Grenzübergänge: Ende eines Anachronismus
Die nächtliche Schliessung kleinerer Grenzübergänge zwischen Italien und der Schweiz wird aufgehoben. Zumindest für eine halbjährige Versuchsphase.
Trotz des im Dezember 2008 in Kraft getretenen Schengen-Abkommens wurden etliche kleinere Grenzübergänge zwischen Italien und dem Tessin nachts nach wie vor geschlossen; die Strassen wurden sogar physisch mit einem Gatter verriegelt.
Bei Übergängen wie Ponte Cremenaga oder Fornasette zwischen Ponte Tresa und Luino gab es zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens kein Durchkommen. Bei anderen Übergängen erfolgte die Schliessung am Abend sogar schon gegen 22 Uhr.
Diese Praxis wird ab morgen 15. Oktober Geschichte sein – zumindest vorläufig. Die italienischen Zollkreise von Como und Varese teilten mit, dass auch die kleinen Grenzübergänge für eine Versuchsphase von sechs Monaten rund um die Uhr geöffnet werden.
Kreis Como vorsichtig
In der Provinz Varese betrifft dies sieben Grenzübergänge. Im Raum Como ist man etwas zurückhaltender. Dort will man vorläufig beim Übergang Pedrinate/Drezzo die nächtliche Sperrung aufheben und in einigen Monaten weiter sehen.
Tatsächlich waren und sind die Italiener für die geschlossenen Grenzen verantwortlich. Sie beriefen sich bisher darauf, dass die Schweiz nicht mit Italien in einer Zollunion sei und die Finanzpolizei die Übergänge schliessen könnte.
Allerdings stand diese Praxis im Widerspruch zum Schengen-Abkommen, welches den freien Personenverkehr zwischen Schengen-Staaten und die Verstärkung der Kontrollen an den Aussengrenzen vorsieht.
Historischer Moment
Jetzt die Wende: Der Kommandant der Finanzpolizei von Como, Rodolfo Mecarelli, sprach in der lokalen Presse sogar von einem „historischen Moment». Es nähere sich das Ende eines anachronistischen Zustands zwischen den beiden Nachbarländern.
Das Schweizer Grenzwachtkorps (GWK) hatte den Italienern stets signalisiert, dass es keine Probleme mit einer 24-Stunden-Öffnung der kleinen Grenzübergänge habe. «Wir werden die mobilen Hinterlandkontrollen an den neu geöffneten Grenzübergängen tendenziell verstärken», sagt Davide Bassi, Sprecher des Grenzwachtkorps IV in Lugano.
Die Arbeit des GWK ändere sich nicht. Die Italiener wollen ihrerseits auch mit mobilen Einheiten und Stichproben stärker kontrollieren, ausserdem wird die Videoüberwachung an den Grenzen verstärkt. Dazu gehören auch die «Fiscovelox», welche Autonummern filmen und jetzt im Zusammenhang mit der italienischen Steueramnestie im Einsatz sind.
Angst vor Kriminalität
Wenig Freude an der neuen Praxis haben allerdings die Tessiner Grenzgemeinden des Mendrisiotto im Südtessin. Dort entsprachen die nächtlich geschlossenen Grenzgänge stets einem Sicherheitsbedürfnis – Schengen-Abkommen hin oder her.
Im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Schengen-Abkommens am 12. Dezember 2008 hatten diverse Gemeindevertreter Bedenken gegen eine allfällige Öffnung dieser kleinen Grenzübergänge geäussert. Sie befürchteten, dass Personen mit kriminellen Absichten oder auch illegale Einwanderer leichter von Norditalien ins Grenzgebiet gelangen könnten.
Neben den kleinen Grenzübergängen, die nachts nicht bewacht sind, wird der Grenzverkehr in der Südschweiz vor allem über die grossen Zollstellen in Chiasso (Autobahn und Strasse), Stabio sowie Ponte Tresa abgewickelt.
Gerhard Lob, swissinfo.ch
Seit dem 12. Dezember 2008 gehört die Schweiz zum Schengenraum, der rund 3,6 Mio. Quadratkilometer und 400 Mio. Europäer umfasst.
Auf Grund des Abkommens entfallen systematische Personenkontrollen an der Landesgrenze, dafür sind vermehrt mobile Polizeikontrollen in Grenznähe vorgesehen. Das Prinzip lautet: «Abbau der Binnengrenzen, Verstärkung der Aussengrenzen».
Das Schengener Abkommen wird mittlerweile in 28 Ländern Europas angewandt. Das sind 25 EU-Mitgliedsländer (einige mit Einschränkungen) sowie als Nicht-EU-Staaten zusätzlich Island, Norwegen und die Schweiz..
Das Schengen-Abkommen bezieht sich nur auf Personen. Der Warenverkehr wird an der Grenze weiterhin kontrolliert, da die Schweiz nicht Mitglied der EU-Zollunion ist.
Dank des Abkommens haben die Schweizer Behörden im Rahmen der Kriminalitätsbekämpfung Zugang zur Datenbank Schengen-Informations-System (SIS).
Zwischen dem Kanton Tessin und Italien gibt es insgesamt 22 Grenzübergänge. Ausserhalb der Öffnungszeiten kennt der Schweizer Zoll das Prinzip der Eigendeklaration von Waren.
Dafür stehen Briefkästen bereit, in die Erklärungen eingeworfen werden könne
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