«Chaos im Parlament»
Die Schweizer Presse hält die "Taktiererei" im Parlament für bedenklich. Sie beurteilt das Nein des Nationalrats zum UBS-Staatsvertrag als symptomatisch für das Bild, das die nationale Politik derzeit abgebe.
Die Titel der Kommentare sprechen eine deutliche Sprache: «So wird die Politik pervertiert» (Der Bund und Tages-Anzeiger), «Trauriges Chaos» (Le Temps), «Jenseits des Landesinteresses» (Neue Zürcher Zeitung).
«Wie man auch zum UBS-Deal steht, das ist nur noch Gequengel», ist das Fazit des Blicks. Die NZZ spricht von einem «unsäglichen Polittheater» und sieht die Schweizer Politik an einem Tiefpunkt angelangt: «Rien ne va plus.»
«Destabilisierung und Unregierbarkeit»
Obwohl die NZZ es für verständlich hält, dass das Parlament nicht gerne die Kröte schluckt, für welche die UBS die Hauptschuld trägt, gehen ihrer Meinung nach die «Pirouetten, Ränkespiele, Erpressungsversuche, Spitzkehren und sonstigen Torheiten» der letzten Wochen zu weit und steht die «Causa UBS-Abkommen exemplarisch für eine zerzauste Parteienlandschaft, deren Exponenten an den Rändern kompromisslos agieren und immerzu auf die Wählergunst schielen».
Der Bundesrat könne im Parlament nicht mehr auf verlässliche Mehrheiten bauen. «Im Zweifelsfall obsiegen die Blockierer, nicht die Problemlöser.» Laut der NZZ befindet sich «Bundesbern im Zustand der fortschreitenden Destabilisierung». Es sei, als werde unter der Kuppel des Bundeshauses Völkerball gespielt. «Die politische Konstellation ist beunruhigend, das parteitaktische Winkeladvokatentum während der laufenden Session einzigartig chaotisch. Das Land schlittert der gefühlten Unregierbarkeit entgegen», so die NZZ.
Nach der Kritik der Geschäftsprüfungskommission am Führungsstil des Bundesrats, verwandelt sich nun das Parlament in einen «grossen Zirkus», schreiben 24Heures und La Tribune de Genève.
Scharfe Kritik an SVP und SP
In die Mangel genommen für die «verantwortungslose Politik» werden die beiden Parteien SVP und SP: «Nicht zum ersten Mal in dieser Legislatur legten sich diese Parteien, die sich spinnefeind sind, gemeinsam ins Lotterbett», schreibt die NZZ. «Die Nein-Sager zur Linken wie zur Rechten haben das Landesinteresse am Dienstag in die Besenkammer zurückgedrängt.» «Das UBS-Amtshilfeabkommen ist volkswirtschaftlich zu wichtig. Wer mit dem Feuer spielt, handelt verwegen – und jedenfalls nicht im Landesinteresse», so die NZZ.
Statt nach bestem Wissen und Gewissen die Probleme des Landes zu lösen, würden sich SP und SVP seit Wochen im Drohen, Feilschen und Tricksen üben, so Der Bund und der Tages-Anzeiger . So wollten sie sich bei den Wählern profilieren. Die beiden Zeitungen glauben jedoch nicht, dass dies bei den Wählerinnen und Wählern gut ankommt: «Ein Grossteil der Bevölkerung schaut dem unwürdigen Treiben aber wohl nur noch angewidert zu – und staunt über die Wendigkeit einer SVP, die sonst gerne von einer klaren Linie spricht.»
Der Zickzackkurs der SVP stösst bei der Schweizer Presse auf Unverständnis. «Der vom ehemaligen Bundesrat Christoph Blocher dirigierte Zickzackkurs ist mit einem Himmelfahrtskommando gleichzusetzen. Der Vorwurf des Wischiwaschis, mit dem die SVP ihre Konkurrenz abzuwatschen beliebt, fällt dieser Tage integral auf sie zurück», schreibt die NZZ.
Die Position der SVP zahle sich sicher bei den Wählern aus, sei aber längerfristig in Bezug auf die Wirtschaft und den Finanzplatz nicht vertretbar, kritisiert auch der Corriere del Ticino und wundert sich über die Kehrtwende der SVP, die sich vorher im Namen des Bankgeheimnisses monatelang gegen den UBS-Staatsvertrag stellte.
Presse zuversichtlich für ein Ja
Für die Schweizer Presse ist jedoch klar, dass das Nein im Nationalrat nicht das definitive Aus für den UBS-Staatsvertrag ist. «Die SVP kann sich ein Nein nicht leisten», so der Blick. Wie die Amis die Schweiz und die UBS in die Zange nehmen würden, sei offen. «Klar ist, dass ein unkalkulierbares Risiko entsteht für Land und Wirtschaft.»
