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Bundesrat: Rücktritte im Zeichen der Medien

Bundesratskandidatin Doris Leuthard hat von den Medien enorm viel Aufmerksamkeit erhalten. Keystone

Der Rücktritt und die Neuwahl eines Regierungsmitglieds finden in der Schweiz stets ein grosses Medienecho. Doch das politische System der Schweiz setzt Grenzen.

Ein Rücktritt eines Bundesrats ist ein aussergewöhnliches Ereignis und verursacht ein entsprechendes Medienecho. Bei seinem Rücktritt steht ein scheidender Minister letztmals im Rampenlicht der Medien.

Warum ist Joseph Deiss am vergangenen 27. April zurückgetreten? Der christlichdemokratische Volkswirtschaftsminister erklärte, seinen Entscheid «frei und ohne Druckversuche von aussen» gefällt zu haben.

Viel ist jedoch über die «wahren Gründe» spekuliert worden; beispielsweise den zu wenig kämpferischen Charakter dieses Ministers und seine Schwierigkeiten im Umgang mit den Regierungskollegen.

Der Rücktritt von Deiss reiht sich auf alle Fälle in eine offensichtliche Entwicklung ein. «Ich glaube, dass die Bundesräte immer weniger auf die Partei Rücksicht nehmen, der sie angehören», sagt Roger Blum, Professor am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Bern.

Schwindender Einfluss der Parteien

Diese Tendenz beklagt auch Ruth Dreifuss, die zwischen 1993 und 2002 Bundesrätin war. Für die sozialdemokratische ehemalige Ministerin müssen sich Bundesräte im Namen von Unabhängigkeit und Kollegialität durchaus autonom gegenüber ihrer Partei verhalten.

«Aber es braucht ein Vertrauensverhältnis zur Partei», sagt Dreifuss gegenüber swissinfo. Denn von den Vorschlägen und der Unterstützung der jeweiligen Partei hänge der Einfluss eines Regierungsmitglieds stark ab. Schliesslich sei die Wahl in die Regierung ohne Partei nicht möglich.

Roger Blum erinnert allerdings daran, dass viele Bundesräte gegen den Willen der eigenen Partei gewählt wurden (Tschudi, Ritschard, Stich). Auch Dreifuss wurde nur Bundesrätin, weil die anderen Parteien sich weigerten, die offizielle Kandidatin Christiane Brunner zu wählen.

«Sicherlich schlagen die Parteien die jeweiligen Kandidaten vor, doch gewählt werden sie eben durch die Bundesversammlung», sagt der Kommunikations-Wissenschafter.

Persönliche Gründe ausschlaggebend

Gemäss Blum hängt der Rücktritt eines Bundesrats heute stark von persönlichen Gründen wie Alter oder Gesundheit ab. Man gibt das Amt auch in Bezug auf Dossiers auf, die man abgeschlossen hat oder die es anzugehen gilt.

«Natürlich gibt es auch Ausnahmen, wie der Rücktritt von Otto Stich (1995) oder der Doppelrücktritt von Flavio Cotti und Arnold Koller (1999), der aus taktischen Gründen vor den Neuwahlen erfolgte», sagt Blum. Und erinnert auch an erzwungene Rücktritte, wie 1989 bei Bundesrätin Elisabeth Kopp.

Medienecho für Bundesräte

Urs Altermatt, Historiker und Rektor der Universität Freiburg, hat kürzlich in einem Artikel der «Neuen Zürcher Zeitung» ausgeführt, dass in den letzten 50 Jahren für die Bundesräte auch der Faktor Medien immer wichtiger geworden ist. «Im Moment des Rücktritts werden persönliche Gründe angegeben, um einen Tag im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit zu stehen.»

Ruth Dreifuss ist jedoch überzeugt, «dass sich die Bundesräte nicht diesem Spiel der Personalisierung hingeben sollten». Mehr noch: Diese Personalisierung stehe sogar im Widerspruch zur Institution des Bundesrats als kollegialem Gremium.

Tatsächlich hat das Medienecho im Falle des Rücktritts eines Ministers in den letzten 25 Jahren stark an Intensität zugenommen: «Doch schon am Tag nach dem Rücktritt verschiebt sich die Aufmerksamkeit der Medien auf die Spekulationen um den Nachfolger oder die Nachfolgerin: Der Mechanismus ist immer derselbe», sagt Blum.

Gefährliche Entwicklungen?

Für Ruth Dreifuss handelt es sich um eine problematische Entwicklung. «Man versucht, die Vorteile unseres politischen Systems mit der Politik-Show anderer Länder zu verknüpfen. Doch dies ist unvereinbar.»

Die Medien spielen zweifellos auch in der Schweiz eine wichtige Rolle. «Doch in unserem politischen System sind die Wahl des Parlaments und der Regierung nicht direkt aneinander geknüpft. Ein neu bestelltes Parlament bedeutet nicht eine neue Regierung und Bundesräte sind keine Wahllokomotiven», so Blum.

Das erklärt, warum Wahl- und Abstimmungsergebnisse häufig von den Parteipräsidenten und nicht von den Bundesräten kommentiert werden.

Die politische Kommunikation vereinheitliche zunehmend, sagt Blum. Trotzdem bleibe ein substantieller Unterschied zwischen den Systemen erhalten. «Der amerikanische Präsident legt beispielsweise grossen Wert darauf, dass eine Botschaft an den Kongress über die Medien verbreitet wird. Ein Bundesrat kommuniziert mit den beiden Parlamentskammern auf schriftlichem Weg oder redet direkt vor den Abgeordneten und Senatoren.»

swissinfo, Mariano Masserini
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Der Rücktritt von Volkswirtschaftsminister Joseph Deiss in der laufenden Legislaturperiode hat allgemein überrascht. So früh war er nicht erwartet worden.

Die Medien haben sich in ihrer Berichterstattung schnell auf die Debatte um mögliche Nachfolger konzentriert. Durch die Kandidatur von CVP-Präsidentin Doris Leuthard als einziger Kandidatin für die Bundsratsersatzwahl vom 14.Juni war die Debatte schnell beendet.

Was wird am Wahltag passieren? Gibt es vielleicht doch Überraschungen? In der Bundesversammlung könnte sich Unmut äussern, dass die CVP-Kandidatin gesetzt ist und nicht mehrere Kandidaten präsentiert wurden.

Am Ende werden jedoch nur die Anzahl der Stimmen etwas von diesem Unmut widerspiegeln. An ihrer Wahl zweifelt niemand, zumal die dynamische CVP-Politikerin mit ihrem Lächeln bereits die Herzen der Schweizer erobert hat.

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