Eine Regierung des Unfriedens?
Mit Christoph Blocher hat die Schweizerische Volkspartei einen zweiten Sitz im Bundesrat. Der Wählerwille ist respektiert.
Die Regierung ist nun aber stärker polarisiert als zuvor. Was bedeutet dies für die Konkordanz? Ein Gespräch mit dem Politologen Oscar Mazzoleni.
swissinfo: Christoph Blocher ist Bundesrat. Wird er sich weiterhin noch als «anderer» Politiker darstellen können?
Oscar Mazzoleni.: Wahrscheinlich wird das in den letzten Jahren aufgebaute Image als Politiker «ausserhalb der Politikerkaste» mittelfristig in Frage gestellt. Akzeptiert Blocher die Regeln der Kollegialität, wird er auch politische Vorschläge verteidigen müssen, die dem widersprechen, was er bisher für gut befunden hat. So kann er es nicht vermeiden, sich jenen Politikern anzugleichen, die er bisher von aussen kritisiert hat.
swissinfo: Kann Blocher seine politischen Vorstellungen innerhalb des schweizerischen Regierungssystems überhaupt durchsetzen?
O.M.: Schwierig zu sagen. Es wird viel davon abhängen, welche Allianzen er innerhalb der Regierung, im Parlament und im Land selbst bilden kann. Dabei darf man auch die Schwerfälligkeit und Funktionsweise der Institutionen nicht unterschätzen.
Die Möglichkeiten einer einzelnen Person sind innerhalb des aktuellen Regierungssystems ziemlich eingeschränkt.
swissinfo: Die Schweizerische Volkspartei (SVP) hat sich in der Vergangenheit, obwohl sie stets an der Regierung beteiligt war, thematisch und stilistisch stark radikalisiert. Ist jetzt, wo sie stärker in die Regierungsverantwortung eingebunden ist, eine Fortführung dieser Radikalisierung denkbar?
O.M.: Denkbar wäre eine Abschwächung der Radikalisierung, im ähnlichen Stil wie das dem Anti-Establishment passiert ist. Andererseits darf man das Verhalten jenes Teils der SVP nicht unterschätzen, der mit Blocher zur Radikalisierung der Partei beigetragen hat. Es ist fraglich, ob alle akzeptieren können, das Oppositions-Banner runter zu fahren und mit der Lancierung von Initiativen und Referenden aufzuhören, die gegen die Regierung gerichtet sind.
Für den Moment noch würde ich die Gefahr einer starken Opposition ausschliessen. Doch mittelfristig scheint es durchaus möglich, dass der bekannte Proteststil wieder aufflammt, sogar gegen Blocher selbst.
swissinfo: Der Bundesrat ist nach rechts gerutscht. Die Exekutive ist gespaltener denn je. Oft bemüht wurde der «Respekt vor der Konkordanz». Doch ist es überhaupt möglich, unter diesen Umständen von Konkordanz zu sprechen? Mit anderen Worten: Ist die Wahl vom 10. Dezember ein erster Schritt in Richtung Transformation des politischen Systems von der Konkordanz zur Bipolarität?
O.M.: Ob der momentane Stil des Aushandelns und der Kompromisse innerhalb des Bundesrats überlebt, hängt von der Rolle ab, die Blocher und Merz einnehmen werden. Das Überleben hängt auch vom Umstand ab, ob und wie sich dauerhafte Mehrheiten bilden. Deshalb bleibt erst abzuwarten, ob und wie stark die Sozialdemokraten im Bundesrat effektiv isoliert werden und welche Rolle die CVP-Vertretung einnehmen wird. Ein latenter oder verschleierter Bipolarismus ist nicht auszuschliessen, aber als gesetzt würde ich ihn nicht sehen.
swissinfo: Die Bundesratswahlen vom 10. Dezember waren für die Frauen eine Niederlage. Ruth Metzler wurde abgewählt, Christine Beerli wurde ein Mann vorgezogen. Welche Auswirkungen hat das auf die Situation der Frauen in der Schweiz?
O.M.: Die Wahl vom 10. Dezember hat bestätigt, dass bei einer Verschärfung des politischen Konkurrenzkampfes die Frauen die ersten Opfer sind. Diese Tatsache ist nicht neu, sie wiederholt sich immer wieder, zum Beispiel bei den Parlamentswahlen der vergangenen Jahre. In den Kantonen mit einer kleinen Anzahl von Nationalratssitzen ist auch die Anzahl der gewählten Frauen kleiner.
Die symbolische und politische Bedeutung der Bundesratswahlen vom Mittwoch übertrifft allerdings bei weitem jene von anderen Wahlen. In den nächsten Monaten werden wir sehen, ob die Wahl vom 10. Dezember auch einen Versuch in sich birgt, die derzeitige Bundespolitik zur Gleichstellung der Geschlechter zu schwächen.
swissinfo: Die «Zauberformel» von 1959 resultierte aus Abmachungen zwischen Sozialdemokraten und der CVP. Die neue bundesrätliche Zusammensetzung hingegen scheint aus Abmachungen zwischen dem Freisinn und der SVP zu resultieren. Glauben Sie, dass eine solche Allianz halten kann?
O.M.: Heute mehr als in den vergangenen Jahrzehnten wollen Freisinn und Volkspartei demonstrieren, dass sie die wahren politischen Referenzzentren des schweizerischen Wirtschafts- und Finanzlebens sind. Andererseits birgt eine zu grosse Ähnlichkeit für den Schwächeren der beiden Partner, das heisst für die freisinnige Partei, grosse Risiken. Es könnte dem Klima der Einigkeit, das am 10. Dezember entstand, schaden.
So gesehen, erscheint die Allianz zwischen Sozialdemokratie und CVP aus den fünfziger Jahre anders geschmiedet. Die beiden Parteien schienen sich auch auf kantonaler Ebene weniger stark direkt zu konkurrieren. Dies kam der langfristigen Stabilität der Zauberformel zu Gute.
swissinfo-Interview: Andrea Tognina
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)
Der neu zusammengesetzte Bundesrat zeigt, dass harte politische Konkurrenzkämpfe auf Kosten der Frauen ausgetragen werden. Das meint der Politologe Oscar Mazzoleni.
Ob der gegenwärtige Stil in der Regierung, Kompromisse auszuhandeln überleben werde, komme auf die Rolle an, welche die neuen Bundesräte Christoph Blocher und Hans-Rudolf Merz übernähmen.
Dass die neue Allianz von FDP und SVP ebenso lange halten wird wie jene von SP und CVP, bezweifelt er. Zu stark buhlten die Kantonal-Parteien um dieselbe Wählerschaft.
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