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Ägypter in der Schweiz solidarisieren sich

"Er wird sich noch wehren, denn er ist stur wie alle Ägypter, aber seine Zeit ist abgelaufen", sagt eine Demonstrantin. Susanne Schanda

Nicht nur in Kairo, überall auf der Welt skandieren wütende Ägypterinnen und Ägypter: "Mubarak muss weg!" In Bern zogen am Dienstag einige hundert Personen vor die ägyptische Botschaft, wo eine Delegation einen Forderungskatalog übergab.

«CH-Solidarität mit dem ägyptischen Volk gegen die Diktatur», steht auf einem Plakat in den ägyptischen Nationalfarben Rot, Weiss, Schwarz. Am linken Rand eine Reihe Schweizerkreuze und in der Mitte ein Foto von Präsident Hosni Mubarak, das mit gelber Farbe durchgestrichen ist.

«Es reicht!», sagt Sayed Radwan, 33, der seit fünf Jahren in der Schweiz lebt. Dass in Kairo jemals so viele Menschen gegen das Regime auf die Strasse gehen würden, hätte er nie für möglich gehalten.

Was allerdings nach dem Abgang des verhassten Diktators kommen würde, kann er sich noch nicht richtig vorstellen. «Wichtig ist, dass die Menschen gemerkt haben, sie können etwas bewirken.»

Zusammen mit einigen hundert weiteren Personen aus Ägypten, Tunesien und der Schweiz protestiert er in Bern gegen das wackelnde Regime seiner alten Heimat. Die Demonstranten stehen vorerst bei beissender Kälte auf dem Helvetiaplatz vor dem Historischen Museum, weil unklar ist, ob vor der ägyptischen Botschaft demonstriert werden darf.

Das Megaphon geht von Hand zu Hand. Ein Tunesier drückt seine Solidarität mit den Ägyptern aus, ein anderer Mann bringt die palästinensische Sache aufs Tapet, und immer wieder heisst es: «Die Araber müssen zusammenstehen, nur so können sie ihre autoritären Herrscher loswerden.»

Dann bewegt sich der Zug doch noch Richtung ägyptische Botschaft. Auch Reda, eine Ägypterin um die Fünfzig, geht mit. Der Aufstand in Ägypten erfüllt sie auch mit Sorge, denn die nächste Zeit werde nicht einfach. Doch sie ist überzeugt, dass Mubarak am Ende ist: «Er wird sich noch wehren, denn er ist stur wie alle Ägypter, aber seine Zeit ist abgelaufen.»

Parallele zur Perestroika

Jasmin El-Sonbati, Lehrerin und Buchautorin ägyptisch-österreichischer Herkunft, wünscht sich, dass Mubarak in Würde gehe, indem er deklariere, dass er den Willen des Volkes respektiere: «Aber ich glaube nicht daran. Dieser Kampf wird geopolitisch entschieden. Das heisst, das Regime fällt erst, wenn der Druck der USA stark genug ist.»

Viele der erstarrten Regime im Nahen Osten erinnerten sie an die Zeit der Perestroika, als in Osteuropa die Herrscher, die jeden Kontakt mit der Bevölkerung verloren hatten, abdanken mussten.

Jasmin El-Sonbati setzt einige Hoffnung in den Friedensnobelpreisträger Mohammed El-Baradei als Integrationsfigur: «Zwar hat er allzulange nicht in Ägypten gelebt und ist sehr spät zurückgekommen, aber er eignet sich für einen Dialog, weil er grossen Rückhalt und Respekt bei den verschiedenen Gruppierungen der Bevölkerung geniesst.»

Hoffnung auf Dialog

Samir Shafy lebt seit 1973 in der Schweiz, «seit einer Ewigkeit», wie der Ägypter sagt. Es bestehe ein breiter Konsens darüber, dass Mubarak gehen müsse, auch aus dem Ausland. Deshalb sei er zuversichtlich.

Shafy kann sich für die weitere Entwicklung in Ägypten zwei mögliche Szenarien vorstellen: «Entweder geht Mubarak freiwillig, es gibt einen Dialog mit der Opposition, eine Verfassungsänderung und freie Wahlen; oder die Armee zwingt Mubarak mit Gewalt aus seiner Position.»

Die zweite Variante hält er für gefährlicher, weil sie Unsicherheit auslösen würde. Aber er ist überzeugt: «Mubarak kann nicht mehr verhandeln, er ist bei allen verhasst und hat jeden Kredit verspielt.»

Nicht nur Ägypten ist Thema bei dieser friedlichen Kundgebung in Bern. Auch die Herrscher anderer arabischer Ländern werden gewarnt, auf ihre Bevölkerung zu hören, bevor es zu spät sei. Monser Rashed, der seit 2002 in der Schweiz lebt, geht davon aus, dass als nächstes die Menschen in Jemen auf die Strasse gehen, um ihr Regime zu stürzen.

Vor der ägyptischen Botschaft stehen Schweizer Polizisten Wache. Einer von ihnen hält das Gewehr im Anschlag, als ob er gleich losschiessen wollte. Andere nehmen es gelassener.

Als einige Demonstranten mitten auf der Strasse stehen und so die Durchfahrt für den Verkehr behindern, schlendert ein Polizist, der bereits einige Brocken Arabisch aufgeschnappt hat, locker auf die Leute zu und sagt: «Yalla (los), etwas zurückstehen hier.»

Mehr als hundert Schweizer Unternehmen haben Niederlassungen in Ägypten. Unter anderem sind dies ABB, Clariant, Novartis, Nestlé, Bühler, SGS, Roche, Credit Suisse und UBS. Einige von ihnen haben – als Folge der politischen Unruhen – vorsorgliche Massnahmen, inklusive Produktionsstopp, ergriffen.

Die Schweiz hat festgehalten, sie sei stolz darauf, dass die wirtschaftlichen Beziehungen mit Ägypten besonders gut seien, dies in Bezug auf Qualität und Menge.

2009 war Ägypten der viertwichtigste Partner für die Schweiz in Afrika, hinter Südafrika, Libyen und Algerien.

Die Europäische Freihandelszone (EFTA), zu der die Schweiz gehört, hat 2007 einen Freihandelsvertrag mit Ägypten unterschrieben. Das Ziel war, die bereits existierenden Geschäftsbeziehungen zu verstärken und neue zu entwickeln. Der Vertrag trat am 1. September 2008 in Kraft.

Im Februar 2009 reiste die Schweizerische Wirtschaftsministerin Doris Leuthard mit einer Delegation von Geschäftsleuten nach Ägypten. In einer Medienmitteilung gab das Departement bekannt, dass Ägypten in einer günstigen Lage sei, was den Handel betreffe, und dass das Land eine hochentwickelte Infrastruktur habe.

Der damalige ägyptische Handels- und Industrieminister Rachid Mohamed Rachid besuchte im Oktober 2009 die Schweiz. Er nahm an einem Workshop über den schweizerischen Umgang mit geistigem Eigentum teil.

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