Endlich Steuerfriede mit Deutschland?
Der deutsche und der Schweizer Verhandlungsleiter haben am Mittwoch ein Steuerabkommen paraphiert. Datendiebe und an Steuerdelikten beteiligte Banker kommen, mit Einschränkungen, straflos weg. Experten reagieren positiv.
Obschon Steuersätze, Garantiesummen und andere Eckwerte des Steuerabkommens bereits bekannt und erwartet wurden, besteht nun seit Mitte Woche Gewissheit, falls nach den Regierungen, die es unterzeichnen, auch die Parlamente der beiden Länder dem Abkommen zustimmen.
Der Abgeltungssteuersatz beträgt 26,375%, die Garantiesumme, die die Banken zum Voraus aufbringen müssen, beläuft sich auf 2 Mrd. Franken, Amtshilfe gibt es nicht automatisch, sondern zahlenmässig beschränkt, und die Nachbesteuerung des Altgeldes beläuft sich je nach Vermögensgrösse und Dauer zwischen 19 und 34%.
Im März 2009 hatte sich die Schweiz verpflichtet, bei der Amtshilfe in Steuerfragen neu den OECD-Standard umzusetzen, was Auskünfte betrifft. Zahlreiche Doppelbesteuerungs-Abkommen (DBA) sind seither neu paraphiert worden. Doch waren sowohl der Bundesrat als auch die Banken der Meinung, die Schweiz müsste speziell mit interessierten EU-Ländern Abkommen abschliessen, die über diese neuen DBA hinausgehen.
Deutschland als «Erstland»
Das Land zuoberst auf der Prioritätsliste für ein solches Abkommen war Deutschland, da Deutsche traditionell seit mehr als einem Jahrhundert ihr Geld in der Schweiz anlegen. Schätzungen gehen davon aus, dass bei Weitem der grösste Teil aller ausländischen Vermögen auf Schweizer Banken aus Deutschland stammt.
Geschätzt wird diese Summe auf rund 130 Mrd. Euro, wobei laut Finanzplatz-Experten hier die Möglichkeit nicht berücksichtigt ist, dass ein Grossteil längst in weitere Finanzplätze weiterverschoben wurde, die weder in Reichweite von Berlin noch von Brüssel liegen.
Das weiss man auch in Deutschland: «Es geht uns nicht darum, Anleger von der Schweiz fernzuhalten», zitierte Der Spiegel kürzlich den deutschen Verhandlungsführer für das Steuerabkommen mit der Schweiz, Staatssekretär Hans Bernhard Beus. «Uns ist es lieber, das Geld liegt in der Schweiz als in Panama.»
Beus war beim Aushandeln des Abkommens der Verhandlungspartner des Schweizer Staatssekretärs Michael Ambühl, dem Leiter des Staatssekretariats für Internationale Finanzfragen (SIF).
«Es liegt ein sehr gutes Abkommen vor», schätzt Bank- und Finanzexperte Martin Janssen von Ecofin gegenüber swissinfo.ch. «Die Schweizer Verhandlungsseite unter Michael Ambühl hat einen guten Job gemacht.»
Auch Privatbanquier Konrad Hummler, Wegelin & Co., nimmt «mit Befriedigung vom Abschluss der Verhandlungen Kenntnis»: Es sei ein ausgewogenes Verhandlungsresultat erreicht worden, sagt er auf Basis der bisher veröffentlichen Information. Einzig die Garantiezahlung erweise sich als «bittere Pille, die aber im Lichte des Gesamtergebnisses geschluckt werden» könne.
Bis ein Viertel des Vermögens geht weg
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Die Schweizerische Bankiervereinigung (SwissBanking) veranschlagt in einer ersten Stellungnahme die «effektive Steuerbelastung für die meisten Kunden zwischen 20 und 25% des Gesamtvermögens», um die Vergangenheit zu regulieren.
Künftig könne der Finanzplatz «steuerkonforme Vermögen akquirieren und verwalten». Und zwar neuerdings auch vor Ort in Deutschland ohne Niederlassung. Der Marktzugang war seit vielen Jahren ein Streitpunkt zwischen den beiden Ländern gewesen.
Erkauft wird dies durch die Schweizer Banken mit einer Garantiesumme von 2 Mrd. Franken. Diese hat im Vorfeld der Paraphierung innerhalb der Schweizer Banken ebenfalls für viel Ärger gesorgt, weil jene Institute, wie zum Beispiel Raiffeisen, die nur wenige deutsche Kunden haben, nicht mitzahlen wollen. Diese Garantiesumme ist als Sicherheitsleistung an den deutschen Fiskus zu interpretieren.
Damit nicht weiterhin deutsche Gelder unversteuert in die Schweiz fliessen, können deutsche Steuerfahnder Auskünfte einfordern. Diese Gesuche sind aber zahlenmässig beschränkt und müssen plausibel sein.
