Die SVP beherrscht den Wahlkampf
Missbrauch von Sozialleistungen, kriminelle Ausländer als schwarze Schafe: Die Schweizerische Volkspartei provoziert in ihrer Wahlkampagne bewusst, um die Aufmerksamkeit der Wählerschaft auf sich zu ziehen.
Die aggressive Wahlkampagne der SVP hat viel Empörung ausgelöst. Die Partei hat ihr Ziel jedoch erreicht: Sie steht im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Der Missbrauch ist das Problem – der Ausschluss die Lösung: Die rechtsbürgerliche SVP bietet ihren Wählerinnen und Wählern einfache Lösungen an. Missbrauch betreiben beispielsweise die «Scheininvaliden», welche die staatlichen Sozialversicherungs-Systeme ausnützen, oder «Parasiten», die am Tropf der Sozialhilfe hängen, oder junge Kriminelle, die vom Staat profitieren.
Ins Visier genommen hat die SVP auch Ausländer, die das Asylrecht und die Gastfreundschaft der Schweiz missbrauchen: Solche Personen müssen ausgeschafft werden. Auf den Wahlplakaten der SVP vertreiben drei weisse Schweizer Schafe ein schwarzes Schaf.
Die SVP-Slogans haben für Empörung gesorgt, nicht nur in der Schweiz, sondern auch im Ausland. Der Protest reicht von politischen Parteien über Ausländer- und Minderheitenverbände bis zur Bundespräsidentin und dem UN-Rassismusbeauftragten. Doch all diese Reaktionen sind durchaus im Interesse der SVP. So wird Aufmerksamkeit erreicht; die Themen werden diskutiert.
Pro und Contra SVP
«Die dominierenden Themen dieses Wahlkampfs kreisen um die SVP-Kampagne: Ihre Inhalte und Vorschläge, aber auch ihr politischer Stil mitsamt der Personalisierung der Politik. Die SVP attackiert und beeinflusst so die Taktik ihrer Gegner», sagt der Politologe Oscar Mazzoleni.
«Im Wettbewerb um die Wählergunst definiert sich die Stärke einer Partei unter anderem durch ihre Fähigkeit, eine klare Sprache zu benutzen und sich ein klares Image zu geben. Die SVP führt zu diesem Zweck einen Wahlkampf in Schwarz-Weiss-Manier: Für oder gegen Ausländer, rein oder raus, und so weiter.»
Diese Taktik zwingt die anderen Parteien und die Wählerschaft, sich ständig für oder gegen die SVP-Positionen auszusprechen. Wählen kann man laut SVP zwischen «Himmel und Hölle», wobei die Hölle eine von links-grünen Kräften dominierte Schweiz ist, in der Gewalt, Drogen und Arbeitslosigkeit herrschen und sich die Muslime ausbreiten.
«Über Jahrzehnte hat die Konkordanz-Politik und die Zauberformel ganze Generationen von Politikern auf eine Art ‹Nicht-Angriffs-Pakt› eingeschworen. Dieser betraf nicht nur die Sitzverteilung in der Regierung, sondern auch die Art des Wahlkampfs. Die SVP hat mit dieser Tradition gebrochen», so Oscar Mazzoleni.
Personalisierter Wahlkampf
Die allgemeine Empörung der anderen Parteien, die den SVP-Stil als unschweizerisch bezeichnen, erlauben es dieser Partei, sich in der Opferrolle zu sehen und den Wahlkampf zu personalisieren. So beklagt die rechtsbürgerliche SVP beispielsweise einen heimlichen Komplott gegen ihren Bundesrat Christoph Blocher, den man aus der Regierung abwählen wolle.
«Die SVP ist an einer Personalisierung der politischen Debatte sehr interessiert. Mit der Botschaft ‹Blocher in Gefahr› vermag sie ihre Wählerschaft zu mobilisieren und sich wichtigen Sachthemen zu entziehen“, analysiert der Politologe Werner Seitz.
Tatsächlich schaffen wichtige Sachthemen kaum den Sprung in den aktuellen Wahlkampf. Sogar der Umweltschutz, der im Frühjahr noch das dominierende Thema zu sein schien, ist heute fast vergessen. Zwar werden etliche Parteiprogramme zu den Sachthemen produziert, doch in der alltäglichen Diskussion kommen diese Positionen kaum vor.
«Genauso wie das Militär und die Kirchen stellen auch die politischen Parteien und ihre Programme immer weniger eine Referenz für die Bürger dar. Die Parteizeitungen sind verschwunden. Die Wähler fühlen sich freier als früher, haben aber auch mehr Schwierigkeiten, sich im Dschungel der Sachfragen zu orientieren», meint Seitz. Komplexe soziale Fragen würden in einfache Entscheidungen umgedeutet, beispielsweise in die Frage: Seid Ihr für oder gegen Blocher?
Auch SP im Trend
Die Tendenz hin zu einer zunehmenden Personalisierung und Verschärfung der politischen Sitten im Wahlkampf hat auch in der Schweiz zugenommen. Dies zeigt die gegenwärtige Debatte im Fall Blocher-Roschacher.
Verschiedene Politiker, nicht nur der SVP, liessen sich zu Äusserungen hinreissen, die in der schweizerischen Polit-Szene unüblich sind.
«Bis vor 10 Jahren ging es bei den Eidgenössischen Wahlen nicht um viel. Einige Sitze im Parlament standen auf dem Spiel. Doch in den letzten Jahren, vor allem seit 2003, hat sich gezeigt, dass die Wahlen die Zusammensetzung der Regierung verändern können“, sagt Mazzoleni.
Daher habe sich der Wahlkampf verschärft. Die Schweiz hat sich laut Mazzoleni in gewisser Weise anderen europäischen Demokratien angeglichen.
swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Das politische System in der Schweiz wird seit über einem halben Jahrhundert von vier politischen Parteien dominiert. Sie vereinen einen Wählerstimmenanteil von zusammen 80 Prozent auf sich: Schweizerische Volkspartei (SVP), Sozialdemokratische Partei (SP), Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) und Christlichdemokratische Volkspartei (CVP).
Von 1957 bis 2003 haben sich diese vier Parteien die sieben Regierungssitze nach der so genannten «Zauberformel» geteilt: 2 FDP, 2 SP, 2 CVP, 1 SVP.
Die SVP war bis vor acht Jahren die kleinste der vier Regierungsparteien. Doch bei den Wahlen von 1999 und 2003 konnte die SVP stark zulegen und avancierte sogar zur wählerstärksten Partei vor SP, FDP und CVP.
Dank ihres Erfolgs im Jahr 2003 erhielt die SVP einen zweiten Sitz in der Regierung. Die CVP musste einen Sitz abgeben. Für die SVP sitzt seither, nebst Samuel Schmid, Christoph Blocher im Bundesrat.
Ergebnisse der Parlamentswahlen von 2003 (in Klammern die Ergebnisse der letzten Meinungsumfrage vom August):
SVP: 26,7% (26,2)
SP: 23,3% (22,8)
FDP: 17,3% (15,8)
CVP: 14,4% (15,2)
Grüne: 7,4% (9,5)
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