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Kinderbücher in Ruanda mit Schweizer Unterstützung

Agnes Gyr-Ukunda hat in Ruanda einen Kinderbuch-Verlag ins Leben gerufen. swissinfo.ch

Rund 800'000 Menschen wurden beim Genozid 1994 in Ruanda getötet. Agnes Gyr-Ukunda verlor einen Teil ihrer Familie. Die gebürtige Ruanderin war in den 70er Jahren in die Schweiz geflüchtet. 1995 gründete sie den Verein "Bücher für Kinder in Ruanda"

Agnes Gyr-Ukunda kam dank eines Stipendiums in die Schweiz. Sie ist mit einem Schweizer verheiratet und Mutter von vier Kindern. «Nach dem Völkermord war für mich klar, dass ich beim Wiederaufbau aktiv mithelfe und meinen Teil dazu beitragen will», erzählt die heute 52-Jährige.

Wenige Monate nach dem Genozid gründete sie zusammen mit ihrem Mann einen Verein zur Förderung der Kinderbücher in Ruanda. In der Hauptstadt Kigali eröffnete sie den Kinderbuchverlag «Edition Bakame».

Bücher in der Landessprache

Mit der Gründung des Verlags verfolgt Agnes Gyr verschiedene Ziele. «Ruandas Geschichten und Fabeln wurden über Jahrhunderte nur mündlich überliefert. Durch den Genozid drohten sie verloren zu gehen», erklärt sie die Situation.

Bücher in der Landessprache Kinyarwanda gab es bis dahin kaum. Kinder- und Jugendliteratur waren inexistent.

Durch die traditionellen Märchen, Fabeln, Liebesgeschichten und Alltagserzählungen sollten die oft traumatisierten Kinder in eine andere Welt eintauchen können. Die Leichtigkeit der Geschichten sollte den Schwermut des Alltags ein wenig verkleinern.

Zurzeit arbeiten zwölf Personen in Kigali für den Verlag. Doch die Produktion der Bücher stellt auch heute noch eine grosse Herausforderung dar. Autoren zu finden, die in der Landesprache schreiben, ist schwer.

«Geübte Autoren gibt es in Ruanda keine. Es sind Privatpersonen, die versuchen, die gehörten Geschichten in eine geschriebene Version umzuwandeln», erklärt Agnes Gyr.

Schreibwettbewerbe

Über Radio kündigt Bakame Schreibwettbewerbe an und ruft die Bevölkerung auf, ihre Geschichten aufzuschreiben. Die erhaltenen Texte werden dann geprüft, editiert und illustriert. Letzteres stellt eine grosse Hürde dar, denn Illustratoren gibt es in Ruanda kaum. Ohne Bücher, braucht es auch keine Illustrationen.

Mit einem Ausbildungskurs versuchte Bakame in der Vergangenheit dieser Situation entgegenzuwirken. Die Absenz von Buchdruck- und Papierindustrie macht die Herstellung der Bücher teuer und treibt den Preis für importiertes Papier in die Höhe.

Durch Spenden und mit Unterstützung des Vereins «Bücher für Kinder in Ruanda» können die Preise gesenkt und die Bücher für die breite Öffentlichkeit erschwinglich gemacht werden. Auch wenn für knappe zwei Franken schon ein Buch erhältlich ist, von einer Buchkultur ist Ruanda noch weit entfernt.

Bana dusome; die Rucksackbibliothek


In der Hauptstadt Kigali gibt es nur eine Handvoll Geschäfte, die Bücher verkaufen – die wenigsten sind in Kinyarwanda geschrieben. Um den Kindern und Jugendlichen die Bücher und das Lesen näher zu bringen, veranstaltet Bakame Leseanimationen.

Durch Tanz, Lieder und Theater lernen die Kinder Geschichten kennen. Die Faszination des Schreibens, Lesens und Erzählens wird spielerisch vorgelebt. Die Neugierde Büchern gegenüber, ist enorm. Denn nicht nur zu Hause, sondern auch in den ruandischen Schulen sind sie Mangelware.

Nur ein kleiner Teil der 2,5 Millionen Schulkinder im Land hat ein eigenes Buch. In Klassen mit bis zu 80 Kindern fehlt geeignetes Schulmaterial. Oft muss ein Buch mit vier bis fünf andern Kindern geteilt werden. Ein Buch nach Hause zu nehmen, ist verboten. In Ruhe zu lesen, ist unmöglich. Bibliotheken gibt es vor allem auf dem Land keine.

Deshalb hat Bakame im Jahr 2007 die Rucksackbibliothek erfunden. Rund 20 Bücher, die Mehrheit in der Landessprache Kinyarwanda und einige Exemplare in Französisch und Englisch wandern in einem Rucksack von Schule zu Schule.

Zweite Staffel bereits unterwegs

Für die Lehrpersonen der einzelnen Schulen organisierte Bakame Kurse, um die Rucksackbibliothek zu erklären. Die Geschichten, die Bücher, deren Wichtigkeit und ihren Gebrauch im Unterricht stehen dabei im Mittelpunkt.

Die ersten hundert Rucksackbibliotheken machten sich 2007 auf den Weg und wurden nach einem Jahr wieder eingesammelt. Die Reaktionen waren durchgehend positiv.

Denn zur Leserschaft gehören nicht nur die Kinder, sondern auch die Lehrer und Eltern. Die zweite Staffel an Rucksackbibliotheken wird sich diesen Frühling auf den Weg machen.

swissinfo, Christa Wüthrich, Kigali

Ein Jahr nach Bürgerkrieg und Genozid gründete die gebürtige Ruanderin Agnes Gyr-Ukunda 1995 nach dem Vorbild des Schweizerischen Jugendschriftenwerks (SIW) in Kigali den Verlag Editions Bakame. (Bakame ist der Name des schlauen Hasen, der in unzähligen Fabeln auftaucht).

Unterstützt wird das Unternehmen durch Spenden und den Verein «Bücher für Kinder in Ruanda» mit Sitz in Malters, Luzern.

Bis heute hat der Verlag rund 500’000 Kinder- und Jugendbücher publiziert. Dazu kommen an die 800’000 Sprachbücher für Schulkinder und 50’000 Exemplare an Lehrerhandbücher. Der Verlag hat durch seine Arbeit internationale Beachtung gefunden; sei es 2005 durch den Bologna Ragazzi Award New Horizons und ein Jahr später durch die Auszeichnung «Certificat de mérite pour sa contribution à la promotion de la culture» des ruandischen Ministeriums für Jugend, Sport und Kultur.

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