Neue Gründe fürs Anlegen in der Schweiz
Dem expliziten Wunsch der Schweizer Banken nach Marktzutritt in Deutschland sei entsprochen worden, sagt Janssen. «Der Banker aus der Schweiz heraus darf weiterhin deutsche Kunden beraten oder sie in Frankfurt besuchen.»
Er sieht die Vorteile vor allem mit dem Bedürfnis des deutschen Kunden nach Risiko-Diversifikation: «Seine Anonymität bleibt ja gewahrt. Und wenn es so weitergeht mit dem Schlamassel in der EU, ist man froh, Teile seines Vermögens in der Schweiz zu haben. Es könnte ja, wie auch schon, in Deutschland wieder zu Zwangsanleihen kommen.»
Daten-CDs und Amnestien
Der Streit um den behördlich tolerierten Ankauf von gestohlenen Bankenkundendaten, der in den letzten Jahren etliche Male für Wirbel gesorgt hatte, soll ebenfalls ein Ende haben. Laut dem Finanzdepartement sieht Deutschland vor dem Hintergrund des Abkommens «keinen Anlass mehr für den Ankauf entwendeter Bankkundendaten».
Die Schweiz ihrerseits verpflichte sich, Personen, die an deren illegalen Erwerb beteiligt waren, strafrechtlich nicht zu verfolgen. Damit kommen die Datendiebe straflos weg. Anderseits sehe auch Deutschland davon ab, unter gewissen Einschränkungen Bankmitarbeitende wegen Teilnahme an Steuerdelikten strafrechtlich zu verfolgen.
Weitere solche Steuerabkommen mit Drittstaaten sollen folgen, sobald dasjenige mit Deutschland als Modell mit Signalwirkung dient. Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf hat sich in einer ersten Stellungnahme zufrieden gezeigt, weil das Abkommen «Rechtssicherheit schafft».
Seit der Finanz- und Schuldenkrise muss sich die ins internationale Visier der Steuerfahnder gekommene Schweiz zusätzlich anstrengen, den Missbrauch des Bankgeheimnisses bei Steuerdelikten zu verhindern.
Die Zukunft des Finanzplatzes steht auf dem Spiel, immerhin ist er für den Wohlstand der Schweiz mit 11% Anteil am BIP und 200’000 gut qualifizierten Arbeitsplätzen der bedeutendste Wirtschaftssektor.
Der Steuerstreit hatte 2008 begonnen, als deutsche Fahnder im Streit mit Liechtenstein auch die «Eidgenössische Steuertrutzburg» ins Visier nahmen.
Im März 2009 musste die Schweiz, um von der schwarzen OECD-Steueroasen-Liste abgesetzt zu werden, die OECD-Standards übernehmen.
Im Winter 2010 verkaufte erstmals ein Informant geklaute Daten von Anlegerkonten.
Im Oktober 2010 wurde das neue Doppelbesteuerungs-Abkommen unterzeichnet, das eine Abgeltungssteuer vorsah.
Die Abgeltungssteuer ist eine Quellensteuer, die auf ausländischen Vermögen (also auf Dividenden, Zinsen, Kapitalgewinne, Vermögenswerte, etc. von Geldern auf Schweizer Banken in ausländischen Besitz) erhoben wird.
Nach deren Bezahlung ist die Steuerpflicht gegenüber dem Wohnsitzstaat grundsätzlich erfüllt. Um Umgehungen zu verhindern, soll eine erweiterte Amtshilfe vereinbart werden.
Diese Steuerlösung wurde vor allem vom St. Galler Privatbanquier Konrad Hummler vertreten, seit der Bundesrat die im Ausland nicht mehr akzeptierte Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug aufheben musste («Schwarze OECD-Liste»).
Mit der Abgeltungssteuer werden zwei wichtige Ansprüche befriedigt. Erstens beansprucht das Ausland Steuern auf Gelder, die in der Schweiz sind. Und zweitens will die Schweiz, dass die Privatsphäre der (ausländischen) Kundschaft respektiert wird.
In den kommenden Wochen soll auf die Paraphierung die Unterzeichnung durch die beiden Regierungen folgen. Danach kommt das Abkommen vor den Bundestag in Berlin und die Räte in Bern.
In der Schweiz untersteht es voraussichtlich dem fakultativen Referendum. Läuft alles wie geplant, würde es Anfang 2013 in Kraft treten.
Nur: Ganz sicher ist das nicht, denn auf beiden Seiten des Rheins gibt es Widerstand. In der Schweiz sind rechtskonservative Politiker skeptisch, wenn weitere Erosionen der Souveränität und des Bankgeheimnisses vermutet werden.
Nördlich des Rheins jedoch sind es linke Politiker, denen das Abkommen nicht gefällt. «Es werden die belohnt, die am längsten gezockt haben», sagte SPD-Finanzexpertin Nicolette Kressl kürzlich gegenüber dem Spiegel.
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