Untersuchungen und Beweise: Dies die Forderungen in der Schweizer Presse zum Bericht Dick Martys über angebliche Verstrickungen der Regierung Kosovos in Organhandel und Auftragsmorde. In der Pflicht steht Pristina, aber vor allem die EU.
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«Die EU muss Klarheit schaffen», fordern der Berner Bund und der Zürcher Tages-Anzeiger. Der Bericht des Schweizer Europarats-Ermittlers basiere zwar oft auf vagen oder zweifelhaften Quellen und lese sich streckenweise wie eine politische Abrechnung.
Dennoch müssten die Vorwürfe wegen der Schwere der Verbrechen ernst genommen werden, und die Regierung Kosovos müsse sich einer neuen Untersuchung stellen.
«Weil die Justiz der jungen Republik dazu selbst nicht in der Lage ist, steht die EU nun in der Pflicht, diese Aufgabe dringend in Angriff zu nehmen.»
EU-Aussenministerin Katherine Ashton drücke sich um die Verantwortung, wenn sie die Beweispflicht auf Marty abschiebe. Denn solange die schweren Vorwürfe auf dem angeschuldigten kosovarischen Präsidenten Thaci lasteten, sei dieser als Partner Brüssels diskreditiert.
Wer umgekehrt aber den Wirbel um Martys Bericht zum Anlass nehme, die Unabhängigkeit Kosovos in Frage zu stellen, macht sich laut Bund und Tages-Anzeiger lächerlich, denn «das Rad der Geschichte kann nicht mehr zurückgedreht werden».
Brüssel droht Imageschaden
Auch die Neue Luzerner Zeitung sieht Handlungsbedarf. «Es ist höchste Zeit, dass sich auch Pristina mit den düsteren Kapiteln der Geschichte auseinandersetzt. Ohne Druck des Westens wird jedoch nichts geschehen.»
Die Aufgabe der EU-Mission bestehe darin, den Rechtsstaat in Kosovo zu festigen. Sie könne nur erfolgreich sein, wenn Kriegsverbrechen geahndet würden. Das gelte auch im Fall Thacis, sollten sich die Vorwürfe erhärten, so die NLZ.
Laut Le Temps droht der EU eine hohe politische Rechnung. Würden Untersuchungen die Vorwürfe Martys bestätigen, gerate Brüssel auf die Anklagebank, denn laut EU-Strategie sei die Unabhängigkeit Kosovos ein Stützpfeiler der Integration des Balkans, so die Genfer Zeitung.
Apple-Boss Steve Jobs als Vorbild
Die Neue Zürcher Zeitung widmet sich nicht möglichen politischen Implikationen, sondern unterzieht die Methoden Dick Martys einer kritischen Betrachtung.
Der ehemalige Tessiner Staatsanwalt verfolge eine «Dramaturgie der Ermittlung». Diese bestehe darin, «möglichst viel Staub aufwirbeln, damit sich weitere Zeugen und Informanten melden oder die internationalen Organisationen, die Kosovo faktisch verwalten, tätig werden».
Martys Gabe, «Untersuchungsberichte zu inszenieren», habe er Steve Jobs abgeschaut. «Der 65-Jährige bewundert das Talent des Apple-Chefs, dessen Produkte so lange im Sack zu lassen, bis man sich Wunder davon verspricht.»
Kehrseite der Methode seien aber schwere Beschuldigungen ohne Beweise. Marty sei nicht nur Ermittler, sondern auch Partei. Dies weil sich der Ständerat stets klar gegen die Unabhängigkeit Kosovos ausgesprochen habe.
Dieser Vorwurf Pristinas wiegt für die NZZ immerhin so schwer, dass sie Marty dem «Verdacht auf Vorverurteilung» des jungen Staates aussetzt.
Immerhin räumt die Neue Zürcher Zeitung ein, dass sich die britische Regierung bei Marty entschuldigt habe, nachdem sie dessen zwei Berichte von 2006 und 2007 über geheime CIA-Gefängnisse anfänglich belächelt habe.
Die Schweiz hatte Kosovo bereits zehn Tage nach der Unabhängigkeits-Erklärung vom 17. Februar 2008 als neuen Staat anerkannt.
Auch hatte sie sich als eines der ersten Länder schon 2005 für die Unabhängigkeit des Landes ausgesprochen.
Zu der raschen Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos durch die Schweiz trug auch die grosse Zahl von Kosovaren in der Schweiz bei – heute sind es rund 170’000.
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