Schuljahr vier Lektionen pro Woche für Projekt-Arbeiten vor.

Schülerinnen und Schüler lernen dabei, ihre eigenen Interessen zu formulieren, ihre eigenen Ideen zu verteidigen, ein Projekt detailliert zu planen, allein oder in Gruppenarbeit. Mit diesen Lektionen sollen sie sich die nötige Kompetenz erarbeiten, um eine Arbeit zu einem Thema ihrer Wahl zu schreiben.

Wer weiss, wie diese «Mini-Diplomarbeit» im Kanton Luzern ankommt. Die Antwort erfolgt bei Beginn des nächsten Schuljahres.

swissinfo, Doris Lucini
(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

Eine der in den letzten Jahren umstrittensten Reformen ist die Einführung einer Fremdsprache schon in den ersten Schuljahren.

Auch über die Methode der Leistungs-Bewertung von Schülerinnen und Schülern wird heftig diskutiert. Auf der einen Seite sind die Befürworter des traditionellen Noten-Systems, auf der anderen Seite stehen die Anhänger von neuen Bewertungs-Methoden.

Die wichtigsten Reformen gab es nicht im Bereich der obligatorischen neun Schuljahre, sondern auf der Ebene der Sekundarstufe II, die zur Maturität führt. An den Maturitätsschulen (früher Gymnasien) gibt es jetzt ein System der freien Wahlfächer. Fast alle Kantone haben dieses Modell eingeführt.

Eine andere wichtige Reform betrifft die Ausbildung der Lehrkräfte. Die letzten Lehrerseminare sind am verschwinden. An ihre Stelle tritt das System «Maturität plus Pädagogische Hochschule». Ein System übrigens, das die Mobilität der künftigen Lehrkräfte fördert. Die Diplome werden auf gesamtschweizerischer, nicht wie bisher lediglich auf kantonaler Ebene anerkannt.

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