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Der Kampf um Schengen/Dublin kann beginnen

Die Bilateralen II dürften im Parlament durchkommen, doch droht ein Referendum gegen Schengen/Dublin. Keystone

Das Schweizer Parlament hat am Dienstag mit der Debatte zu den bilateralen Verträgen mit den Schlüsseldossiers Schengen und Dublin begonnen.

Die Abkommen dürften von den Parlamentariern angenommen werden. Doch vermutlich wird das Volk das letzte Wort haben.

Unter den Abgeordneten geniessen die Abkommen von Schengen (Sicherheit) und Dublin (Asyl) zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) grosse Unterstützung. Einzig die rechtsbürgerliche Schweizerische Volkspartei (SVP) opponiert dagegen.

Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) und die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) plädieren für die Zusammenarbeit mit der EU und damit auch für mehr Sicherheit und eine bessere Handhabung der Flüchtlingsströme.

Diese Haltung wird von Wirtschaftskreisen unterstützt, besonders dem Tourismus-Sektor. Besucher mit einem gültigen Visum eines Schengen-Landes beispielsweise würden kein spezielles Visum mehr für die Schweiz benötigen.

Kritische Linke

Die Linke trägt die Abkommen ebenfalls. Trotzdem konnte man in letzter Zeit in der linken Presse auch extrem kritische Artikel lesen, wie beispielsweise in der Genfer Zeitung «Le Courrier».

Mit Schengen und Dublin verkomme Europa zur Festung für Weisse und Reiche, kritisierte das Blatt. Die beiden Abkommen würden die Türen öffnen zu einem Polizei- und Repressionsstaat.

Die parlamentarische Linke allerdings wird Schengen/Dublin annehmen, meint Jean Philippe Jeannerat, Pressesprecher der linken Sozialdemokratischen Partei (SP). Die Vorteile würden die Nachteile bei weitem überwiegen.

Sicherheit und Asyl seien Fragen, welche ganz Europa betreffen würden. Die Schweiz könne hier keinen Sonderzug fahren. Was mögliche Probleme beträfe, könne mit der Gesetzgebung reagiert werden.

So werde etwa eine Fichierung von Personen kompensiert durch die grösseren Kompetenzen des eidgenössischen Datenschützers.

«Unter den linken und grünen Abgeordneten wird es wohl die eine oder andere Stimmenthaltung geben, doch ein Nein wird vermutlich niemand abgeben», erklärt Jeannerat.

Diese kritische, aber realistische Haltung wird geteilt von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH). Sie spricht von einer «verhaltenen Zustimmung» ohne Enthusiasmus.

Une droite dure intraitable… mais versatile

Tatsächlich kommt die einzige Opposition von der Schweizerischen Volkspartei (SVP, rechtsbürgerlich). In ihren Verlautbarungen und Positionspapieren hält sich die Partei von Bundesrat Christoph Blocher denn auch nicht zurück mit ihrer Meinung.

Für die SVP ist das Schengen-Abkommen und die damit verbundene Öffnung der Grenzen eine Einladung an Kriminelle, Immigranten und Menschenhändler .

Und wenn es um eine engere Zusammenarbeit im Asyl-Bereich geht, Stichwort «Dublin, ist die SVP der Ansicht, davon dürfe man sich nichts erwarten. «Angesichts des notorischen, tausendfach wiederholten Missbrauchs im Asylwesen und der Inaktivität der Behörden in Bern, ist auch das Abkommen von Dublin nichts als eine Illusion.»

Dazu ist anzufügen, dass die SVP in dem Zusammenhang auch schon anders getönt hatte. Bis ins Jahr 2000 hatte sie nämlich noch auf eine Zusammenarbeit mit der EU im Rahmen von Schengen und Dublin gesetzt.

«Es ist auch wichtig, dass die Schweiz am System EURODAC (Datenbank mit Fingerabdrücken aller Asylsuchenden, die in einem EU-Land ein Asylgesuch eingereicht haben) teilnehmen kann, dass die Wirksamkeit des Dubliner Erstasylabkommens und allfälliger Parallelabkommen ermöglichen», schrieb die Partei damals.

Diese Positionen finden sich vor allem in zwei Partei-Publikationen: «Sicherheit ist ein Recht» vom August 1999 und «Unabhängig, neutral, selbstbewusst» vom Juli 2000 (Siehe Links). Die stramm recht politisierende SVP hat also in den letzten Jahren ihren Standpunkt verlagert.

Referendum in der Schublade

Die Gegnerschaft stellt das neue Paket der Bilateralen Verträge II häufig als eine zusätzliche Annäherung zwischen der Schweiz und Europa dar. Eine Annäherung, die schliesslich in einen Beitritt münden soll.

Weil sie strikte gegen einen EU-Beitritt ist, stellt die SVP diese «Bedrohung» ins Zentrum ihrer Kampagne. «Schengen: EU-Beitritt durch die Hintertür!», titelte sie bereits am 2. Juni in einer Pressemeldung.

Die stramme Rechte wird daher alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um die neuen Abkommen zu Fall zu bringen. Doch weil sie in diesem Thema praktisch allein opponiert, wird sie im Parlament wohl keine Chance haben.

Daher setzt sie auf das Volk: Bereits im Juni haben die Delegierten der SVP ihrer Parteileitung einen Freipass gegeben, das Referendum zu ergreifen, falls die Abkommen im Parlament durchkommen werden. Die Schlacht um Schengen/Dublin hat also eben erst begonnen.

swissinfo, Olivier Pauchard
(Übertragen aus dem Französischen: Rita Emch und Christian Raaflaub)

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