Der Entscheid im Nationalrat sei fatal für eine angebliche Wirtschaftspartei, schreibt der Blick. Aber das weiss auch die SVP, und darum wird, ja muss sie dem Deal am Schluss zum Durchbruch verhelfen
Und auch La Liberté glaubt an eine Annahme des UBS-Staatsvertrags: «Die SP und die SVP haben sich ein Kräftemessen geliefert, doch weder die eine noch die andere Partei kann es sich erlauben, den Vertrag scheitern zu lassen.»
«Der UBS-Staatsvertrag ist ein schlechter Vertrag, eine schlechte Lösung in einer misslichen Lage. Doch es ist zu spät, um das Ganze rückgängig zu machen. Und es ist illusorisch zu denken, dass die Schweiz nochmals den Dialog mit den USA sucht, um eine bessere Lösung zu finden», so Le Temps.
USA zeigt Ungeduld
Das dem so ist, zeigt sich an den Reaktionen in den USA. «Wir erwarten, dass sich die Schweizer Regierung an die Vorgaben des Abkommens hält», schrieb Frank Keith, Sprecher der US-Steuerbehörde IRS, in einer Mitteilung an die US-Medien. Falls die Schweiz den USA die vereinbarten Informationen nicht zukommen lassen werde, sei die US-Seite darauf vorbereit, alle ihr offen stehenden legalen Optionen auszuschöpfen.
Der demokratische Senator Carl Levin aus Michigan, der im Senat verschiedene Hearings zum Fall UBS leitete, rief die US-Behörden nach Angaben von amerikanischen Medien am Dienstag dazu auf, den Fall gegen die Schweizer Grossbank unverzüglich wieder aufzunehmen.
«Die USA sollten jeglichen weiteren Versuch der Schweiz, den Fall UBS hinauszuzögern, zurückweisen. Es ist an der Zeit, mit der gerichtlichen Vorladung vorwärts zu machen und die UBS zur Herausgabe der Namen zu zwingen», so der demokratische Senator Carl Levin aus Michigan, der im Senat verschiedene Hearings zum Fall UBS leitete. «Jegliche Ablehnung des Abkommens durch die Schweiz wäre eine «internationale Peinlichkeit, die jenen Schweizer Abgeordneten angelastet werden könnte, die bereit sind, ihren Banken weiterhin zu erlauben, dass sie Steuerhinterziehung in den USA begünstigen.»
Wenn das Schweizer Parlament dem Abkommen bis zum Ende der Session am 18. Juni nicht zustimme, werde das US-Justizdepartement im Namen der Steuerbehörde IRS den Gerichtsfall gegen die UBS in Florida wieder aufnehmen, mit dem die Bank zur Herausgabe von 52’000 Namen amerikanischer Kunden gezwungen werden soll, erklärte eine Person in der New York Times, die nicht genannt werden will und die über die Angelegenheit im Bilde ist.
Corinne Buchser, swissinfo.ch
Die US-Steuerbehörde IRS erklärte Anfang April, man zähle darauf, dass die Schweiz die Umsetzung des Vertrages, 4450 UBS-Kontendaten über ein Amtshilfeverfahren an die USA auszuhändigen, einhalte. Andernfalls stehe den US-Behörden weiter der Rechtsweg offen.
Insgesamt umfasst die Zusammenstellung der IRS 17 juristische Schritte und reicht zurück bis Dezember 2007, als sich der russisch-amerikanische Milliardär Igor Olenicoff als erster schuldig bekannte, über UBS-Konten Gelder am Fiskus vorbeigeschleust zu haben. Olenicoff bezahlte saftige Bussgelder und verklagte dann seinerseits die Bank.
Auf die Spur Olenicoffs kam die IRS durch den ehemaligen UBS-Banker Bradley Birkenfeld, der den Steuerbehörden die unlauteren Geschäfte der Bank offenlegte, seine Rolle dabei aber vertuschte und deshalb nun eine 40-monatige Haftstrafe absitzt.
Im Juni 2008 reichte das Justizdepartement vor Gericht in Florida den sogenannten John Doe Summons ein – die Forderung, von der Bank Auskunft über bis zu 52’000 UBS-Konten zu erhalten.
Im November 2008 wurde der UBS-Spitzenmanager Raoul Weil angezeigt. Er soll sich mit anderen Managern und wohlhabenden Kunden zum Betrug an den USA verschworen haben.
Im August 2009 unterzeichnete der Bundesrat das Abkommen mit den USA, das den Streit beilegen sollte. Statt Einsicht in alle 52’000 fraglichen UBS-Konten zu gewähren, sollte die Schweiz den Amerikanern 4450 Daten der Hauptverdächtigen US-Steuerpflichtigen mit UBS-Konten überreichen.
Den Anzeigen gegen Amerikaner mit UBS-Konten, die sich dem Fiskus entziehen, hat das Abkommen indes keinen Abbruch getan.
Im Januar 2010 erklärte das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht die Herausgabe von Kontendaten amerikanischer UBS-Kunden an die USA für illegal.
Anfang Juni stimmte der Ständerat dem Staatsvertrag mit den USA zur Herausgabe von UBS-Kundendaten zu.
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