«Götterdämmerung in der Energiepolitik»
Kühnere Schritte und Weitblick in der Klimapolitik sowie mehr Innovation in der Technik wünscht sich der Klimatologe Heinz Wanner angesichts der weltweiten Herausforderungen. Sorge bereitet dem Schweizer Forscher der Zerfall der politischen Mitte im Land.
Grundsätzlich vertraut er den Politikerinnen und Politikern im Land, auch wenn sich der emeritierte Professor und Klimaforscher ab und zu «ein bisschen nervt», dass die Schweizer Demokratie viel Zeit braucht und in der Klimapolitik nur «kleine Schritte» gemacht werden.
Im Kontakt mit Politikerinnen und Politikern hat der Berner Forscher gelernt, dass in erster Linie das Budget und die Finanzen der nächsten zwei bis vier Jahre zählen und erst dann die Ziele der Umweltpolitik diskutiert werden.
Zu viel Nähe ist ungesund
Dass die Forschung die Politik miteinbezieht und die Kontaktpflege mit Parlament und Exekutive wichtig ist, steht für den 66-jährigen Forscher ausser Frage. Früh habe er von seinen Grossvätern – der eine war ein Mitbegründer der BGB (Vorgängerin der SVP), der andere ein Sozialdemokrat – auch gelernt, dass man sich engagieren solle.
Allerdings müssten die Forschenden unabhängig bleiben, sich nicht vereinnahmen lassen und auch kein Geld entgegen nehmen. Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter müssten «ehrliche Makler» sein, sagt er in Anlehnung an das Buch «The Honest Broker» eines US-Kollegen.
«Ich habe mich nie in ein Gremium oder in ein Komitee wählen lassen, weder im ‹grünen Bereich›, also bei den in der Umweltpolitik aktiven Leuten, noch auf der rechten Seite, wo man eher gebremst hat», sagt der parteiunabhängige Professor.
Widersprüchliche Wahrnehmung
Wanner, der auch dem Weltklimarat angehört und viel unterwegs ist, stellt immer wieder fest, dass Schweizer aus Politik, Wissenschaft und Industrie im Ausland hoch geachtet und willkommen sind, dies stehe allerdings in krassem Gegensatz zum Gesamtbild der Schweiz.
Denn die Schweiz habe das Image eines kleinen Landes, das sich überall Vorteile holen wolle, die Rosinen herauspicke, aber an der Front nicht mitstosse.
«Ich frage mich, ob diese Diskrepanz den Politikern und Politikerinnen der Schweiz bewusst ist. Vielleicht müssten sie wie die Leute aus Industrie und Wissenschaft mehr ins Ausland reisen und das hinterfragen.»
Dem Klima fehlt eine starke Lobby
Wanner bedauert, dass die Schweiz ihre Vorreiterrolle im Klima- und Umweltschutz, die sie noch vor 10 bis 15 Jahren spielte, verloren hat.
«Damals, als die ganzen Diskussionen zur Luftverschmutzung aufkamen, verordnete die Schweiz recht strenge Grenzwerte. Heute aber haben wir im innovativ-industriellen Bereich, etwa der Solarenergie, an Terrain verloren und liegen europaweit noch knapp im Mittelfeld.» Deutschland zum Beispiel habe mehr Fortschritte gemacht.
Als Grund für diesen Rückfall der Schweiz nennt Wanner den Mangel an Weitblick und Mut in der Politik. «Mit Blick auf die Geldbörse der nächsten Legislatur und die eigenen Interessen wählte man statt kühner Schritte lieber Zwischenlösungen.»
Aber auch Organisationen wie der Wirtschaftsdachverband economiesuisse seien nicht sehr innovativ und hätten eher gebremst, sagt der Klimaforscher.
Wenn er sich die Lobbys in den Räten vor Augen halte, müsse er sagen, «dass wir zwar einige Leute haben, die sich für das Klima einsetzen, aber eine starke Lobby eindeutig fehlt».
So kann es nicht weitergehen
Die Welt erlebe zur Zeit etwas wie eine «Götterdämmerung» in der Energiepolitik, will heissen ein Chaos: Die Ölquellen sind irgendwann einmal ausgeschöpft, Indien und China greifen nach dem Öl, die Kernenergie ist infolge der Katastrophe von Fukushima als Ausweg umstritten.
Nun, so Wanner, müsse etwas Neues, Sinnvolles entstehen. «Aber wir wissen nicht, wie weiter und in der Schweiz fehlt es uns oft etwas an Mut.»
Die Menschheit könne angesichts der anstehenden Herausforderungen wie Bevölkerungsexplosion, Energie- und Wasserverknappung sowie Klimaproblem im 21. Jahrhundert jedoch nicht einfach so weiter machen.
Regionale Konzepte
Politik, Technik und Industrie müssten zusammenspannen und innovativer werden, um Fortschritte zu erzielen. Zudem müsse man von einer globalen Verteilung zentral gewonnener Ressourcen wie Öl oder Uran wegkommen.
«Es wird die Zeit kommen, wo wir uns diese Ressourcen regional beschaffen müssen – durch Wasserkraft, Bodenwärme, Sonnen –und Windenergie, sagt der Schweizer Experte. «Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir sparen und energieeffizienter werden müssen.»
Heinz Wanner plädiert auch für einen seriös geplanten Ausstieg aus der Atomenergie. «Auch mich hat die Katastrophe von Fukushima beeinflusst. Ich sehe keine andere Möglichkeit, als dass wir jetzt möglichst rasch von der Kernenergie wegkommen.»
Geboren 1945 in Biel, im Berner Seeland.
Der Geograf und Klimatologe war Co-Direktor des Forschungsprogramms Luftverunreinigung und Meteorologie in der Schweiz (Pollumet).
1988 wurde er Professor für Physische Geografie, Klimatologie und Meteorologie an der Universität Bern.
Von 2001 bis 2008 war er Leiter des Nationalen Forschungs-Schwerpunkts Klima (NCCR) sowie Direktor des International Past Global Changes Programme (Pages).
Er war Gründungspräsident des OcCC, des Beratungsorgans in Sachen Klimaveränderung der Schweizer Regierung.
2006 wurde der Berner mit dem Welt-Geografie-Preis Vautrin Lud ausgezeichnet, dem inoffiziellen Nobelpreis seiner Zunft.
Seit 2009 ist er Ehrendoktor der Humboldt Universität Berlin.
Ende 2010 trat er in den Ruhestand, bleibt dem Oeschger-Zentrum aber als Forscher erhalten.
Wanner gehört dem UNO-Weltklimarat IPCC an.
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